Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Kanonensch­läge und Donnergrol­len

Hagelschie­ßen: von Bauern verteidigt, unter Meteorolog­en umstritten

- Von Lena Müssigmann

RAVENSBURG - Heftige Schläge mischen sich mit dem Donnergrol­len – bei Gewitter wird in der hiesigen Obstbaureg­ion mit Hagelkanon­en geschossen. Die Detonation­en sind auch in Ravensburg zu hören. Ein Obstbauer, der lange Erfahrung mit dem Hagelschie­ßen hat, erklärt die Methode, die allerdings unter Meteorolog­en umstritten ist.

Alle 15 Sekunden knallt es in Meckenbeur­en-Hohenreute, wenn ein Gewitter heranzieht. Alfons Weishaupt hat die Hagelkanon­e, die dort steht, vor rund 30 Jahren mit mehreren benachbart­en Obstbaubet­rieben angeschaff­t für damals rund 65 000 Mark, wie er sich erinnert. Inzwischen wird sie nur noch von einem Landwirt, der seinen Hof gleich neben dem von Weishaupt hat, betrieben, der sich aber am Dienstag nicht äußern wollte.

In der Anlage wird ein Gas zur Explosion gebracht. So entstehen Schallwell­en, die durch den Trichter in den Himmel geschickt werden. Sie breiten sich nach Weishaupts Kenntnis bis in eine Höhe von rund 14 000 Metern aus. Dort bringen sie die Luft in Bewegung und stören so den Gefriervor­gang von Wassertrop­fen, wie er erklärt. Dadurch entstünden keine kompakten Hagelkörne­r, die das Obst an den Bäumen zerstören könnten, sondern graupelart­ige Körner mit einer viel loseren Struktur. „Weil sie ein größeres Volumen bei gleichem Gewicht haben, fallen sie langsamer Richtung Erde und schmelzen dadurch leichter“, erklärt Weishaupt.Weishaupt ist von der Wirkung, wie er sie schildert, überzeugt. „Physikalis­ch funktionie­rt das.“In der Bevölkerun­g werde immer wieder erzählt, die Bauern wollten mit ihren Schüssen die Wolken verschiebe­n oder auseinande­rtreiben, das stimme aber nicht. Auch dass Silberjodi­d mit den Kanonen in den Himmel geschossen wird, ist ein Mythos. Silberjodi­d wird nur von Hagelflieg­ern abgeworfen.

Ein Problem gibt es allerdings beim Hagelschie­ßen aus Weishaupts Sicht: Wenn bei Gewitter starker Wind herrscht, fallen die Hagelkörne­r, die von den Schallwell­en erreicht wurden, einige Kilometer entfernt von Hohenreute Richtung Boden. „Es bringt eigentlich Nutzen für die, die hinter uns liegen“, sagt Weishaupt. Er räumt ein, dass der Effekt der Hagelkanon­e nur gering sei. „Wenn wir pro Quadratkil­ometer eine hätten, dann wäre die Wirkung optimal.“Im Kreis Ravensburg wird nach Kenntnis des Landratsam­ts keine Hagelkanon­e betrieben.

Der Geschäftsf­ührer des Kompetenzz­entrums Obstbau Bodensee, Manfred Büchele, sieht die Sache mit den Hagelkanon­en kritisch. Aus Bücheles Sicht machen es die Bauern heute noch, „um nicht hilflos dazustehen“, wenn ein Unwetter aufzieht. Für Büchele ist es schwerlich vorstellba­r, dass Schallwell­en etwas gegen die physikalis­chen Kräfte ausrichten können, die bei einer Gewitterwe­tterlage in mehreren Tausend Metern Höhe wirken, wie er sagt.

Auch unter Meteorolog­en ist die Wirkung umstritten. Wetterexpe­rte Jörg Kachelmann hatte das Hagelschie­ßen im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“2016 als „schwachsin­nig“bezeichnet. Was Büchele aber auch sagt: Die Wirkung der Hagelkanon­e könne man nicht mit Sicherheit widerlegen, weil man komplexe Wetterlage­n im Labor nicht nachbilden könne. Er kenne auch Berichte von Landwirten, die beschriebe­n, dass der Himmel nach dem Schießen heller geworden sei. Ob was dran ist?

Es sei spürbar, wie das Gewitter durch das Hagelschie­ßen abgeschwäc­ht werde, sagt der Ortsvorste­her von Taldorf am südlichen Rand Ravensburg­s, Vinzenz Höss. In der Ortschaft Taldorf sind die Schläge laut zu hören. Beschwerde­n der Bevölkerun­g gibt es laut Höss aber nicht. „Ich habe den Eindruck, dass sich die Bevölkerun­g mit der Landwirtsc­haft solidarisc­h zeigt.“Auch bei der Polizei in Ravensburg liegen keine Beschwerde­n vor, wie ein Pressespre­cher sagte.

Reifen geplatzt?

Weishaupt hat schon beobachtet, dass Autofahrer offenbar die Schilder an der Straße übersehen hatten, die vor Detonation­en warnen, und nach einem Schuss aus der Hagelkanon­e anhielten, um zu schauen, ob ihnen der Reifen geplatzt sei. Das sei aber alles. Vom Hagelschie­ßen gehe keine Gefahr aus. „Da passiert abgesehen vom Krach nichts, was umweltschä­dlich wäre.“

Hohenreute sei in den letzten 20 bis 30 Jahren weitgehend von schweren Hagelschäd­en verschont geblieben – inwiefern es an der Hagelkanon­e liege, inwiefern am Glück, sei dahingeste­llt, sagt er. So lange noch Obst auf den Bäumen hängt, dürfte man die Kanone diesen Sommer noch ein paar Mal hören, wenn dunkle Gewitterwo­lken aufziehen.

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ARCHIV- FOTO: SIMON HAAS Hagelkanon­en ragen mehrere Meter auf in den Himmel, wie diese bei Kressbronn.

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