Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
KBZO in Weingarten rüstet beim Amokalarm nach
Neues System nach zwei Fehlalarmen – Grundsatzproblem im ganzen Land
WEINGARTEN - „Bei einem Amokalarm sind die ersten fünf bis sieben Minuten entscheidend“, sagt Thomas Sigg, Geschäftsbereichsleiter Schulen & Kinderbetreuung der Stiftung KBZO. Doch bei zwei Fehlalarmen im Januar und April dieses Jahres an der Geschwister-SchollSchule des KBZO in Weingarten passierte lange Zeit gar nichts. Zwischen 30 und 45 Minuten vergingen, bis die Polizei verständigt wurde. Im Ernstfall hätte das wohl katastrophale Folgen und würde Menschenleben kosten. Daher haben die KBZOVerantwortlichen reagiert und nun ein System installieren lassen, das es ermöglicht und eigentlich auch garantiert, die Polizei in weniger als 60 Sekunden zu verständigen. Damit hat das KBZO einen riesigen Schritt nach vorne gemacht. Viele andere Schulen im Land hinken aber noch meilenweit hinterher.
Bislang war eine direkte Aufschaltung eines Alarmes zur Polizei schon rein rechtlich nicht möglich. Dies hat das Land im März geändert, nachdem der Bund eine entsprechende Richtlinie nachgeschärft hatte. Seitdem ist es laut Innenministerium möglich, die Schulen direkt mit der Polizei zu verbinden – aber nur über technische Mittel wie Transponder oder Notfall-Knöpfe. Das KBZO hat sich für ein Nischensystem entschieden. Zwar ist der Alarm rein formell nicht direkt auf die Polizei aufgeschaltet, wie beispielsweise bei Feueralarm-Knöpfen, durch welche direkt auch ein Alarm bei der Feuerwehrleitstelle eingeht. Und doch wird die Alarm auslösende Person, wenn gewünscht, direkt mit der Polizei verbunden.
Und so funktioniert’s: Pädagogen und Therapeuten an der Geschwister-Scholl-Schule werden künftig eine Telefonnummer haben, die sie im Alarmfall wählen müssen. Eine Computerstimme fragt dann nach, ob man wirklich Alarm auslösen will. Bestätigt der Anrufer, wird der Alarm über Lautsprecher in den Schulgebäuden ausgelöst. Zudem wird der Anruf direkt an das Polizeipräsidium in Konstanz durchgestellt – es ist ein normaler 110-Notruf. Dort bewerteten die Beamten die Situation und leiten weitere Maßnahmen, wie beispielsweise die Alarmierung des Spezialeinsatzkommandos (SEK), ein. So soll innerhalb von einer Minute und mittels einem einzigen Anruf sichergestellt werden, dass die Polizei auch auf jeden Fall informiert wird.
Allerdings darf die spezielle Notrufnummer nicht auf den Smartphones der Pädagogen und Therapeuten eingespeichert werden. Die Gefahr von versehentlichem Anwählen der Nummer sei zu groß, meint Sigg. Denn genau so wurden die beiden vergangenen Fehlalarme letztlich ausgelöst. „Personen, die diese Nummer eingespeichert hatten, haben diese Nummer versehentlich angewählt.“Die Kollegen hätten nicht einmal mitbekommen, dass sie den Alarm ausgelöst hatten, so Sigg. Demnach sei das bisherige System sehr anfällig für Fehlalarme gewesen. Und diese wolle man in Zukunft tunlichst vermeiden.
Denn gerade im speziellen Fall der Geschwister-Scholl-Schule, die Kinder mit körperlicher, aber auch geistiger Behinderung besuchen, sind solche ohnehin schon belastenden Alarme noch etwas heftiger. „Die beiden Fehlalarme waren sowohl für die Schüler wie auch die Lehrer sehr belastend. Das ist für alle eine unglaubliche Stresssituation“, erklärt Sigg. „Wir sind sehr besonders. Diese Kinder sind noch einmal viel stärker belastet.“Zwar habe es durch die Fehlalarme am 22. Januar und 9. April keine bleibenden Schäden gegeben, was auch dem sehr guten Schüler-Lehrer-Verhältnis und dem Verteilungsschlüssel von zwei Lehrern bei zehn Schülern geschuldet sei.
Dennoch birgt ein längerer Alarm neben der psychischen Komponente auch körperliche Risiken. Einige Schüler seien auf regelmäßige Medikamente und zusätzlichen Sauerstoff angewiesen. Bei zu langem Verbarrikadieren könnte das zu Problemen führen, weswegen das KBZO auch an dieser Stelle Maßnahmen ergreifen will. Erst durch die Fehlalarme sei dies wirklich deutlich geworden. Gleiches gilt für die mentale Belastung durch die Dauerschleife des internen Alarms, der über die Lautsprecheranlage der Schulen abgewickelt wird. „Das wurde von Schülern und Lehrern als sehr anstrengend empfunden“, meint Sigg.
Daher soll es künftig verschiedene Ansagen geben, die auch situativ gewechselt werden können. Dabei kann die Polizei von außerhalb auf das System zugreifen und entscheiden, welche spezifischen Ansagen zu welchem Zeitpunkt abgespielt werden. Im Optimalfall kann die Polizei sogar über die Lautsprecher in der Schule Infos und Anweisungen geben. „Da sind wir dran, ob das klappt, ist technisch noch unklar“, sagt Sigg, der den Fehlalarmen daher durchaus etwas Positives abgewinnen kann: „Wir haben gesehen, dass man Vorsorgen treffen muss. Wir haben viel daraus gelernt.“
Das gilt auch für die Zusammenarbeit mit der Polizei. Diese habe sich bei den Alarmen vorbildlich verhalten. Dennoch will Sigg die Beamten noch besser auf die Begebenheiten bei der Geschwister-SchollSchule einstellen. „Da muss man mit Reaktionen rechnen, die man so nicht erwartet“, sagt Sigg. Daher habe man die Polizei zu einem Besuch eingeladen. „Es war uns ein großes Anliegen, dass die Einsatzkräfte um die Behinderungen wissen“, sagt er. Zudem sollen die Beamten die Gebäude kennenlernen. „Wir sind auch räumlich nicht so gegliedert wie andere Schulen. Das macht es für die Einsatzkräfte viel schwieriger“, erklärt der Schulleiter. Alles sei barrierefrei, daher seien auch die Gebäude miteinander verbunden, was für die Einsatzkräfte eine zusätzliche Herausforderung ist, da diese im Extremfall eher in räumlichen Abschnitten denken. Die Amokpläne seien zwar beim Regierungspräsidium Tübingen hinterlegt. „Aber das deckt in den seltensten Fällen die Komplexität der Gebäude ab“, meint Sigg. Doch nicht nur mit den Beamten, auch mit den Schülern will der Schulleiter künftig noch stärker das Gespräch suchen und sie auf mögliche Bedrohungsszenarien vorbereiten: „Je besser die Kommunikation, desto besser kann man eine Krise wie einen Amokalarm meistern.“