Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Milliardenentlastung für Millionen Bürger
CDU/CSU und SPD feiern sich für ihr Sozialpaket – Kritik von links und aus der Wirtschaft
BERLIN - Die Große Koalition von Union und SPD hat ein umfassendes Sozialpaket zur Entlastung von Millionen Bürgern auf den Weg gebracht. Am Mittwoch verabschiedete das Kabinett ein Rentenpaket von Sozialminister Hubertus Heil (SPD), das 2019 in Kraft treten soll. Im September will das Kabinett dann eine Senkung des Beitrags für die Arbeitslosenversicherung beschließen, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer um 5,8 Milliarden Euro entlasten soll.
Das Rentenniveau soll den Plänen zufolge bis 2025 stabil bei 48 Prozent gehalten werden. Der Beitragssatz zur Rentenversicherung, der im Moment bei 18,6 Prozent liegt, soll in dieser Zeit die Marke von 20 Prozent nicht überschreiten. Heil sprach von einem „Neustart für mehr Verlässlichkeit in der Rente“und „Sicherheit und Gerechtigkeit für alle Generationen“. Dem widersprach seine Parteifreundin Hilde Mattheis heftig. Im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“machte die SPD-Linke aus Ulm deutlich: „Das reicht nicht aus.“
Die Vorsitzende des Forums Demokratische Linke 21 fordert ein Rentenniveau von 50 Prozent. Um dies zu erreichen, schlägt Mattheis vor, „ausreichend Steuergelder in das System zu geben, den Versichertenkreis auszuweiten und die Bezieher höherer Einkommen, vor allem aus Vermögen und Erbschaften, einzubeziehen“.
Erhebliche Kritik erntet das geplante Rentenpaket auch aus der Wirtschaft. Es sei „unfair, denn es wird auf die geburtenschwachen Jahrgänge unserer Kinder und Enkelkinder als milliardenschwerer Kostenbumerang zurückkommen“, argumentierte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer.
Die Große Koalition feiert die Beschlüsse nach Monaten des internen Streits dagegen als großen Wurf. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) sagte: „Wir können damit zeigen, dass wir in diesem Land regieren.“SPD-Chefin Andrea Nahles sprach von einem „wirklichen Durchbruch“in wesentlichen sozialpolitischen Fragen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hob Entlastungen für Arbeitnehmer angesichts guter Steuereinnahmen hervor.
BERLIN – „Das ist ein Neustart für mehr Verlässlichkeit in der Rente“, lobte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) den Kabinettsbeschluss zum „Rentenpaket I“. Über einen „guten Tag für die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland“freut sich auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Weiß, rentenpolitischer Sprecher der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion. „Unfair und viel zu teuer“, schimpfen dagegen die Arbeitgeber. Wer hat Recht, was bringen die Verbesserungen und Entlastungen wirklich? Die zentralen Fakten zum Rentenpaket der Großen Koalition:
Mütterrente: Bislang bekommen Mütter, deren Kinder nach 1992 geboren sind, pro Kind drei Erziehungsjahre und damit drei Rentenpunkte angerechnet. Müttern älterer Kinder werden nur zwei Erziehungsjahre und damit zwei Rentenpunkte zugeschrieben. Laut Koalitionsvertrag sollten künftig Mütter mit drei oder mehr vor 1992 geborenen Kindern ebenfalls drei Punkte pro Kind angerechnet bekommen. Der Kompromiss: Es gibt einen halben Rentenpunkt zusätzlich für jedes vor 1992 geborene Kind. Das entspricht einem Plus pro Kind und Monat von 16,02 Euro im Westen und 15,35 im Osten. Die Ausweitung der Mütterrente kostet 3,7 Milliarden Euro pro Jahr. Sieben Millionen Mütter werden davon profitieren – vier Millionen mehr, als wenn nur diejenigen mit drei oder mehr Kindern berücksichtigt worden wären.
