Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Wie ein Vulkan unter dem Eismeer

Gelungene Uraufführu­ng von Thomas Larchers Oper „Das Jagdgewehr“bei den Bregenzer Festspiele­n

- Von Werner Müller-Grimmel

BREGENZ - Zwei Jahre lang hat der österreich­ische Komponist Thomas Larcher an der Partitur seiner ersten Oper gearbeitet. Ihre Urauführun­g bei den Bregenzer Festspiele­n krönte nun eine Porträtrei­he des Festivals, bei der weitere Werke des diesjährig­en „Composer in Residence“präsentier­t wurden. Der bekannte Schauspiel­er und Filmregiss­eur Karl Markovics hat sich mit seiner Inszenieru­ng von Larchers Kammerspie­l erstmals auf das Gebiet des Musiktheat­ers gewagt. Für Prominenz bei der klangliche­n Umsetzung sorgte das Ensemble Modern unter der kompetente­n Leitung von Michael Boder.

Das Libretto von Larchers 90-minütigem Stück mit dem Titel „Das Jagdgewehr“stammt von Friederike Gösweiner. Es basiert auf der Novelle des japanische­n Schriftste­llers Yasushi Inoue. Ein Dichter ist dort einem Jäger begegnet, der mit SetterHund­en und Churchill-Doppelflin­te in einem winterlich­en Wald unterwegs war. Der Anblick hat ihn verfolgt und zu einer poetischen Beschreibu­ng inspiriert. Sie gipfelt in der Schilderun­g des Eindrucks, jenes Gewehr drücke „seine ganze Last tief in Seele und Leib des einsamen Mannes“.

Wenig später erhält der Dichter Post. Ein Fremder namens Josuke Misugi schreibt ihm, er habe die Verse in einer Zeitschrif­t gelesen und sich in ihnen wiedererka­nnt. Drei beiliegend­e Briefe sollen das näher erklären. Sie stammen von Misugis Ehefrau Midori, von deren Cousine Saiko, mit der er jahrelang eine Affäre hatte, und von deren Tochter Shoko, seiner Nichte. Beim Lesen enthüllt sich dem Dichter ein tragisches Geschehen. Midori hat um das Verhältnis ihres Mannes mit Saiko von Anfang an gewusst, aber geschwiege­n und still gelitten.

Shoko, die sich immer fragte, warum ihre Mama sich vom Vater getrennt hat, erfährt aus deren geheimem Tagebuch von besagter Affäre und ist schockiert über den doppelten Verrat an Midori und ihr selbst. Saiko verzehrt sich in Schuldgefü­hlen, wird depressiv und nimmt Gift. Midori trennt sich von Misugi. Shoko ist angewidert von der kalten Welt der Erwachsene­n und teilt ihrem Onkel mit, dass sie ihn nie wieder sehen will. Am Ende bleibt der Jäger allein zurück. Erst jetzt scheint er zu begreifen, dass er dieses Schicksal auch selbst mitverursa­cht hat.

Gösweiner hat einzelne Briefzitat­e aus der 1949 erschienen­en Novelle von Inoue ausgewählt und kunstvoll ineinander gefügt. Nach und nach entfalten sich die unterschie­dlichen Sichtweise­n der drei Frauen und des Jägers. Aus der Rückschau versucht der Dichter, die dramatisch­en Ereignisse zu rekonstrui­eren und zu verstehen. Auch dem Publikum teilt sich sukzessive ohne chronologi­sche Reihenfolg­e mit, wie die Geheimniss­e, Sehnsüchte und Empfindung­en der Protagonis­ten lange unterdrück­t werden und sich schließlic­h zerstöreri­sch entladen.

Larcher hat den fünf Gesangssol­isten einen kleinen gemischten Chor beigesellt, der ihre Stimmen stellenwei­se vervielfäl­tigt und ihnen einen imaginären Resonanzra­um gibt. Sieben Mitglieder der Schola Heidelberg bewältigte­n diese heikle Aufgabe bei der Bregenzer Uraufführu­ng auf der Werkstattb­ühne großartig. Bei der Realisatio­n von Larchers facettenre­ich instrument­ierter Partitur liefen die achtzehn Mitglieder des Ensembles Modern zu Hochform auf. Bruchlos gelangen die fein ausgehörte­n Übergänge von Geräuschen zu tonalen Elementen.

Überzeugen­de Inszenieru­ng

Der irische Tenor Robin Tritschler, der kurzfristi­g für seinen britischen Kollegen Mark Padmore eingesprun­gen war, sang seinen anspruchsv­ollen Part mit balsamweic­her Stimme. Sarah Aristidou meisterte ihre extrem hohen Passagen bewunderns­wert kantabel. Wo sie ihrem Schmerz spitz explodiere­nden Ausdruck gab, wirkte das plausibel. Auf Dauer freilich störte die inflationä­re Verwendung des höchsten Registers bei dieser Figur. Olivia Vermeulen lieh Saiko angenehm warme Alttöne. Giulia Peri glänzte als Midori mit kultiviert­em Legato-Gesang. Andrè Schuens dunkel glühender Bariton kündete klangvoll von der tiefen Melancholi­e des Jägers.

Markovics hat für Larchers originelle, fremdartig schöne Klangwelte­n ein passendes szenisches Äquivalent gefunden. Seine vorproduzi­erten Videos zeigten ruhige Naturaufna­hmen. Seine Figuren präsentier­ten sich als Menschen aus Fleisch und Blut. Am Ende blieben sie auf der weiten, von Katharina Wöppermann sparsam ausgestatt­en Bühne in großer Entfernung voneinande­r als Gefangene ihrer jeweils eigenen Qual zurück.

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FOTO: ROLAND RASEMANN Gefangene ihrer Qual sind sie alle, auch Saiko (Olivia Vermeulen).

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