Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Hutgeschichten aus vergangenen Zeiten
Isnyer Kleinode: Der Zylinder – einst noble Kopfbedeckung, heute historische Verkleidung
ISNY - Mit dem Umzug des „Museums am Mühlturm“ins Schloss Isny ist zwangsläufig die Inventarisierung des Bestandes verbunden – Ute Seibold, die Museumsleiterin, und ihre ehrenamtliche Mitarbeiterschaft sind dieses Jahr mit Hingabe damit beschäftigt: „Wenn wir den riesigen Bestand so detailliert wie möglich aufnehmen, können wir am neuen Ort umso leichter themenbezogen damit umgehen“, sagt Seibold.
„Immer wieder fallen mir Objekte in die Hände, die sicher keine einmalige kunsthistorische Kleinode darstellen – aber doch Überraschungen, Relikte –, die für mich zum Türöffner werden in eine bestimmte Isnyer Zeitepoche, mit einer bestimmten Mode, mit Gewohnheiten, Brauchtum, vielleicht sogar zu Fragen der Herstellung führen, zu Läden und Menschenschicksalen“, erklärt die Museumsleiterin.
Auf dem Tisch in ihrem Büro liegen zwei Zylinder, je mit originalen Schachteln und Deckeln: „Hutlager Wilhelm Jann“. Auf dem Deckel der Aufdruck: „Neueste Mode – Fabriklager – alle Sorten – Deutsche Industrie – Seiden-Filze und Strohhüte – große Auswahl.“Die Museumsleiterin legt ein Foto aus dem Jahr 1901 dazu. Die Menschen in der Wassertorstraße – vermutlich an einem Sonntag aufgenommen – tragen alle Hüte, Männer wie Frauen, einige Männer vornehm mit Frack und Zylinder gekleidet.
„Ich frage mich, ob es in Isny Hutwerkstätten gab und auch Hut-Läden – und schon bin ich drin in der jüngeren Geschichte der Stadt, für die es vielleicht sogar noch Zeitzeugen gibt, die davon authentisch erzählen können“, spekuliert Seibold.
Ihre Recherche zeitigte folgende Erkenntnisse: Es muss einst einen Hut-Laden Meißburger in der Obertorstraße gegeben haben, und auch den Hut-Laden Kicherer in der Wassertorstraße, dort wo sich heute die Drogerie Binger befindet. Der wohl traditionsreichste und letzte Hut-Laden war jener der Familie Belli. 30 Jahre befand er sich in der Obertorstraße, dann kurze Jahre in der Bahnhofstraße und ab 1952 in der Espantorstraße, geführt von Karoline Belli und deren Tochter Maria, die selbst gelernte Hutmachermeisterin war. Von 1958 bis zum Ende im Jahr 1966 hatte dort auch Tochter Christine Kullmann im Laden und in der Hutherstellung mitgearbeitet.
„Die Holzformen und Rohlinge haben wir von der Hutfabrik in Lindenberg bezogen. Der Filz wurde unter Dampf über das Modell drübergezogen und der Hutrand mit der Hand geformt“, erzählt Christine Kullmann. Die Schlussphase der Hutherstellung sei dann noch das Dekorieren gewesen mit Bändern, Blümchen, Federn und Schleier. Zylinder hätten sie nicht selbst gefertigt, sondern aus Lindenberg dazugekauft.
Bald nach dem Krieg sei die Zylinder-Ära zu Ende gegangen. Der „Homburger“habe den Zylinder abgelöst. Frack und Zylinder, die noble Männermode, war allenfalls noch zur historischen Verkleidung gefragt, als Trachtenmode, für einen historischen Festzug, in Burschenschaften oder bei den Freimaurern, weiß Kullmann.
Auch Serienfertigung
Zum Hut-Lager Wilhelm Jann lässt sich nur so viel feststellen: Der 1855 geborene Ulmer Hutmacher hat 1879 nach Isny geheiratet und hatte hier wohl bald eine Zylinderwerkstatt betrieben. Der Aufdruck auf dem Schachteldeckel lässt vermuten, dass es sich hierbei nicht nur um Einzelanfertigungen auf Bestellung handelte, sondern lässt auf eine gewisse Serienfertigung, Export und auch auf Lagerhaltung schließen.
Die Isnyer Strohhutfabrik – Spezialitäten an Herren-, Knaben-, Kinderund Mädchen-Strohhüten, Spezialitäten für den Export – muss dagegen „Rang und Namen“gehabt haben. Der Chef schickte seine Außendienstmitarbeiter mit folgender Empfehlung ins Land: „Hiermit erlaube ich mir die ergebene Anzeige, dass jemand aus meinem Hause binnen Kurzem die Ehre haben wird, Ihnen seine Aufwartung zu machen. Sie höflichst bittend, denselben mit Ihren werthen Aufträgen beehren zu wollen, empfehle ich mich mit aller Hochachtung. Strohhutfabrik Isny.“