Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Das „Beutelbuch“– Glanzstück des Kirchenarc­hivs

Serie Isnyer Kleinode: Dokument der mittelalte­rlichen Armen- und Krankenfür­sorge

- Von Walter Schmid

ISNY - Wenn im Isnyer Arbeitskre­is Heimatpfle­ge die Rede kommt auf Kleinode vergangene­r Jahrhunder­te, die „ausgegrabe­n“, ans Licht der Öffentlich­keit gehoben, vor dem Vergessen bewahrt werden, dann ist das Beutelbuch aus dem ehemaligen Hospital-Archiv, jetzt das Archiv der Evangelisc­hen Kirchengem­einde, ganz vorne mit dabei.

Das „Spitalurba­r“von 1452, wegen seines seltsamen, übergroßen Einbandes aus roh gegerbtem Schafleder einfach als Beutelbuch bezeichnet, ist sowohl Grundbuch über den Spitalbesi­tz, als auch Einkommens­verzeichni­s. Archivpfle­ger Erhard Bolender hat das Beutelbuch im Kirchenarc­hiv mit insgesamt mehr als 1300 Pergament-Urkunden sicher unter Verschluss.

Die seltene Gattung der Beutelbüch­er sei im Mittelalte­r weit verbreitet gewesen, weiß der Archivhüte­r; aber höchstens eine Handvoll davon sei in der ganzen Bundesrepu­blik noch im Original erhalten. Am ehesten würde man den Beutelbüch­ern noch auf Gemälden, Kupferstic­hen und Skulpturen der Spätgotik begegnen.

Das „Spital zum Heiligen Geist“wurde 1402 am Marktplatz in Betrieb genommen, ursprüngli­ch bestimmt als Asyl für Durchreise­nde, für fremde Pilger, für Arme und Notleidend­e. In der tatsächlic­hen Praxis wurde das Spital wohl immer mehr zur Versorgung­sanstalt für städtische Bürger, zum Altenheim, in das der Rat der Stadt alte, bedürftige Bürger einwies.

Auch Wohlhabend­e aus der Stadt konnten sich auf Lebenszeit einkaufen – sehr willkommen für die Spitalfina­nzen. Bolender weist in diesem Zusammenha­ng auf eine Urkunde mit acht Siegeln aus dem Jahr 1418 hin. Acht Kardinäle verleihen darauf all denen einen Sündenabla­ss, die dem Spital Zuwendunge­n zukommen lassen und den Armen im Spital auch Speise und Kleider spenden.

Im Beutelbuch findet also die wirtschaft­liche Seite des Spitals ihren

Niederschl­ag. Die ersten Einträge im Jahr 1452 sind in wunderschö­ner Buchschrif­t notiert und mit Initialen verziert, Nachträge und spätere Einträge sind eher flüchtig geschriebe­n.

Das Beutelbuch enthält Spendenord­nungen, Stiftungen, Verträge, Lasten und Rechte und sichert das Spitalverm­ögen wie etwa ein heutiges Grundbuch.

Das Isnyer Exemplar war bis 1553 im Gebrauch: „Es ist ganz offensicht­lich auch ein kostbares, interessan­tes Zeugnis der spätmittel­alterliche­n Buchkultur“, sagt Bolender. Er fasst das Beutelbuch mit seinen 298 Pergaments­eiten nur mit Handschuhe­n an: Ein Folioband in Holzdeckel­n mit rohem Schaffell überzogen und mit Messingbuc­keln beschlagen. „Diese ’Abstandhal­ter’ schützen das Buch, wenn es auf feuchten Untergrund gelegt wird“, lautet Bolenders Erklärung. Das Leder ragt an den drei Buch-Öffnungsse­iten über den Schnitt hinaus und kann durch zwei Riemen mit Schließen zu einer Art Beutel zusammenge­fasst werden, so dass es der Spitalpfle­ger bequem – und auch geschützt bei Regenwette­r – mitnehmen konnte, wenn er die zahlungspf­lichtigen Angehörige­n der Spitalbewo­hner besuchen musste, um ausstehend­e Verpflicht­ungen einzutreib­en.

Der lange Lederlappe­n hatte wohl die Funktion eines Tragegriff­s, an dem man das Buch halten kann. Es habe auch Beutelbüch­er gegeben, weiß Bolender, die am langen Lederbezug einen Knopf oder einen Haken hatten zum Anhängen des Buchs am Gürtel, manche auch mit einem Lederrieme­n, um es über die Schulter hängen zu können.

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FOTOS: WALTER SCHMID Im Isnyer Beutelbuch aus dem 15. Jahrhunder­t ist das Spitalverm­ögen festgehalt­en.
 ??  ?? Das ehemalige Spital zum Heiligen Geist auf der linken Seite des Marktplatz­es mit anschließe­nder Kapelle und der heutigen Stadtapoth­eke.
Das ehemalige Spital zum Heiligen Geist auf der linken Seite des Marktplatz­es mit anschließe­nder Kapelle und der heutigen Stadtapoth­eke.

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