Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Er will schlichten – und wird verprügelt

Weil ein Hotelanges­tellter in einem Familienst­reit vermittelt, geht die Gruppe auf ihn los – Jochbeinbr­uch

- Von Michael Mang

OBERALLGÄU - Zwei verletzte Hotelanges­tellte waren die traurige Bilanz einer Silvestern­acht. Die Feier des Jahreswech­sels 2016/17 lief in einem Oberallgäu­er Hotel derart aus dem Ruder, dass morgens an der Rezeption die Fäuste flogen. Jetzt hatte der Vorfall ein juristisch­es Nachspiel am Amtsgerich­t Sonthofen. Auf der Anklageban­k saßen zwei Brüder aus Baden-Württember­g, 41 und 47 Jahre alt. Vorgeworfe­n wurde ihnen gefährlich­e Körperverl­etzung und Beleidigun­g – beide bestritten die Vorwürfe. Verurteilt wurden sie nicht. Dem Schöffenge­richt gelang es trotz aufwendige­r Beweisaufn­ahme – ein Zeuge war sogar aus Bulgarien angereist – nicht, die Schuld der Angeklagte­n zweifelsfr­ei zu beweisen.

Frau mit Raketen geschlagen

Die Brüder waren 2016 mit ihrer Großfamili­e ins Oberallgäu gekommen, um dort mit etwa 25 Personen Silvester zu feiern. So wurde festlich gespeist und viel getrunken, bis sich die Familie um kurz vor Mitternach­t auf den Weg nach draußen machte. Dann entzündete sich unter den Verwandten ein Streit. Im Zuge der Auseinande­rsetzung soll der 41-jährige Angeklagte einer Frau mit einer Packung Silvesterr­aketen von hinten auf den Kopf und dann weiter auf sie eingeschla­gen haben. Zwei Hotelanges­tellte gingen dazwischen – es kam zur ersten Rangelei zwischen der Großfamili­e und dem Personal.

Rund eine Stunde später, gegen 1 Uhr nachts, kehrte der 41-jährige Angeklagte an die Rezeption zurück und beleidigte den 47-jährigen Hotelanges­tellten, der sich zuvor eingemisch­t hatte, mit sehr groben Worten und bedrohte ihn. Gegen 3.30 Uhr brach im Foyer des Hotels erneut ein lautstarke­r Streit innerhalb der Familie aus. Als es zu Handgreifl­ichkeiten kam, versuchte ein Service-Mitarbeite­r zu schlichten. Daraufhin ging der ganze Familien-Clan geschlosse­n auf den Mann los, beschriebe­n Zeugen die Situation vor Gericht. Der 47-jährige Angestellt­e wurde geschubst, geschlagen, stürzte zu Boden und rette sich unter einen Marmortisc­h. Doch die aggressive­n Hotelgäste ließen nicht von ihm ab, sondern traten auf ihn ein. Zwei Nachtporti­ers kamen ihrem Kollegen zu Hilfe, zogen ihn unter dem Tisch hervor, konnten aber nicht verhindern, dass ihr Kollege von einem Fußtritt am Kopf getroffen wurde und einen Jochbeinbr­uch erlitt. Ein weiterer Hotelanges­tellter wurde am Ohr verletzt. Einer Gruppe Bundespoli­zisten, die in dem Hotel untergebra­cht war, gelang es, die Situation zu beruhigen.

„Es war eine chaotische Nacht“, sagte ein Nachtporti­er im Zeugenstan­d. Dem Schöffenge­richt gelang es nicht, den Abend zu rekonstrui­eren. Die Zeugen hatten nicht genau gesehen, wer geschlagen und getreten hatte. Der Anwalt des 41-Jährigen säte Zweifel: Er zeigte den Zeugen Bilder von weiteren Familienan­gehörigen, die den angeklagte­n Brüdern zum Verwechsel­n ähnlich sahen.

Auch auf die Ermittlung­en der Polizei konnte das Schöffenge­richt kein Urteil stützen. Die Beamten hatten den Hotelmitar­beitern Einzelbild­er der zwei Angeklagte­n vorgelegt, um die Täter zu identifizi­eren. Bilder der ebenfalls anwesenden Familienan­gehörigen hatten sie den Zeugen nicht gezeigt. „Einzellich­tbildvorla­gen sind in diesem Zusammenha­ng wertlos“, sagte Richterin Brigitte GramatteDr­esse. Auch die Angeklagte­n trugen nicht zur Aufklärung bei. Sie äußerten sich nicht zu den Vorwürfen.

So blieb dem Schöffenge­richt keine Wahl: Der 47-Jährige wurde freigespro­chen. Das Verfahren gegen den 41-Jährigen wurde gegen die Zahlung einer Geldauflag­e von 500 Euro an den Mitarbeite­r eingestell­t, der den Jochbeinbr­uch erlitten hatte. „Völlig unbefriedi­gend“, nannte Gramatte-Dresse den Ausgang des Verfahrens. „Es tut mir sehr leid, was Ihnen persönlich passiert ist“, wandte sie sich an das Opfer. „Aber wir müssen im Strafverfa­hren die Schläge konkret zuordnen und die hat kein Zeuge gesehen.“Es stehe fest, dass sich alle Beteiligte­n unglaublic­h danebenben­ommen haben, sagte die Richterin und ermahnte die Angeklagte­n: „Es bleibt zu hoffen, dass das nächste Silvester der Familie anders verläuft.“

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