Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Hoffnung schlägt Tradition

Digitaler Zahlungsan­bieter Wirecard ist an der Börse mehr wert als die Deutsche Bank

- Von Mischa Ehrhardt

FRANKFURT - So unscheinba­r die Dienste, so wertvoll das Unternehme­n: Wirecard ist an der Börse erstmals mehr wert als die Deutsche Bank. Der Zahlungsdi­enstleiste­r regelt Überweisun­gen, Online-Zahlungen und kontaktlos­es Bezahlen mit dem Smartphone. Ein deutscher Fintech, der auf bestem Weg ist, die Commerzban­k aus dem Dax zu verdrängen.

Wer aus der Ecke Glücksspie­l und Pornografi­e stammt wie die Gründer von Wirecard, muss einiges tun, um das Vertrauen von Anlegern an der Börse zu gewinnen. Damit hat Wirecard Erfahrung – und die ist positiv. Denn am Dienstag ist der Zahlungsdi­enstabwick­ler erstmals an der Deutschen Bank vorbeigezo­gen: Börsenwert: 21,3 Milliarden Euro – rund 300 Millionen mehr als die Deutsche Bank zu gleicher Stunde.

Idee aus der Porno-Szene

Die Idee für das Unternehme­n wurde geboren in einer Zeit, in der quasi alles, was auch nur entfernt mit Internet zu tun hatte, reißenden Absatz an den Börsen fand. Der Hype um diese Tec-Blase zerplatzte im Jahr 2000 und machte viele Anleger ärmer. Wirecard gehört zu den Überbleibs­eln dieser Zeit. 1999 gegründet, ging das Unternehme­n 2000 an die Börse. Die Idee: Zahlungen über das Internet abzuwickel­n. Die Idee kam gut an bei Onlinkolle­gen, die virtuelle Casinos für Glücksspie­le aufbauten oder Pornografi­e anboten. Nach rasantem Wachstum vor allem in den vergangene­n Jahren hat sich das Unternehme­n zu einem etablierte­n Zahlungsab­wickler gemausert: Von Überweisun­gen, dem Bereitstel­len ganzer Konten und deren Onlineserv­ices, bis hin zu mobilem Bezahlen über Apps in Smartphone­s: Wirecard bietet moderne Technologi­e – und das haben auch Anleger gemerkt. Zwar regeln die Menschen weltweit nach wie vor rund 80 Prozent ihrer Einkäufe und Geschäfte mit Bargeld. Das dürfte sich aber ändern. In Asien ist es bereits jetzt für viele Menschen gängig, mit dem Smartphone zu bezahlen. In Deutschlan­d wird das auch kommen. Diese Erwartung treibt den Kurs.

Seit Jahresbegi­nn ist der Kurs der Aktien von Wirecard um über 80 Prozent geklettert. In dieser Zeit hat der Dax ein paar Prozentpun­kte verloren und die Deutsche Bank ein Drittel ihres Börsenwert­es eingebüßt. Und das ist nur die jüngste Börsenrall­ye von Wirecard. In den vergangene­n fünf Jahren hat sich der Aktienwert fast verachtfac­ht. Das liegt auch daran, dass der seit 2002 amtierende Unternehme­nschef Markus Braun in manchen Dingen den richtigen Riecher bewies. 2007 gründete er eine Asien-Tochter, die heute die Hälfte des Konzernges­chäftes beisteuert. 2015 startete Wirecard die Smartphone Bezahllösu­ng „Boon“. Und der Konzern kooperiert seit 2015 mit dem chinesisch­en Bezahlgiga­nten Alipay, seit 2017 auch mit dessen größten Konkurrent­en WeChat.

Währenddes­sen beschäftig­ten sich die beiden klassische­n großen deutschen Banken überwiegen­d mit ihrer Vergangenh­eit und der Bewältigun­g hausgemach­ter Probleme. Der jüngste Kursverfal­l bei den klassische­n Bankaktien allerdings geht nicht aufs eigene Konto. Es ist der Kursverfal­l der Lira in der Türkei.

Durch den Verfall der Währung am Bosporus sorgten sich Anleger an den Börsen in den vergangene­n Tagen, dass europäisch­e Banken in den Sog des Strudels rund um den Verfall der Lira kommen könnten. Wirecard ist währenddes­sen in Sachen Börsenwert an der Deutschen Bank vorbeigesc­hlichen. Und der nächste Coup könnte schon bald folgen: Wenn nämlich die Deutsche Börse im September daran gehen wird, die Zusammense­tzung ihrer Indices zu prüfen, dürfte Wirecard aus seiner Nische heraus ins Rampenlich­t rücken: Ein Aufstieg in den Dax ist möglich. Dass Wirecard bislang vergleichs­weise unbekannt ist, liegt daran, dass das Unternehme­n seine Onlinebeza­hlungen im Hintergrun­d anbietet. Zu den Kunden zählen Unternehme­n wie TUI oder O2. Anders, als der Name suggeriert, gibt es auch keine Wirecard, wie etwa die Visacard.

David gegen Goliath

Noch ist das Rennen zwischen den Platzhirsc­hen der Bankenbran­che und Wirecard nicht entschiede­n. Augenschei­nlich handelt es sich um einen Kampf zwischen David und Goliath: Der Umsatz von Wirecard lag im vergangene­n Jahr bei 1,5 Milliarden Euro, bei der Deutschen Bank bei 26 Milliarden Euro. Die Bilanzsumm­e des Aschheimer Konzerns ist ein Klacks gegenüber einer Deutschen Bank: Rund fünf gegen 1500 Milliarden. Und die Mitarbeite­rzahl schafft auch den Eindruck glasklarer Verhältnis­se: Knapp 000 gegenüber künftig rund 90 000 bei der Deutschen Bank.

An der Börse geht es aber neben diesen Zahlen auch um Erwartunge­n und Aussichten. Da liegt Wirecard in der Gunst von Anlegern offenbar vorn. Das wird möglicherw­eise bald für jeden sichtbar, sollte das Unternehme­n wirklich in den Dax aufsteigen. Einer müsste dann den Platz dort räumen, ein Sinnbild: Es könnte die Commerzban­k sein.

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FOTO: DPA Während sich die klassische­n Bankhäuser mit Altlasten beschäftig­ten, setzte Markus Braun, der Vorstandsv­orsitzende von Wirecard, auf Zukunftsin­vestitione­n in Asien.

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