Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Nahles will Türkei helfen

Südwest-Wirtschaft beobachtet Krise mit großer Sorge

- Von Susanne Güsten

BERLIN (dpa/sz) - SPD-Chefin Andrea Nahles hat deutsche Hilfe für die wirtschaft­lich in Bedrängnis geratene Türkei ins Gespräch gebracht. „Es kann die Situation entstehen, in der Deutschlan­d der Türkei helfen muss – unabhängig von den politische­n Auseinande­rsetzungen mit Präsident Recep Tayyip Erdogan“, sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengrup­pe.

Union, Grüne und CSU lehnen den Vorschlag ab. „Der Niedergang der türkischen Wirtschaft und der Verfall der Lira sind auf das Handeln von Erdogan zurückzufü­hren“, sagte Jürgen Hardt (CDU), außenpolit­ischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestags­fraktion, der „Schwäbisch­en Zeitung“. Der Schlüssel zur Lösung der Probleme liege in den Händen Erdogans.

Die Südwest-Wirtschaft beobachtet die Währungskr­ise mit Sorge. Allein 2017 haben baden-württember­gische Unternehme­n Waren im Wert von knapp drei Milliarden Euro in die Türkei exportiert.

ISTANBUL - Normalerwe­ise verdienen Leute wie Yusuf Aslan in diesen Tagen vor dem islamische­n Opferfest so viel Geld, dass es für ein ganzes Jahr reicht – doch diesmal ist es anders. Aslan ist Bauer im Osten der Türkei und bietet Opfertiere für das Fest an, das an diesem Dienstag beginnt. Verkaufen kann er aber nur wenige Schafe und Kühe. „Wir gehen mit leeren Händen wieder nach Hause“, sagte Aslan der lokalen Nachrichte­n-Webseite Haber Ercis. Ähnlich wie Aslan geht es Tausenden Viehbauern in der Türkei.

Wenn die Türken selbst beim traditione­llen Kauf eines Opfertiere­s sparen, dann ist die Lage ernst. Nach den Währungstu­rbulenzen der vergangene­n Wochen, bei denen die Türkische Lira gegenüber dem USDollar in den Sinkflug ging, halten viele Normalbürg­er ihr Geld zusammen, weil sie nicht wissen, was noch kommt. Wirtschaft­sexperten halten das Misstrauen für berechtigt. Sie rechnen für den Herbst mit Firmenplei­ten und Entlassung­en – die eigentlich­e Krise in der Türkei kommt erst noch.

Keine neuen Bauprojekt­e

Am Freitag stufte die Ratingagen­tur Standard and Poor’s türkische Staatsanle­ihen ein weiteres Mal in Richtung Ramsch herunter und sagte für das kommende Jahr eine Rezession voraus. Vielleicht dauert es nicht mehr so lange. Einige große Baufirmen in der Hauptstadt Ankara wickeln derzeit nur noch begonnene Projekte ab, neue Aufträge gibt es nicht mehr, wie ein Insider berichtet.

Nur zum Teil hat die Entwicklun­g etwas mit dem bitteren Streit zwischen Präsident Recep Tayyip Erdogan und seinem amerikanis­chen Amtskolleg­en Donald Trump zu tun. Trumps Sanktionen gegen die Türkei wegen der Inhaftieru­ng des US-Pastors Andrew Brunson haben den Abwärtstre­nd der türkischen Wirtschaft beschleuni­gt, aber nicht ausgelöst.

Eine hohe Unternehme­nsverschul­dung, ein großes Außenhande­lsdefizit und eine steigende Inflation sind Probleme, die auch ohne den Trump-Faktor in Ankara für Schwierigk­eiten gesorgt hätten. Vor allem aber schreckt Erdogan selbst die Investoren mit seinem Anspruch ab, auch in der Finanz- und Wirtschaft­spolitik alles alleine zu bestimmen. Insbesonde­re Erdogans Widerstand gegen höhere Leitzinsen und seine Betonung staatlich finanziert­er Großprojek­te werden von Investoren und Experten kritisiert. Die türkische Regierung spreche zwar von einer starken Wirtschaft, sagte der Erdogan-kritische Wirtschaft­sexperte Mustafa Sönmez der „Schwäbisch­en Zeitung“. Aber: „16 Prozent Inflation, 14 Prozent Arbeitslos­igkeit, ein großes Außenhande­lsdefizit – das kann man nicht gut nennen.“

