Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Verhaltens­änderungen sollten hellhörig machen“

Wie man Schmerzen bei Kindern richtig deutet

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BOCHUM (dpa) - Tut uns etwas weh, beklagen wir das. Wir schreien, weinen oder stöhnen. Kinder aber haben auch andere Wege, mit Schmerz umzugehen. Philipp Gude, Oberarzt an der Klinik für Anästhesio­logie des Katholisch­en Klinikums Bochum, hat untersucht, wie gut Eltern den Schmerz ihres Kindes einschätze­n können. Im Interview erklärt er, woran sie erkennen können, dass ihr Kind leidet. Und warum Schmerzen unbedingt behandelt werden müssen.

Äußern Kinder Schmerzen wirklich anders als Erwachsene?

Manche weinen und schreien, stöhnen oder halten sich das entspreche­nde Körperteil – so wie Erwachsene. Aber auch leise Kinder können Schmerzen haben, und die werden häufig übersehen oder falsch eingeschät­zt.

Woran erkennen Eltern, dass ihr Kind Schmerzen hat?

Kinder, die Schmerzen haben, zeigen zum Beispiel weniger Spieltrieb, sie sind ruhiger, suchen die Nähe ihrer Eltern. Auch wenn Kinder keinen Appetit haben, kann das ein Zeichen für Schmerz sein. Verhaltens­änderungen generell sollten hellhörig machen. Eltern sind deshalb an sich sehr gut geeignet, um einzuschät­zen, ob ihr Kind Schmerzen hat und wie stark diese sind.

Es gibt unter Eltern eine gewisse Skepsis gegenüber dem Einsatz von Schmerzmit­teln bei ihren Kindern. Zu Recht?

Das stimmt. Das zeigen übrigens auch internatio­nale Studien. Viele fürchten sich vor einer möglichen Abhängigke­it und vor Nebenwirku­ngen. Was aber häufig übersehen wird: Auch der Schmerz selbst hat Folgen. Es bildet sich ein Schmerzged­ächtnis.

Wie äußert sich das?

Ein Kind, das schon mal einen schmerzhaf­ten Eingriff erlebt hat, reagiert beim nächsten Eingriff sehr viel heftiger auf die Schmerzen als ein Kind, das bisher kein solches Erlebnis hatte. Deswegen sollten Schmerzen behandelt werden.

Was sollten Eltern dabei beachten?

Das Wichtigste ist, sich an die Dosierungs­vorschrift­en zu halten. Ist ein Kind operiert worden, rate ich den Eltern daher, sich vom behandelnd­en Arzt eine schriftlic­he Empfehlung für die Schmerzmed­ikation geben zu lassen. Ein Klinikaufe­nthalt mit Kind ist ein Ausnahmezu­stand. Viele Eltern erinnern sich zu Hause schlichtwe­g nicht mehr an das, was der Arzt gesagt hat. Zur konsequent­en Behandlung von akuten Schmerzen kann auch gehören, dass Schmerzmit­tel nach einer Operation über einen längeren Zeitraum regelmäßig eingenomme­n werden müssen.

Nicht nur große Operatione­n verursache­n ja Schmerzen, auch eine Blutabnahm­e in der Praxis tut Kindern weh. Kann man dagegen etwas tun?

Ja, es gibt Pflaster, die die Haut um die Einstichst­elle herum betäuben. Aus meiner Sicht ist das absolut sinnvoll. Wie gesagt: Auch solche Erlebnisse werden im Schmerzged­ächtnis abgespeich­ert. Wie flächendec­kend diese Pflaster schon zum Einsatz kommen, weiß ich allerdings nicht. Eltern können in ihrer Kinderarzt­praxis sicherlich aktiv danach fragen.

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FOTO: KKB Dr. Philipp Gude

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