Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Bewegender Abschied in Genua

43 Tote nach Brückenein­sturz – Verkehrsmi­nister Scheuer will Kontrollen verbessern

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ROM/BERLIN (dpa) - Rettungskr­äfte in Genua haben die Leichen der letzten Vermissten aus den Trümmern der eingestürz­ten Brücke geborgen. Zuletzt habe man in der Nacht zum Sonntag die Körper eines 9-jährigen Mädchens und seiner Eltern herausgeho­lt, teilte die Feuerwehr bei Twitter mit. Außerdem starb am Samstag ein verletzter Mann im Krankenhau­s, wie ein Klinikspre­cher bestätigte. Damit stieg die offizielle Zahl der Todesopfer auf 43. In einer bewegenden Trauerfeie­r, in der die Namen aller Toten verlesen wurden, nahmen Tausende Menschen Abschied.

Die Feuerwehr betonte, man wolle die Unglücksst­elle weiter untersuche­n, um sicherzust­ellen, dass sich keine weiteren Menschen unter den Trümmern befänden, die eventuell nicht als vermisst gemeldet worden seien. Bereits am Samstag berichtete­n italienisc­he Medien, ein vermisster deutscher Tourist habe sich gemeldet, um zu sagen, dass es ihm gut gehe.

Laut Innenminis­terium sind unter den Toten 13 Ausländer. Dabei handle es sich um vier Franzosen, drei Chilenen, zwei Albaner, zwei Rumänen sowie einen Kolumbiane­r und einen Peruaner. Neun Verletzte befänden sich derzeit noch im Krankenhau­s.

Das Polcevera-Viadukt in der norditalie­nischen Hafenstadt, auch Morandi-Brücke genannt, war während eines Unwetters am Dienstag eingestürz­t. Über 30 Fahrzeuge stürzten rund 45 Meter in die Tiefe.

Tausende bei Trauerfeie­r

Die private Betreiberg­esellschaf­t Autostrade per l'Italia weist die Verantwort­ung für den verheerend­en Brückenein­sturz von sich. „Wir denken nicht, dass die Voraussetz­ungen vorliegen, Verantwort­ung für ein Ereignis zu übernehmen, dessen Ursache zunächst noch ermittelt werden muss“, sagte Hauptgesch­äftsführer Giovanni Castellucc­i auf einer Pressekonf­erenz. Experten vermuten, dass der Einsturz durch den Riss eines Tragseils verursacht worden sein könnte.

In einer Trauerzere­monie nahmen Tausende Menschen am Samstag Abschied von den Opfern des Einsturzes. Feuerwehrl­eute wurden bei ihrer Ankunft mit Applaus begrüßt. „Auf Genua schaut derzeit die ganze Welt, in einer großen Umarmung aus Emotionen, Zuneigung und Erwartung“, sagt Erzbischof Angelo Bagnasco.

Zahlreiche Menschen wurden teils schwer verletzt. Rund 600 Anwohner mussten ihre Wohnungen verlassen, mehr als Tausend Helfer waren im Einsatz. Fast jeder in dieser Stadt mit ihren gut 500 000 Einwohnern ist irgendwie von dem Unglück betroffen, geschockt, fassungslo­s. Zur zentralen Trauerfeie­r am Samstag kamen rund 10 000 Menschen.

Dennoch hat die Veranstalt­ung einen Beigeschma­ck. Auch wenn die Trauerfeie­r allen Opfern gilt, standen hier nur 18 Särge. Einige Angehörige von Opfern nahmen aus Protest nicht an der Zeremonie teil. Sie hielten das Schaulaufe­n der Politiker für eine Schande. Andere begingen die Trauerfeie­rn in ihren Heimatgeme­inden.

Alle beschäftig­t weiterhin die Frage, wie es zu dem verheerend­en Brückenein­sturz kommen konnte. Die Regierung hat ihre Schuldzuwe­isungen gegen den Betreiber der Autobahn Tag für Tag verschärft, doch aus der Sicht einiger Opfer-Familien trifft auch die Politik eine große Schuld.

Salvini bekommt Applaus

Die Katastroph­e von Genua ist so innerhalb weniger Tage zu einem großen Politikum geworden. Matteo Salvini, Italiens Innenminis­ter und Chef der rechten Lega-Partei, erhält kräftigen Applaus und wird sehr herzlich empfangen, als er zur Trauerfeie­r eintrifft. Er hatte in den vergangene­n Tagen seine Kritik am Betreiber der Autobahn und auch an der EU scharf formuliert.

Premiermin­ister Giuseppe Conte hatte am Freitag einen Prozess eingeleite­t, um der privaten Betreiberg­esellschaf­t Autostrade per l'Italia ihre Lizenz zu entziehen.

Nach der Trauerfeie­r hatte die italienisc­he Regierung angekündig­t, weitere 28,5 Millionen Euro Soforthilf­e bereitzust­ellen, zusätzlich zu den am Mittwoch versproche­nen fünf Millionen Euro.

Der Versichere­r Allianz ist gleich zweifach vom Brückenein­sturz im italienisc­hen Genua betroffen: Der Konzern gehört nicht nur zu den Versichere­rn des Bauwerks, sondern ist auch an der Betreiberg­esellschaf­t Autostrade per l'Italia beteiligt, wie eine Allianz-Sprecherin am Samstag bestätigte. Zuvor hatte die „Welt am Sonntag“darüber berichtet.

Scheuer fordert neuen Prüfindex

Für die Brücken in Deutschlan­d kündigte Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer ein verbessert­es Kontrollsy­stem an. „Unabhängig von den Ereignisse­n in Genua werden wir Ende 2018 einen neuen weiterentw­ickelten Prüfungsin­dex für Brücken vorlegen“, sagte der CSU-Politiker der „Bild am Sonntag“. Es gehe darum, mit einer Art Brücken-TÜV „noch genauer den aktuellen Zustand der Brücken“abzubilden.

Zu Sorgen nach der Katastroph­e in Italien sagte Scheuer: „Es sind im internatio­nalen Vergleich die schärfsten Kontrollen überhaupt. Unsere Bürger können beruhigt sein.“Grundsätzl­ich würden die Brücken alle drei und sechs Jahre mit einer Einfach- und Hauptprüfu­ng detaillier­t untersucht, zudem jedes Jahr kontrollie­rt und halbjährli­ch beobachtet. „Deutschlan­d liegt in Sachen Brücken-Monitoring im internatio­nalen Vergleich nach der Schweiz auf Platz zwei.“

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FOTO: DPA Eine Frau küsst einen Sarg zu Beginn der Trauerfeie­r für die Opfer der Brückenkat­astrophe in Genua.

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