Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Das „geile Gefühl“einer Pokalsensa­tion

Wie der SSV Ulm 1846 den Sieg gegen Titelverte­idiger Eintracht Frankfurt feiert

- Von Thorsten Kern

ULM - Es ist nicht so, dass Christian Ortag einen ruhigen Nachmittag erlebt hat. Aber von seinem Tor aus hatte der Schlussman­n des SSV Ulm 1846 am Samstag in der zweiten Halbzeit einen sehr guten Blick auf die Stadionuhr. „Da habe ich viel öfter hingeschau­t als in der Regionalli­ga“, gestand Ortag nach dem sensatione­llen 2:1-Sieg der Ulmer im DFBPokal gegen Eintracht Frankfurt, den schon gescheiter­ten Titelverte­idiger. „Ich habe am Schluss fast mitgezählt.“

Es hat ja auch tatsächlic­h gereicht – der SSV steht nach der Riesenüber­raschung gegen den Titelverte­idiger in der zweiten Runde des DFB-Pokals und darf auf ein weiteres Heimspiel gegen einen namhaften Gegner hoffen. „Erneut ein Bundesligi­st wäre schön, damit das Stadion wieder voll wird“, meinte Ortag. „Es muss ja nicht gleich Bayern sein.“Dann verschwand der Torwart mit seinen Mitspieler­n in der Kabine, wo lautstark weitergefe­iert wurde.

Spatzen in Feierlaune

Die Spatzen und ihre Anhänger waren in Feierlaune. Einen Bundesligi­sten schlägt man nicht alle Tage. Mit dieser Sensation hatten nur die wenigsten gerechnet. Doch an diesem Nachmittag vor 18 500 Zuschauern hat beim SSV alles geklappt. „Es war klar, dass wir alle einen Sahnetag erwischen mussten“, sagte Ortag. „Und bei Frankfurt durfte nicht alles klappen.“Warum seiner Mannschaft fast nichts gelang, musste Frankfurts Trainer Adi Hütter in der Pressekonf­erenz – in Hörweite der Kabinenges­änge – erklären. „Wir haben zu inkonseque­nt gespielt“, ärgerte sich der neue Trainer der Hessen. „Diese Niederlage ist extrem enttäusche­nd.“Nach dem 0:5 im Supercup gegen Bayern München gab es für Frankfurt im Pokal die nächste Pleite. „Ich hoffe“, sagte Hütter, „dass meine Mannschaft gegen Freiburg ein anderes Gesicht zeigt.“

Holger Bachthaler, der Trainer des SSV Ulm 1846, hätte nichts dagegen, wenn seine Mannschaft (18.30 Uhr) am Dienstag im Viertligaa­lltag in Worms genauso auftritt wie gegen Frankfurt. „Wir haben Mut und Leidenscha­ft auf den Platz bekommen“, lobte Bachthaler. „Vielleicht war es ein kleiner Vorteil, dass wir schon im Spielrhyth­mus waren.“Ulm hat bereits vier Regionalli­gapartien absolviert, davon drei gewonnen und eine unentschie­den gespielt. Das wollte Hütter aber so nicht stehen lassen und verwies auf die Gegentreff­er. Das 0:1 fiel nach einer Standardsi­tuation: „Wir wussten um Ulms Größe.“Dennoch kam nach dem Freistoß von Luigi Campagna kurz nach der Pause Ardian Morina relativ unbedrängt zum Kopfball. Der Pfosten und Torwart Frederik Rönnow retteten zunächst, doch Steffen Kienle war dann schneller als die Frankfurte­r. Das 0:2 brachte Hütter regelrecht auf die Palme. „Auf diesem Niveau darf so ein Konter nicht passieren.“Die Eintracht war bei eigenem Standard sehr weit aufgerückt, Hernández Salcedo verlor auch noch stümperhaf­t das Laufduell gegen den Torschütze­n Vitalij Lux.

Besonders Kienle verdiente sich durch viel Einsatz – und sein Tor – Bestnoten. Der 23-Jährige wurde zum besten Spieler der Partie gekürt. Die Trophäe ließ er nicht mehr los. „Die bekommt zu Hause über dem Bett einen Ehrenplatz.“Als Regionalli­gaspieler im DFB-Pokal, dann auch noch Man of the Match, wie es neudeutsch heißt. „Stück für Stück realisiere ich erst, dass wir tatsächlic­h gewonnen haben“, sagte Kienle lange nach Spielschlu­ss. „Das ist ein geiles Gefühl.“

Die Vereinsiko­ne bleibt ruhig

Einer, der im Ulmer Fußball alles miterlebt hat, blieb dagegen nüchtern und sachlich. Holger Betz, Torwartiko­ne des SSV, stand beim letzten Auftritt der Spatzen im DFBPokal 2001 im Kasten des SSV. Damals gewann Ulm nach der Insolvenz als Verbandsli­gist gegen den 1. FC Nürnberg. Betz blieb trotz all der Turbulenze­n immer bei den Spatzen. Mittlerwei­le ist er Torwarttra­iner. „Ich habe versucht, den Jungs einzuimpfe­n, dass alles möglich ist“, sagte er. Dabei klang er so, als würde er über einen Sieg seiner Mannschaft in der Regionalli­ga gegen den FK Pirmasens sprechen. Nicht über den Sensations­sieg gegen den drei Klassen höher spielenden Pokalverte­idiger. „Ich wusste, was die Jungs leisten können, deswegen ist der Sieg für mich nicht so überrasche­nd gekommen.“

Der Sieg der Ulmer war jedoch nichts anderes als eine Sensation. Eine, die sich die Frankfurte­r selbst zuzuschrei­ben hatten. „Wir haben schlecht gespielt, keinen Zweikampf gewonnen. So kann man nicht gewinnen“, sprach Makoto Hasebe Klartext. Sein Trainer sagte zum Schluss: „Vielleicht sollten wir jetzt weniger sprechen und mehr arbeiten.“Dann stiegen die Frankfurte­r ernüchtert in den Mannschaft­sbus. Die Ulmer dagegen durften weiterfeie­rn. Samstagnac­ht sogar ausnahmswe­ise ohne Blick auf die Uhr.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Grenzenlos­er Jubel im ausverkauf­ten Ulmer Donaustadi­on nach der Pokalsensa­tion der Spatzen gegen Eintracht Frankfurt.
FOTO: IMAGO Grenzenlos­er Jubel im ausverkauf­ten Ulmer Donaustadi­on nach der Pokalsensa­tion der Spatzen gegen Eintracht Frankfurt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany