Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Zu Besuch im Puppenhaus Tanne
Ausstellung im Kreuzthal zeigt in vielen Facetten, was eine Puppe ausmacht.
KREUZTHAL-EISENBACH - Wer das Kreuzthal im Herzen der Adelegg besucht, der erlebt einige Besonderheiten. Zwei Gemeinden, zwei Landkreise und zwei Bundesländer so nah beieinander wie sonst nirgends, nur durch einen Bach getrennt, die Eschach.
Rundherum nur Wald, Wiesen, Hügel, einzelne Bauernhöfe und mittendrin ein Kulturdenkmal: das Haus Tanne – mit Türmchen, herrschaftlich, ländlich, ein Haus zum Einkehren mit Charme.
Im renovierten, ehemaligen landwirtschaftlichen Nebengebäude, der sogenannten Remise, wurden in den vergangenen Jahren wechselnde Ausstellungen zu Themenbereichen aus Kultur, Kunst, Heimatkunde, Geschichte und Naturkunde präsentiert – und aktuell, seit dem Frühjahr 2018, eine Puppenausstellung und eine Puppenwerkstatt.
Lieselotte ist die Mutter der Eigentümerin und Gastwirtin des Hauses Tanne, Bettina Kahl. Lieselotte sammelt und repariert seit 30 Jahren Puppen, kreiert und produziert auch neue, betreibt wahre Handwerkskunst.
Diplombiologe Franz Renner gehört beruflich ins Naturschutzzentrum Bad Wurzach, lebt jedoch schon seit Jahren im Haus Tanne mit. Es habe ihn schon ein bisschen Überwindung gekostet zuzustimmen, als er erfuhr, dass Lieselotte mit ihrem ganzen Fundus in die Remise einziehen will. „Die Lieselotte hat mir mit ihren Puppen aber so lange den Kopf Franz Renner findet Puppen fast so interessant wie das Wurzacher Ried.
verdreht, dass ich mich zwangsläufig mit einer Reihe von Büchern in die Puppen-Kulturgeschichte eingearbeitet habe“, gesteht Renner und meint es sei „fast so interessant wie das Wurzacher Ried, beide haben schließlich eine jahrtausendealte Geschichte.“
Bei einer Führung durch die Puppenausstellung nimmt man es dem Biologen dann ab: Die Puppen haben ihn in ihren Bann gezogen. Am liebsten würde er zwar „seine Puppe“in den Arm nehmen, aber hier in der Ausstellung habe er eine, die auch anderen tausendfach gefallen hat, eine aus der Thüringer Puppenindustrie.
Damit ist der Biologe auch schon bei verschiedenen Floskeln und Redensarten angekommen, in denen das Wort Puppe vorkommt: eine tolle Puppe, sich in eine Puppe verlieben, eine Puppe ausführen, die Puppe, die einem Mann den Kopf verdreht, die Puppen tanzen lassen…
Die Ausstellung zeigt in unzähligen Facetten, was eine Puppe ausmacht, nämlich „die figürliche Nachbildungen eines Menschen, die als Spielzeug für Kinder Verwendung findet, von der Steinzeit bis in die Gegenwart“. Eine ganz eigene Welt tut sich dem Besucher auf, die bei der „Venus vom Hohle Fels“vor 35 000 Jahren beginnt und bei den neuesten Trends von „Barby“und „Baby born“endet.
Aus Funden in ägyptischen, griechischen und römischen Gräbern seien menschliche Figuren aus Ton, Knochen, Elfenbein, Alabaster und Holz als Grabbeigaben bekannt, meist in kultischem Zusammenhang, erzählt Renner. Funde in Kindergräbern würden den Schluss nahelegen, dass es in der Antike bereits Spielpuppen für Kinder gab.
Eine Ecke zeigt die gedrechselten Holzpuppen aus Südtirol ab dem 18. Jahrhundert – ein Massenprodukt. Das andere Massenprodukt kam ab den 1880er-Jahren bis nach dem Zweiten Weltkrieg aus hundert Porzellanmanufakturen in Thüringen. Sie belieferten den ganzen europäischen Markt. Die meisten Puppen stehen, sitzen oder liegen, teils in historischen Wiegen oder Puppenwagen, hübsch dekoriert und gekleidet, unverschlossen herum, sodass die Besucher sie auch anfassen könnten.
Nur die ganz besonderen Lieblinge werden durch Vitrinen geschützt, auch die aus der Puppenwerkstatt von Petra Natterer in Leutkirch. Zum Beispiel weinende oder schlafende Kinder, die unglaublich lebensecht wirken. Die Kinder unter den Besuchern wollen die eine oder andere am liebsten mitnehmen, und die Omas erinnern sich an die eigene Kindheit: „So eine hab i au g’habt.“
Wer Lust hat, kann bei der Puppenkünstlerin Lieselotte in ihrer Werkstatt Platz nehmen und ihr „über die Schulter schauen“. Sie füllt gerade eine Gipsform für einen Puppenkopf mit flüssigem Porzellan. Eine bereits angetrocknete Form öffnet sie und nimmt den Kopf heraus. Die weiteren Arbeitsschritte: trocknen, bearbeiten, brennen, Augen einsetzen, Kopfdeckel ausschneiden für die Perücke, schleifen, bemalen, nochmal brennen. Der Kopf sei immer das Wichtigste, er gefällt oder gefällt nicht, der Rest sei ja weitgehend unter der Kleidung versteckt. Alles müsste freilich beweglich sein, egal aus welchem Material.
Lieselotte zieht auch einige Körbe aus dem Regal, gefüllt mit Tausenden Einzelteilen für jede Puppengröße. In anderen Körben warten kaputte Puppen auf die Reparatur. Die Leute bringen ihre Lieblinge von weither zu mir. „Was ich an Zeit hineinstecke, kann ich von den Leuten nicht verlangen“, das sei nicht schlimm, „denn es ist ja mein Hobby“.
„Beide haben eine jahrtausendalte Geschichte.“
Puppen, mehr als nur ein Spielzeug, Kulturobjekt, Modekurier, Erziehungswerkzeug, Spion im Kinderzimmer…Die Ausstellung in der Remise vom Haus Tanne im Kreuzthal- Eisenbach ist bis
28. Oktober Mittwoch bis Sonntag von 11 bis 16 Uhr geöffnet. Gruppenführungen auf Anmeldung jederzeit möglich, Telefon 07569/ 930044.