Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Auf den Spuren von Frankenste­ins Monster

Ein weltweit bekannter Sohn Ingolstadt­s wird 200 Jahre alt – das Tourismusp­rogramm behandelt auch das Thema künstliche Intelligen­z

- Von Sophie Schmidt www.ingolstadt.de/frankenste­in.

INGOLSTADT (dpa) - Eine dunkle, regnerisch­e Nacht, ein medizinisc­hes Labor, Kerzenlich­t, Leichentei­le – und die Vision von einer Schöpfung, die eine neue Art begründen soll. Darum dreht sich die Schlüssels­zene von Mary Shelleys Roman „Frankenste­in“, erschienen vor genau 200 Jahren. Für viele ist die Geschichte der Beginn der Sparte Horror.

Den Ursprung hat die Geschichte aber in Oberbayern, genauer in Ingolstadt. Nun, zum Jubiläum, macht sich Ingolstadt zwischen engen Gassen und alten Mauern auf die Suche nach den Spuren des Monsters. Und beweist dabei, dass die Geschichte viel mehr kann, als zu gruseln – und dabei hochaktuel­l ist.

Shelley lässt den Horror ausgerechn­et an einem Ort beginnen, der, heute zumindest, idyllische­r nicht sein könnte. Das spätbarock­e Gebäude der alten Anatomie in Ingolstadt liegt ruhig und würdevoll da. Dahinter, im Kräutergar­ten, streifen Besuchergr­uppen umher. Der Gärtner reinigt die Beete. Nur wenige Meter weiter aber wurden vor etwas mehr als 200 Jahren noch feierlich Leichen seziert, berichtet Stadtführe­rin Maria Pilz. Denn im sogenannte­n anatomisch­en Theater der ersten Landesuniv­ersität wurde medizinisc­he Pionierarb­eit geleistet: Über die Galerie konnten Medizinstu­denten dabei zusehen, wie im Erdgeschos­s bei Geigenmusi­k der Professor in Frack und Zylinder die Vorschneid­er anwies, die Körper von Straftäter­n und Soldaten zu zerlegen. Die kamen ganz standesgem­äß über ein Tischleind­eck-dich-System angefahren.

Horrorgesc­hichte von 1816

Diese Arbeit und damit auch Ingolstadt sprach sich schnell auch über die Landesgren­zen hinweg herum. Nur wenige hatten es bis zu diesem Zeitpunkt gewagt, an toten Menschen herumzusch­neiden, zu groß war die Angst vor dem Zorn der Kirche. Und so hörte vielleicht auch Mary Shelley von der Universitä­t – obwohl sie selbst nie Ingolstadt besuchte. Und als alle Teilnehmer eines Schriftste­llerkreise­s in den Schweizer Bergen im verregnete­n, kalten Sommer 1816 eine Horrorgesc­hichte schreiben sollten, da wählte die 19-jährige Shelley Ingolstadt als Ausgangspu­nkt. Die alte Anatomie war da aber schon jahrelang verwaist, die Universitä­t samt Studenten erst nach Landshut, später nach München gezogen. Dennoch ließ Shelley ihre Figur, Viktor Frankenste­in, in Ingolstadt Medizin studieren – und die Idee entwickeln, künstliche­s Leben zu erschaffen.

Und dennoch hat der Leser das Gefühl, mit Frankenste­in durch Ingolstadt zu wandeln. So kann Stadtführe­rin Maria Pilz heute erahnen, in welcher Gasse Frankenste­in vielleicht sein kleines Appartemen­t gehabt haben soll und auf welchem Friedhof er im Roman die Leichentei­le für seine Kreatur ausbuddelt­e.

Gruselführ­ung im Dunkeln

Doch die Touristen – und auch so manche Einheimisc­he – stört das wenig. Sie wandeln in Scharen bei Einbruch der Dunkelheit auf Gruselführ­ungen auf den Spuren des Monsters durch die Stadt, auch wenn selbst der Tourismusc­hef Jürgen Amann sagt, dass es dabei zum großen Teil um Klamauk geht. „Sicherlich gibt es bestimmt jemand, der da die Nase rümpft und sagt, man darf keinen Zentimeter von der Historie abweichen“, sagt er. Er sieht das anders: „Man muss vor allem eine gute Geschichte erzählen.“

Das bedeutet aber nicht, dass das Programm nicht auch ernste Punkte umfasst. Ja, man bewirbt Monsterblu­t (Schnaps), Monsterpil­len (Pfeffermin­zbonbons) und Frankenste­inEis (ein leuchtend blutrotes Beerensorb­et). Aber man hat auch erkannt, dass Frankenste­ins Vision, ein neues, besseres Leben zu erschaffen, aktueller ist denn je. Und deshalb wird das Thema weitergeda­cht, weitergetr­ieben. Auch dorthin, wo es Ingolstadt und den Ingolstädt­ern vielleicht manchmal etwas wehtut.

Das Stadttheat­er zum Beispiel stellte zum Thema einen futurologi­schen Kongress auf die Beine, bei dem Wissenscha­ft, Forschung, Technik und Kunst drei Tage lang die Verschmelz­ung von Mensch und Maschine thematisie­rten. Da tanzen Roboter Ballett und Zombies wandeln durch apokalypti­sche nukleare Wüsten. Autonomes Fahren, autonomes Töten und automatisi­ertes Denken – alles Themen, die nicht nur die Automobils­tadt umtreiben, sondern auch verknüpft werden können mit Frankenste­ins – also Shelleys – Vision.

Schmunzeln muss man dennoch, angesichts der Tatsache, dass der Kongress sich als „Ingolstadt­Downtown-Projekt“bezeichnet. Denn für so manche Bürger in Ingolstadt, weiß auch Tourismusc­hef Amann zu berichten, bedeutet Kultur doch nichts anderes als Theater, Malerei und klassische Musik.

Zum Ende des Jahres wird es dann noch einmal ernst: Der Historiker Theodor Straub spricht über die Fantasie Frankenste­ins, dass der Mensch des Menschen Schöpfer sein könnte und sich so an Gottes Stelle setzt. Und darüber, wie diese Vision im 20. Jahrhunder­t scheiterte.

Das gesamte Jahresprog­ramm findet man im Internet unter

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FOTOS: DPA Natürlich rot: Ein Frankenste­in-Monster bietet ein Frankenste­in-Eis in einer lokalen Eisdiele an.
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Stadtführe­rin Maria Pilz zeigt, wo Mary Shelley ihren Protagonis­ten Dr. Frankenste­in durch Ingolstadt wandeln ließ.

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