Erwerbsminderungsrente:
Wer aus gesundheitlichen Gründen aus dem Arbeitsleben ausscheidet, erhält eine Rente, als hätte er bis zum 62. Lebensjahr gearbeitet. Die Bezüge fallen um gut zehn Prozent geringer aus als die von Regelrentnern. Knapp 15 Prozent der Frührentner sind auf Grundrente angewiesen, ihr Armutsrisiko liegt sechs Mal höher als bei Regelrentnern. Für alle, die ab 2019 in eine Erwerbsminderungsrente gehen, wird die Zurechnungszeit schrittweise angehoben, so dass sie künftig so hohe Bezüge bekommen, als hätten sie bis zum regulären Renteneintrittsalter gearbeitet. Sie können dann mit gut zehn Prozent höheren Renten rechnen.
Stabiles Niveau bis 2025:
Die Haltelinie führt dazu, dass die Renten wieder genauso stark steigen wie Löhne und Gehälter. Ohne Eingriff in die Rentenformel wäre das Niveau von derzeit 48 Prozent bis 2025 auf 46,5 Prozent gesunken. Von der Maßnahme profitieren alle Rentnerinnen und Rentner. Das Rentenni- veau gibt die Höhe der Altersbezüge nach 45 Beitragsjahren im Vergleich zum Bruttoverdienst an. Sinkt das Niveau, wird nicht die Rente kleiner, sie würde auch künftig steigen. Die Erhöhung fiele aber hinter die Lohnentwicklung zurück. Da diese an der Inflation ausgerichtet ist, führt ein sinkendes Rentenniveau zu Kaufkraftverlusten.
Stabile Beiträge:
Für die gesetzliche Rente müssen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer derzeit 18,6 Prozent ihres Einkommens abführen. Laut Kabinettsbeschluss wird der Beitragssatz bis 2025 auf maximal 20 Prozent gedeckelt – eine zweite Haltelinie neben der Stabilisierung des Niveaus. Um die doppelte Haltelinie zu bezahlen, legt der Staat von 2021 bis 2024 je zwei Milliarden Euro jährlich zurück. Kritisch wird die Finanzierung ab 2025, wenn die Babyboomer in Rente gehen. Die SPD kämpft dafür, das Niveau bis 2040 zu stabilisieren. Ohne Veränderung der Rentenformel würde es bis dahin auf 43 Prozent absinken.
Beiträge für die Arbeitslosenversicherung:
Diese werden von derzeit drei Prozent um 0,5 Prozentpunkte auf 2,5 Prozent gesenkt. Bei einem durchschnittlichen Bruttoeinkommen von 3156 Euro ergibt sich dadurch eine Ersparnis von knapp 16 Euro monatlich. Allerdings wird die Entlastung gleich wieder aufgezehrt. Denn die Beiträge zur Pflegeversicherung werden zum 1. Januar 2019 um voraussichtlich 0,5 Punkte von 2,55 Prozent (2,8 Prozent für Kinderlose) auf 3,05 (beziehungsweise 3,3) Prozent angehoben.
Arbeitsmarkt:
Die Förderung der beruflichen Weiterbildung von Arbeitnehmern soll ausgebaut werden, unter anderem mit Mitteln der Bundesagentur für Arbeit. Der Schutz der Arbeitslosenversicherung für kurzzeitig Beschäftigte wird ausgebaut. Bislang hat Anspruch auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung, wer innerhalb der letzten 24 Monate zwölf Monate Arbeitslosenbeiträge eingezahlt hat. Die Rahmenfrist wird auf 30 Monate ausgeweitet.
Entlastung von Geringverdienern:
Minijobs bis 450 Euro sind von Sozialabgaben befreit. Derzeit steigen die Abgaben in einer Gleitzone bis 850 Euro auf die volle Höhe an. Die Gleitzone wird nun bis 1300 Euro ausgeweitet. Wer 850 Euro verdient, muss künftig 28 Euro pro Monat (336 Euro im Jahr) weniger an Sozialabgaben zahlen. Jenseits der Obergrenze von 1300 Euro würden wieder die vollen Beiträge fällig. Die entfallenden Beiträge der Minijobber für die Rentenkasse übernimmt der Staat.