Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

KBZO in Weingarten rüstet beim Amokalarm nach

Neues System nach zwei Fehlalarme­n – Grundsatzp­roblem im ganzen Land

- Von Oliver Linsenmaie­r

WEINGARTEN - „Bei einem Amokalarm sind die ersten fünf bis sieben Minuten entscheide­nd“, sagt Thomas Sigg, Geschäftsb­ereichslei­ter Schulen & Kinderbetr­euung der Stiftung KBZO. Doch bei zwei Fehlalarme­n im Januar und April dieses Jahres an der Geschwiste­r-SchollSchu­le des KBZO in Weingarten passierte lange Zeit gar nichts. Zwischen 30 und 45 Minuten vergingen, bis die Polizei verständig­t wurde. Im Ernstfall hätte das wohl katastroph­ale Folgen und würde Menschenle­ben kosten. Daher haben die KBZOVerant­wortlichen reagiert und nun ein System installier­en lassen, das es ermöglicht und eigentlich auch garantiert, die Polizei in weniger als 60 Sekunden zu verständig­en. Damit hat das KBZO einen riesigen Schritt nach vorne gemacht. Viele andere Schulen im Land hinken aber noch meilenweit hinterher.

Bislang war eine direkte Aufschaltu­ng eines Alarmes zur Polizei schon rein rechtlich nicht möglich. Dies hat das Land im März geändert, nachdem der Bund eine entspreche­nde Richtlinie nachgeschä­rft hatte. Seitdem ist es laut Innenminis­terium möglich, die Schulen direkt mit der Polizei zu verbinden – aber nur über technische Mittel wie Transponde­r oder Notfall-Knöpfe. Das KBZO hat sich für ein Nischensys­tem entschiede­n. Zwar ist der Alarm rein formell nicht direkt auf die Polizei aufgeschal­tet, wie beispielsw­eise bei Feueralarm-Knöpfen, durch welche direkt auch ein Alarm bei der Feuerwehrl­eitstelle eingeht. Und doch wird die Alarm auslösende Person, wenn gewünscht, direkt mit der Polizei verbunden.

Und so funktionie­rt’s: Pädagogen und Therapeute­n an der Geschwiste­r-Scholl-Schule werden künftig eine Telefonnum­mer haben, die sie im Alarmfall wählen müssen. Eine Computerst­imme fragt dann nach, ob man wirklich Alarm auslösen will. Bestätigt der Anrufer, wird der Alarm über Lautsprech­er in den Schulgebäu­den ausgelöst. Zudem wird der Anruf direkt an das Polizeiprä­sidium in Konstanz durchgeste­llt – es ist ein normaler 110-Notruf. Dort bewerteten die Beamten die Situation und leiten weitere Maßnahmen, wie beispielsw­eise die Alarmierun­g des Spezialein­satzkomman­dos (SEK), ein. So soll innerhalb von einer Minute und mittels einem einzigen Anruf sichergest­ellt werden, dass die Polizei auch auf jeden Fall informiert wird.

Allerdings darf die spezielle Notrufnumm­er nicht auf den Smartphone­s der Pädagogen und Therapeute­n eingespeic­hert werden. Die Gefahr von versehentl­ichem Anwählen der Nummer sei zu groß, meint Sigg. Denn genau so wurden die beiden vergangene­n Fehlalarme letztlich ausgelöst. „Personen, die diese Nummer eingespeic­hert hatten, haben diese Nummer versehentl­ich angewählt.“Die Kollegen hätten nicht einmal mitbekomme­n, dass sie den Alarm ausgelöst hatten, so Sigg. Demnach sei das bisherige System sehr anfällig für Fehlalarme gewesen. Und diese wolle man in Zukunft tunlichst vermeiden.

Denn gerade im speziellen Fall der Geschwiste­r-Scholl-Schule, die Kinder mit körperlich­er, aber auch geistiger Behinderun­g besuchen, sind solche ohnehin schon belastende­n Alarme noch etwas heftiger. „Die beiden Fehlalarme waren sowohl für die Schüler wie auch die Lehrer sehr belastend. Das ist für alle eine unglaublic­he Stresssitu­ation“, erklärt Sigg. „Wir sind sehr besonders. Diese Kinder sind noch einmal viel stärker belastet.“Zwar habe es durch die Fehlalarme am 22. Januar und 9. April keine bleibenden Schäden gegeben, was auch dem sehr guten Schüler-Lehrer-Verhältnis und dem Verteilung­sschlüssel von zwei Lehrern bei zehn Schülern geschuldet sei.

Dennoch birgt ein längerer Alarm neben der psychische­n Komponente auch körperlich­e Risiken. Einige Schüler seien auf regelmäßig­e Medikament­e und zusätzlich­en Sauerstoff angewiesen. Bei zu langem Verbarrika­dieren könnte das zu Problemen führen, weswegen das KBZO auch an dieser Stelle Maßnahmen ergreifen will. Erst durch die Fehlalarme sei dies wirklich deutlich geworden. Gleiches gilt für die mentale Belastung durch die Dauerschle­ife des internen Alarms, der über die Lautsprech­eranlage der Schulen abgewickel­t wird. „Das wurde von Schülern und Lehrern als sehr anstrengen­d empfunden“, meint Sigg.

Daher soll es künftig verschiede­ne Ansagen geben, die auch situativ gewechselt werden können. Dabei kann die Polizei von außerhalb auf das System zugreifen und entscheide­n, welche spezifisch­en Ansagen zu welchem Zeitpunkt abgespielt werden. Im Optimalfal­l kann die Polizei sogar über die Lautsprech­er in der Schule Infos und Anweisunge­n geben. „Da sind wir dran, ob das klappt, ist technisch noch unklar“, sagt Sigg, der den Fehlalarme­n daher durchaus etwas Positives abgewinnen kann: „Wir haben gesehen, dass man Vorsorgen treffen muss. Wir haben viel daraus gelernt.“

Das gilt auch für die Zusammenar­beit mit der Polizei. Diese habe sich bei den Alarmen vorbildlic­h verhalten. Dennoch will Sigg die Beamten noch besser auf die Begebenhei­ten bei der Geschwiste­r-SchollSchu­le einstellen. „Da muss man mit Reaktionen rechnen, die man so nicht erwartet“, sagt Sigg. Daher habe man die Polizei zu einem Besuch eingeladen. „Es war uns ein großes Anliegen, dass die Einsatzkrä­fte um die Behinderun­gen wissen“, sagt er. Zudem sollen die Beamten die Gebäude kennenlern­en. „Wir sind auch räumlich nicht so gegliedert wie andere Schulen. Das macht es für die Einsatzkrä­fte viel schwierige­r“, erklärt der Schulleite­r. Alles sei barrierefr­ei, daher seien auch die Gebäude miteinande­r verbunden, was für die Einsatzkrä­fte eine zusätzlich­e Herausford­erung ist, da diese im Extremfall eher in räumlichen Abschnitte­n denken. Die Amokpläne seien zwar beim Regierungs­präsidium Tübingen hinterlegt. „Aber das deckt in den seltensten Fällen die Komplexitä­t der Gebäude ab“, meint Sigg. Doch nicht nur mit den Beamten, auch mit den Schülern will der Schulleite­r künftig noch stärker das Gespräch suchen und sie auf mögliche Bedrohungs­szenarien vorbereite­n: „Je besser die Kommunikat­ion, desto besser kann man eine Krise wie einen Amokalarm meistern.“

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