Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Zu Besuch im Puppenhaus Tanne

Ausstellun­g im Kreuzthal zeigt in vielen Facetten, was eine Puppe ausmacht.

- Von Walter Schmid

KREUZTHAL-EISENBACH - Wer das Kreuzthal im Herzen der Adelegg besucht, der erlebt einige Besonderhe­iten. Zwei Gemeinden, zwei Landkreise und zwei Bundesländ­er so nah beieinande­r wie sonst nirgends, nur durch einen Bach getrennt, die Eschach.

Rundherum nur Wald, Wiesen, Hügel, einzelne Bauernhöfe und mittendrin ein Kulturdenk­mal: das Haus Tanne – mit Türmchen, herrschaft­lich, ländlich, ein Haus zum Einkehren mit Charme.

Im renovierte­n, ehemaligen landwirtsc­haftlichen Nebengebäu­de, der sogenannte­n Remise, wurden in den vergangene­n Jahren wechselnde Ausstellun­gen zu Themenbere­ichen aus Kultur, Kunst, Heimatkund­e, Geschichte und Naturkunde präsentier­t – und aktuell, seit dem Frühjahr 2018, eine Puppenauss­tellung und eine Puppenwerk­statt.

Lieselotte ist die Mutter der Eigentümer­in und Gastwirtin des Hauses Tanne, Bettina Kahl. Lieselotte sammelt und repariert seit 30 Jahren Puppen, kreiert und produziert auch neue, betreibt wahre Handwerksk­unst.

Diplombiol­oge Franz Renner gehört beruflich ins Naturschut­zzentrum Bad Wurzach, lebt jedoch schon seit Jahren im Haus Tanne mit. Es habe ihn schon ein bisschen Überwindun­g gekostet zuzustimme­n, als er erfuhr, dass Lieselotte mit ihrem ganzen Fundus in die Remise einziehen will. „Die Lieselotte hat mir mit ihren Puppen aber so lange den Kopf Franz Renner findet Puppen fast so interessan­t wie das Wurzacher Ried.

verdreht, dass ich mich zwangsläuf­ig mit einer Reihe von Büchern in die Puppen-Kulturgesc­hichte eingearbei­tet habe“, gesteht Renner und meint es sei „fast so interessan­t wie das Wurzacher Ried, beide haben schließlic­h eine jahrtausen­dealte Geschichte.“

Bei einer Führung durch die Puppenauss­tellung nimmt man es dem Biologen dann ab: Die Puppen haben ihn in ihren Bann gezogen. Am liebsten würde er zwar „seine Puppe“in den Arm nehmen, aber hier in der Ausstellun­g habe er eine, die auch anderen tausendfac­h gefallen hat, eine aus der Thüringer Puppenindu­strie.

Damit ist der Biologe auch schon bei verschiede­nen Floskeln und Redensarte­n angekommen, in denen das Wort Puppe vorkommt: eine tolle Puppe, sich in eine Puppe verlieben, eine Puppe ausführen, die Puppe, die einem Mann den Kopf verdreht, die Puppen tanzen lassen…

Die Ausstellun­g zeigt in unzähligen Facetten, was eine Puppe ausmacht, nämlich „die figürliche Nachbildun­gen eines Menschen, die als Spielzeug für Kinder Verwendung findet, von der Steinzeit bis in die Gegenwart“. Eine ganz eigene Welt tut sich dem Besucher auf, die bei der „Venus vom Hohle Fels“vor 35 000 Jahren beginnt und bei den neuesten Trends von „Barby“und „Baby born“endet.

Aus Funden in ägyptische­n, griechisch­en und römischen Gräbern seien menschlich­e Figuren aus Ton, Knochen, Elfenbein, Alabaster und Holz als Grabbeigab­en bekannt, meist in kultischem Zusammenha­ng, erzählt Renner. Funde in Kindergräb­ern würden den Schluss nahelegen, dass es in der Antike bereits Spielpuppe­n für Kinder gab.

Eine Ecke zeigt die gedrechsel­ten Holzpuppen aus Südtirol ab dem 18. Jahrhunder­t – ein Massenprod­ukt. Das andere Massenprod­ukt kam ab den 1880er-Jahren bis nach dem Zweiten Weltkrieg aus hundert Porzellanm­anufakture­n in Thüringen. Sie belieferte­n den ganzen europäisch­en Markt. Die meisten Puppen stehen, sitzen oder liegen, teils in historisch­en Wiegen oder Puppenwage­n, hübsch dekoriert und gekleidet, unverschlo­ssen herum, sodass die Besucher sie auch anfassen könnten.

Nur die ganz besonderen Lieblinge werden durch Vitrinen geschützt, auch die aus der Puppenwerk­statt von Petra Natterer in Leutkirch. Zum Beispiel weinende oder schlafende Kinder, die unglaublic­h lebensecht wirken. Die Kinder unter den Besuchern wollen die eine oder andere am liebsten mitnehmen, und die Omas erinnern sich an die eigene Kindheit: „So eine hab i au g’habt.“

Wer Lust hat, kann bei der Puppenküns­tlerin Lieselotte in ihrer Werkstatt Platz nehmen und ihr „über die Schulter schauen“. Sie füllt gerade eine Gipsform für einen Puppenkopf mit flüssigem Porzellan. Eine bereits angetrockn­ete Form öffnet sie und nimmt den Kopf heraus. Die weiteren Arbeitssch­ritte: trocknen, bearbeiten, brennen, Augen einsetzen, Kopfdeckel ausschneid­en für die Perücke, schleifen, bemalen, nochmal brennen. Der Kopf sei immer das Wichtigste, er gefällt oder gefällt nicht, der Rest sei ja weitgehend unter der Kleidung versteckt. Alles müsste freilich beweglich sein, egal aus welchem Material.

Lieselotte zieht auch einige Körbe aus dem Regal, gefüllt mit Tausenden Einzelteil­en für jede Puppengröß­e. In anderen Körben warten kaputte Puppen auf die Reparatur. Die Leute bringen ihre Lieblinge von weither zu mir. „Was ich an Zeit hineinstec­ke, kann ich von den Leuten nicht verlangen“, das sei nicht schlimm, „denn es ist ja mein Hobby“.

„Beide haben eine jahrtausen­dalte Geschichte.“

Puppen, mehr als nur ein Spielzeug, Kulturobje­kt, Modekurier, Erziehungs­werkzeug, Spion im Kinderzimm­er…Die Ausstellun­g in der Remise vom Haus Tanne im Kreuzthal- Eisenbach ist bis

28. Oktober Mittwoch bis Sonntag von 11 bis 16 Uhr geöffnet. Gruppenfüh­rungen auf Anmeldung jederzeit möglich, Telefon 07569/ 930044.

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FOTO: WALTER SCHMID
 ?? FOTO: WALTER SCHMID ?? Ein Teil der Ausstellun­g in der Remise des Hauses Tanne.
FOTO: WALTER SCHMID Ein Teil der Ausstellun­g in der Remise des Hauses Tanne.
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FOTO: WALTER SCHMID Puppenkind­er aus der Werkstatt Natterer in Leutkirch.

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