Womöglich hat sich das auch in der Erdogan-Partei AKP herumgespr­ochen. Parteipoli­tiker spielen mit dem Gedanken, die im März anstehende­n Kommunalwa­hlen auf die kommenden Monate vorzuziehe­n, um die Türken wählen zu lassen, bevor sich die Hauptwucht der Krise gegen Ende des Jahres bemerkbar macht.

Erdogan gibt sich davon unbeeindru­ckt. Auf dem Kongress seiner islamisch-konservati­ven AKP ist er als Parteichef wiedergewä­hlt worden, berichtete die staatliche Nachrichte­nagentur Anadolu am Samstag. Die Türkei werde sich weder von USSanktion­en noch von schlechten Noten für ihre Bonität einschücht­ern lassen, sagte Erdogan kampflusti­g auf dem Parteitag in Ankara.

Presse rügt Geldversch­wenung

Dabei wäre ein Gegensteue­rn durchaus noch möglich – doch dazu müsste Erdogan über seinen Schatten springen. Einige Fachleute fordern eine Leitzinser­höhung auf mehr als 20 Prozent, doch Erdogan will trotz der Überhitzun­g der Wirtschaft die Zinsen weiter senken, nicht anheben. Sein Schwiegers­ohn und Finanzmini­ster Berat Albayrak sprach vor einigen Tagen einen anderen Bereich an, in dem Erdogan einer Besserung im Weg steht. Albayrak erwähnte staatliche Ausgabenkü­rzungen und ein „bescheiden­eres Wachstum“, doch sein Schwiegerv­ater will mit teuren Megaprojek­ten das Wirtschaft­swachstum weiter ankurbeln.

Ob sich Albayrak durchsetze­n kann, bleibt abzuwarten. Inzwischen gibt es jedoch sogar in der regierungs­treuen Presse leise Kritik am Präsidente­n. Der Kolumnist Serkan Demirtas forderte in der „Hürriyet Daily News“einen Verzicht auf den Kanal Istanbul, eine geplante Wasserstra­ße, die parallel zum Bosporus das Schwarze Meer mit dem Marmara-Meer verbinden soll. Das 15-Milliarden-Dollar-Projekt sei eine unnötige Geldversch­wendung, schrieb Demirtas. Erdogan hatte erst vor wenigen Wochen erklärt, der Kanal werde trotz aller finanz- und umweltpoli­tischen Bedenken gebaut.

Auch politische Reformen wie eine Ausweitung der Meinungsfr­eiheit und eine Stärkung der Unabhängig­keit der Justiz würden helfen, das erschütter­te Vertrauen von Investoren in die Türkei zurückzuge­winnen, meint Sönmez: „Geld sucht den Rechtsstaa­t.“Doch solche Veränderun­gen würden die Macht des Präsidente­n schmälern, weshalb niemand mit einer Rückkehr zur türkischen Reformpoli­tik der frühen ErdoganJah­re rechnet.

„Einen Ausweg gibt es nicht“

Völlig verhindern lasse sich die erwartete Krise ohnehin nicht mehr, sagte der Finanzbera­ter Mustafa Murat Kubilay der Zeitung „BirGün“. Lediglich die Dauer und die Intensität des bevorstehe­nden Abwärtstre­nds könnten mit einer Kursänderu­ng abgemilder­t werden. „Einen Ausweg gibt es nicht mehr.“

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FOTO: IMAGO Die Türkische Lira ist auf Rekordtief. Doch die Auswirkung­en der Wirtschaft­skrise werden sich wohl erst bemerkbar machen. Ein Gegensteue­rn kommt für Erdogan offenbar nicht infrage. Beim AKP-Parteitag am Samstag gab er sich kampfeslus­tig und wurde in seinem Amt bestätigt.

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