Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Tierwohl, Milchertrag und betriebswirtschaftliche Aspekte müssen sich die Waage halten“
Regierungspräsident Klaus Tappeser besucht landwirtschaftlichen Vorzeigebetrieb in Zell
ISNY - Regierungspräsident Klaus Tappeser witzelte bei der Begrüßung: „Eigentlich hätten wir uns einen Tag Urlaub eintragen müssen, wenn ich mich hier so umsehe.“Stilecht reiste er vergangene Woche im karierten Hemd an, um dem landwirtschaftlichen Vorzeigebetrieb von Karl und Georg Anwander in Zell einen Arbeitsbesuch abzustatten. Mit dabei auch Dr. Ottmar Röhm von der Abteilung Betriebswirtschaft, Agrarförderung und Strukturentwicklung, und Dr. Conrad Maas, Leiter des Referates Veterinärwesen und Lebensmittelüberwachung vom zuständigen Regierungspräsidium in Tübingen.
Hochleistung im Laufstall
Wenn sich „Kuh Nummer 12“bis zu drei Mal täglich auf den Weg zum Melkroboter macht, gibt sie rund 35 Liter Milch am Tag. „Nummer 12“ist eine Hochleistungskuh, die, sobald Karl Anwander seine Hand zum Fressplatz des hochmodernen, neuen Laufstalls streckt, angetrottet kommt und sich von ihm über den Kopf streicheln lässt. Die Herde im Stall der Gebrüder Anwander umfasst 130 Tiere, Platz wäre in dem Neubau für 150.
Seit Sommer 2017 lassen es sich die Milchkühe in dem besonders tiergerechten Stall gut gehen – so der Eindruck der Besucher und die Aussage der Landwirte. Effizient und geräumig ist die Einteilung des Stalls: Eine zweimal zweireihige Bauweise bietet viel Lauf- und Liegefläche für die Kühe. Plätze, an denen die Kühe trocken stehen, befinden sich neben den Buchten zum Abkalben – mit kurzen Wegen nach draußen für die Kälbchen, die in Iglus mit kleinem Auslauf untergebracht sind. Daneben die Hygieneschleuse für den Tierarzt und der Zugang zum Melkroboter.
Der Tagesablauf einer Hochleistungsmilchkuh ist genau getaktet. Silofutter und Heu stehen ständig zur Verfügung, alle zwei Stunden wird es frisch nachgelegt. Gepolsterte Ruheplätze zum Wiederkäuen sind in ausreichender Zahl vorhanden. Der Stall ist hell, luftig und hoch, sodass auch im Hochsommer angenehme Temperaturen herrschen.
Im Melkroboter gibt es ein „Leckerli“in Form von Kraftfutter, sobald die Kuh zum Melken kommt, und an den Bürsten im Laufstall können sich die Kühe den Rücken schrubben. Neben Licht und Luft wird der Platz für rangniedrige Tiere sehr groß geschrieben, betont Karl Anwander.
Grüne Weide kontra Effizienz Nicht vergessen werden darf, dass die romantische Vorstellung von einer behornten Kuh auf der grünen Allgäu-Weide hier – im Gegensatz zu den Biohöfen in der Region – nicht mehr zutrifft. Ihr gesamtes Leben, das unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten etwa viereinhalb Jahre beträgt, verbringen die Kühe im Stall; lediglich mit der Möglichkeit, den Freilaufplatz auf der Südseite des Stalls zu nutzen. „Das tun sie aber im Sommer höchstens nachts oder in den frühen Morgenstunden, wenn es nicht so heiß ist“, erklärt Karl Anwander. „Tierwohl, Milchertrag und betriebswirtschaftliche Aspekte müssen sich die Waage halten“, gibt er zu bedenken.
Während des Rundgangs durch den Stall erfolgt ein Abstecher in einen der beiden Melkroboter. Hier erklärt Anwander, das Robotersystem messe viele Parameter der Milch wie Temperatur, Fett- und Eiweißgehalt oder Milchfarbe, bevor sie in den Tank fließt, um frühzeitig Gesundheitsveränderungen zu bemerken.
Tiermediziner Conrad Maas, bescheinigt dem Milchviehbetrieb der Anwanders eine vorbildliche Ausstattung in jeder Hinsicht. Er erklärt, dass heutzutage bereits 75 Prozent aller Milchkühe in Laufställen gehalten werden. „Wenn es den Kühen gut geht, wie hier, liefern sie bis zu 30 Prozent mehr Milch“, sagt der Veterinär, der selbst auf einem Hof aufgewachsen ist.
„Sogar eine Schippe draufgelegt“Ottmar Röhm, zuständig für das Agrarinvestitionsförderprogramm (AFP), zeigte die Fördermöglichkeiten für landwirtschaftliche Betriebe auf. Die „Premiumförderung“, die bei Anwanders für den Bau des Laufstalls ausbezahlt wurde, bekomme nur noch ein Landwirt, der über die gesetzlich geforderten Mindestbedingungen bezüglich des Tierwohls hinaus gehe. Er lobt Anwander: „Sie haben sogar noch eine Schippe drauf gelegt.“Die Tiere hätten beispielsweise 20 Quadratmeter statt nur 15 Quadratmeter Platz.
Die Milchviehhaltung ist im Regierungsbezirk, vor allem im Allgäu und in Oberschwaben, ein bedeutendes Standbein der Landwirtschaft. Durch das AFP solle die Wettbewerbsfähigkeit der Milchproduzenten erhalten werden. Auch Röhm betont, dass neben dem Tierwohl auch die Wirtschaftlichkeit im Fokus stehe.
„Kalkuliert haben wir den Neubau mit einem Milchpreis von 32 Cent“, sagt Anwander. Falls er doch einmal länger anhaltend sinke, müssten sie sich keine Sorgen machen, da die Photovoltaikanlage „ein schönes Taschengeld“abwerfe und zusätzlich die Biogasanlage genügend „Rückenwind“liefere. Auch für die Nachfolge sei auf dem Anwanderhof gesorgt: „Sonst hätten wir die Investitionen nicht angepackt“, sagt Karl Anwander.