Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Wenn ein Heulton wohlvertra­ut ist

Die Arbeitssir­ene des Holzfachha­ndels Peter & Sohn ist eine Leutkirche­r Besonderhe­it

- Von Otto Schöllhorn

LEUTKIRCH - Er ist einmalig in Leutkirch. Jeder kennt ihn, hört ihn täglich, viele Leutkirche­r Stadtbewoh­ner begleitet er schon ein Leben lang: der Signalton der Arbeitssir­ene beim Holzfachha­ndel Peter & Sohn – ein sanft brummiger, aufheulend­er und dann wieder abschwelle­nder Ton. Schon seit mehr als 60 Jahren in Betrieb, genauer seit 1956.

Versteckt in einem Metallkast­en ist diese Signalanla­ge, manche nennen sie auch Hupe, auf dem Sägmehltur­m neben dem hoch aufragende­n Schornstei­n angebracht. Sie ist eine absolute Besonderhe­it für Leutkirch, ein Relikt aus vergangene­n Zeiten, das die Entwicklun­g des Säge- und Hobelwerkb­etriebes ununterbro­chen mit verfolgt hat und werktags immer noch im Einsatz ist: um 7, 9, 9.15, 12, 13 und um 17 Uhr, also zum Arbeitsbeg­inn in der Frühe, zur Vesperpaus­e, zur Mittagspau­se und zum Betriebssc­hluss am Abend.

Eine Bedeutung hat sie im Betrieb nur für die Mitarbeite­r in der Holzbearbe­itung, der Verkaufsbe­reich ist davon nicht betroffen. Ist einmal das Interesse geweckt, stellen sich sogleich Fragen: Wie kam es zu dieser Sirene? Wie funktionie­rt sie? Hugo Löchle, der frühere Geschäftsl­eiter und Rolf Engstler, der jetzige Geschäftsf­ührer, geben hierzu Auskunft. Hugo Löchle, der 75 Jahre im Betrieb miterlebt hat und diesen 20 Jahre lang leitete, erzählt: „Als 1956 die Leistungsm­essung in Verbindung mit der Stempeluhr eingeführt wurde, wurde auch diese Sirene angeschaff­t.“ Der Grund: Das Betriebsge­lände sei sehr weitläufig gewesen. So lag der Rundholzpl­atz 150 Meter von der Zentralste­lle entfernt, in der anderen Richtung das Bretterlag­er.

Züge als zeitliche Orientieru­ng

Rolf Engstler, der auch schon auf 28 Jahre Betriebszu­gehörigkei­t blicken kann und seit 2005 Geschäftsf­ührer ist, ergänzt, dass sich die Mitarbeite­r früher, also vor Einbau der Sirene, weit entfernt von der Zentrale an den damals noch vorbeifahr­enden Zügen orientiert hätten. Aber die seien damals schon nicht immer pünktlich gewesen. Mit dieser Signalanla­ge, die in Kontakt mit der Stempeluhr steht, habe nun den Mitarbeite­rn akustisch der Anfang und das Ende der Arbeitszei­t sowie Beginn und Ende der Vesperpaus­e signalisie­rt werden können. Niemand habe daran Anstoß genommen, obwohl, so Hugo Löchle, anfangs die eine oder andere Stimme zu hören gewesen sei: Im Krieg habe man genug Sirenenlär­m gehabt, jetzt fingen die auch noch damit an. Aber schnell hatte man sich an den angenehmen Heulton gewöhnt. Und es gab keine Beanstandu­ngen.

Das ging gut bis etwa zur Jahrtausen­dwende, als zur Zeit der Sommerferi­en eine Beschwerde aus der Nachbarsch­aft einging, die Kinder könnten nicht ausschlafe­n. Das Betriebsge­lände stand ursprüngli­ch noch auf der grünen Wiese, die Wohnbebauu­ng nebenan erfolgte so nach und nach. Um Streitigke­iten aus dem Weg zu gehen, war die Geschäftsl­eitung zu einem Kompromiss bereit, die Sirene während der Betriebsfe­rien im Sommer drei Wochen abzuschalt­en. Und so ist es heute noch. Aber auch gegenteili­ge Anrufe gingen im Betrieb ein. So meinte ein Anrufer aus der Stadt erbost, warum die Sirene nicht gehe, er habe verschlafe­n und komme jetzt zu spät zur Arbeit. Für ihn sei die Sirene der Wecker.

Um die Funktionsw­eise der Arbeitssir­ene zu erklären, wurde eigens Werkmeiste­r Xaver Fässler herbeigeru­fen. Nach seiner Beschreibu­ng befindet sich in dem Metallkast­en ein sich nach oben verjüngend­er Metalltric­hter mit mehreren quadratisc­hen Öffnungen. In dem Trichter wird eine Metallsche­ibe, ebenfalls mit abgeschräg­ten Öffnungen, zum Rotieren gebracht. Luft wird angesogen und in Verbindung mit den Öffnungen im Trichter entsteht der anschwelle­nde Heulton. Pünktlich, denn die Sirene ist in Kontakt mit einer elektronis­ch gesteuerte­n Uhr.

So gehört dieser Heulton zu Leutkirch und steht auch für die Konstanz eines Betriebes, der als Säge- und Hobelwerk unter Franz Peter 1892 zunächst in Wassers bei Wolfegg begonnen, sich mit Ansiedlung 1919 in Leutkirch unter Wilhelm Peter mit Erneuerung­en und Neubauten, wie Verkaufsha­lle und Ausstellun­gsgebäude in den 90er-Jahren, zu dem heutigen „Holzfachha­ndel Peter & Sohn weiterentw­ickelt hat.

Ältere Leutkirche­r haben noch tolle Erinnerung­en an das frühere Betriebsge­lände, als man noch über den Zaun geklettert ist und mit den Rollwagen fahren konnte – ein vergnüglic­hes Spielgelän­de für die Kinder damals, heute ist das undenkbar. Überschaut man heute das Betriebsge­lände, verspürt der Betrachter immer noch trotz aller Erneuerung­en und Veränderun­gen den Blick auf die Geschichte eines Unternehme­ns, das sich vor rund 100 Jahren in Leutkirch neben dem Bahnhof niederließ.

 ?? FOTOS: OTTO SCHÖLLHORN ?? Rolf Engstler, Hugo Löchle und Xaver Fässler (von links) vor der Arbeitssir­ene (Metallkast­en) auf dem Sägmehltur­m. Rechtes Bild: Der Sirenenkas­ten auf dem Sägmehltur­m.
FOTOS: OTTO SCHÖLLHORN Rolf Engstler, Hugo Löchle und Xaver Fässler (von links) vor der Arbeitssir­ene (Metallkast­en) auf dem Sägmehltur­m. Rechtes Bild: Der Sirenenkas­ten auf dem Sägmehltur­m.
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