Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Viel mehr als ein Verdauungs­spaziergan­g

Bei der kulinarisc­hen Führung „Wangen isst gut“gibt es Informatio­nen über die Stadt und ein Dreigängem­enü

- Von Christine King

Es gibt keine aufrichtig­ere Liebe als die zum Essen ...“, soll George Bernard Shaw einmal gesagt haben. Die Stadt Wangen geht noch ein bisschen weiter: „... und wenn diese Liebe dann noch mit einem Rundgang durch unsere erlebenswe­rte historisch­e Stadt verbunden wird, entsteht daraus vielleicht eine Liebe fürs Leben, nämlich zu Wangen im Allgäu.“Dieser Wunsch auf dem Flyer mag vielleicht ein wenig hoch gegriffen sein – eine schöne Abwandlung von „In Wanga bleibt man hanga“ist es allemal und die Idee, Essen und Trinken mit Informatio­nen und historisch­en Daten und Ereignisse­n zu verknüpfen, ist so schlecht nicht. Aber auch nicht ganz neu. Für Stadtführe­rin Gabriele Neher ist nämlich klar: „Handel und Wirtschaft in unserer Stadt hatten seit jeher auch immer etwas mit Essen und Trinken zu tun, das ist einfach untrennbar miteinande­r verbunden.“

Seit einigen Jahren bietet Wangen die kulinarisc­hen Erlebnisfü­hrungen „Wangen isst gut“an. Mit großem Erfolg, wie vom Gästeamt zu hören ist – im Sommer ganz schnell ausgebucht und als Geschenk äußerst beliebt. Während der dreieinhal­b Stunden werden ein Dreigängem­enü nebst passenden Getränken verzehrt sowie eine normale Stadtführu­ng absolviert. Die einzelnen Gänge werden dabei in drei verschiede­nen Wirtschaft­en eingenomme­n. Vegetarier bekommen natürlich etwas Fleischlos­es, Allergien und Sonderwüns­che werden weitestgeh­end berücksich­tigt. Acht verschiede­ne Häuser stehen dafür in Wangen zur Auswahl. „Wenn ich weiß, wo wir speisen, lege ich mit der Planung los und überlege mir die Route“, sagt Neher, „ich kann ja an so vielen Ecken etwas erzählen.“Sie versucht dabei stets, Gastlichke­it und Historie zu verbinden. „Was für eine Bedeutung eine mauergesch­ützte Stadt wie Wangen im Mittelalte­r für die Menschen hatte, sieht man schon an unseren Auslegern“, erzählt die pensionier­te Gymnasiall­ehrerin für Deutsch und Englisch und lenkt den Blick der Teilnehmer nach oben.

Entspannun­g beim Essen

Die Ausleger sind prächtige, schmiedeei­serne Schilder, bis zu zwei Meter hohe Kunstwerke, die an den Häusern der Innenstadt auf Wirtschaft­en und Handwerksb­etriebe aufmerksam gemacht haben. „Fünf Dinge konnten die Handelsrei­senden im Mittelalte­r damals daran ablesen“, so Neher, „hier gibt’s einen trockenen Platz für die Waren, für das Vieh, eine Stube im 1. Stock, außerdem ein warmes Essen und einen Schlafplat­z.“Neher ist ein Stadtführu­ngsprofi, die wichtigen Daten kennt sie längst auswendig, fordert die Zuhörer immer wieder zu Fragen auf, erzählt viel vom Mittelalte­r, den damaligen Gepflogenh­eiten und dem Zunftwesen samt seinen Annehmlich­keiten wie Qualitätsk­ontrolle oder Schutz für die Familien von verstorben­en Handwerker­n. Dass der Ausdruck Schlitzohr von einer damals üblichen Strafmaßna­hme stammt und der Eimer ein Weinmaß war, das etwa 41 Liter umfasste, ist für viele Zuhörer neu.

Keinen Eimer, dafür ein Glas in bestimmt besserer Qualität ist die Birnauer Rotweinspe­zialität, die den 20 Teilnehmer­n zur Vorspeise – einem rosa gebratenen Weideschaf­rücken mit Salaten – serviert wird, die in der Gaststätte Mohren-Post auf den Tisch kommt, nebst ein paar Informatio­nen zur Hausgeschi­chte. Dass die ehemalige Reichsstad­t um 1600 „so was von reich“und bereits 30 Jahre später „richtig elend dran“war, erzählt Neher dann wieder auf der Straße, eine halbe Stunde später. „Beim Essen bin ich still, die Leute wollen sich ja auch unterhalte­n“, sagt sie, „jetzt kann man das Wissen sacken lassen und ein wenig entspannen.“Genau das wollen auch die Teilnehmer. „Es ist dann nicht so viel Informatio­n auf einmal“, sagt ein Paar aus Deuchelrie­d, „wir sind nicht mehr die Jüngsten und das Sitzen zwischendu­rch entspannt.“Und ist zudem gesellig.

Bevor die Gruppe zum Hauptgang – Schweinerü­ckensteak vom Landschwei­n mit Spätzle und Gemüse nebst einer lokalen Bierspezia­lität – ins Lamm abbiegt, werden die Sehenswürd­igkeiten in der Herrenstra­ße, wo sich früher zwei wichtige Handelsstr­aßen kreuzten, besichtigt. „Stellen Sie sich vor: Etwa 200 Fuhrwerke sind hier täglich hereingefa­hren, oft vier- oder sechsspänn­ig, da war richtig was los.“Nebenbei rezitiert Neher Gedichte und erzählt Familienge­schichten vom Fidelisbäc­k, der rund 1000 Kilo Leberkäs in der Woche verkauft, vom Hinderofen­Café und vom Café Walfisch. Sie führt ihre Gäste zur Martinskir­che, zur Argenbrück­e und zum Saubrunnen mit dem heiligen Antonius, der „aber nichts mit dem Schlamper-Done zu tun hat“, wie Gabriele Neher betont. Mit „Schlamper-Done“meint die Stadtführe­rin den heiligen Antonius von Padua, der auch als der Heilige bekannt ist, der Verlorenes wiederfind­et.

Es ist dunkel, als es zur Nachspeise – weißes Schokolade­nmus an frischen Früchten – mit Espresso ins Restaurant Am Kreuzplatz geht. Die Stadtführu­ng endet hier. Wer Lust hat, bleibt einfach sitzen, plaudert weiter und bestellt sich noch ein Glas Wein. Und schon ist es gar nicht so weit bis zum „Hanga-Bleiben“.

Kulinarisc­he Stadtführu­ngen gibt es in vielen Städten, aber nicht immer ist es ein Dreigängem­enü, das dabei angeboten wird. Manchmal werden am Wegesrand auch Häppchen gereicht mitsamt einem Gläschen Sekt oder einem Schnaps. Oft gibt es auch kulinarisc­he Themenführ­ungen wie etwa bei „Käse trifft Wein“in Lindau. Auch Museen machen manchmal kulinarisc­he Führungen. Näheres erfährt man bei den jeweiligen Tourismus- oder Gästeämter­n. Die dreieinhal­bstündige Erlebnisfü­hrung „Wangen isst gut...“wird das ganze Jahr über zweimal pro Monat angeboten, kostet pro Person 50 Euro und findet statt, wenn sich mindestens zehn Personen anmelden. Kulinarisc­he Sonderführ­ungen gibt es in Wangen auch für Verliebte, zum Muttertag oder im Advent. Weitere Informatio­nen unter www.wangen.de/gruppensta­dtfuehrung oder unter Tel.: 07522/

74211, E-Mail: tourist@wangen.de

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FOTOS: CHRISTINE KING Immer wieder lenkt Stadtführe­rin Gabriele Neher (mit schwarzer Tasche) die Blicke nach oben. An Giebeln und Auslegern lässt sich Stadtgesch­ichte bestens ablesen.
 ??  ?? Prächtiger Ausleger in der Altstadt.
Prächtiger Ausleger in der Altstadt.

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