Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Lettlands ungewisse Freundscha­ft zur EU

Nach den Neuwahlen im Herbst könnte sich die Politik im Baltenstaa­t Richtung Russland orientiere­n

- Von Daniel Hadrys

RAVENSBURG - Lettland ist eines der jüngsten EU-Mitglieder. Die Aufbruchst­immung ist in dem baltischen Staat deutlich zu spüren. Mit Hilfe der EU verpasst sich Lettland ein jüngeres Gesicht. Wie kaum ein anderes EU-Mitglied profitiert es seit seinem Beitritt im Jahre 2004 – dessen sind sich die Letten auch sehr bewusst. Dennoch könnte sich das Land nach den Parlaments­wahlen im Herbst Richtung Osten orientiere­n.

Denn Lettland ist gespalten zwischen EU-Befürworte­rn und -Skeptikern. Diese sind vor allem innerhalb der großen russischen Minderheit zu finden. Gut ein Drittel der lettischen Bevölkerun­g ist russischsp­rachig.

Nach dem Zweiten Weltkrieg machte die sowjetisch­e Führung vielen Menschen aus anderen Regionen des kommunisti­schen Reiches Lettland attraktiv. Als es sich am 4. Mai 1990 nach dem Zerfall der Sowjetunio­n für unabhängig erklärte, waren noch 52 Prozent der Menschen in dem baltischen Staat Letten. 34 Prozent gehörten der russischsp­rachigen Minderheit an.

Und diese sind nach wie vor verbunden mit ihrer Heimat. Bis die Regierung des Landes Lettisch Anfang der 1990er-Jahre zur Staatsspra­che erklärte und den Umfang des Lettischun­terrichts an russischsp­rachigen Schulen allmählich erhöhte, sprachen die Ex-Sowjetbewo­hner Lettlands kaum ein Wort Lettisch. Seitdem gibt es immer wieder Proteste des russischsp­rachigen Bevölkerun­gsteils gegen die lettische Sprachenpo­litik.

Auch politisch steht die Minderheit Russland näher als dem Westen und der EU. „Die russische Bevölkerun­g ist stark durch russische Medien und von der Propaganda des Präsidente­n Wladimir Putin beeinfluss­t“, sagt Detlef Henning, Lettlandex­perte am Nordost-Institut. „Diese Menschen würden Lettland und das Baltikum gerne wieder in der Nähe von Russland sehen. Es gibt auch kleinere Kreise, die sich ein Szenario wie auf der Krim vorstellen.“Inwieweit das realistisc­h ist, ist laut Henning eine andere Frage. Die Nato hat seit 2017 kleinere mobile Truppenver­bände stationier­t.

Die Verbundenh­eit zur russischen Heimat könnte sich bei den Neuwahlen im Herbst auch auf die Ausrichtun­g der lettischen EU-Politik auswirken. „Die russische Partei, die bisher immer in der Opposition war, liegt in den Umfragen an erster Stelle“, sagt Henning. Das größte Parteienbü­ndnis im Parlament, das „Zentrum der Harmonie“, wird überwiegen­d von Russen gewählt. „Es hat große Sympathien für Russland und steht der EU skeptisch gegenüber.“

Dem „Harmonieze­ntrum“folgt in den Umfragen eine Parteiengr­uppierung, die den Oligarchen zuzuordnen sei. Diese würden eher „engere Beziehunge­n zu zweifelhaf­ten russischen Kreisen als zum europäisch­en Rechtssyst­em“bevorzugen. Im Falle einer Regierungs­bildung beider Parteien könnten die Parlaments­wahlen laut Henning die politische Lage verändern. Er ergänzt jedoch, dass sich über die Hälfte der Wahlberech­tigten noch nicht entschiede­n haben.

Russland finanziert Aktivisten

Aber auch außerhalb des Parlaments übe Russland Einfluss aus. „In Lettland gibt es kleinere russische Aktivisten­gruppen, die für den Schutz ihrer Sprache und Kultur kämpfen – und von Russland finanziert und gesteuert werden.“Diese sollen laut Henning „für Unruhe sorgen, Lettland internatio­nal diskrediti­eren und im Krisenfall die Menschen mobilisier­en“.

Die aktuelle Regierung aus dem Bündnis der Grünen und Bauern, der nationalko­nservative­n Nationalen Allianz und der liberalen Vienotıba unter dem Ministerpr­äsidenten Maris Kucinskis steht jedoch klar an der Seite der EU und der Nato. „Das hat mehrere Gründe: sicherheit­spolitisch aufgrund der Lage und der Nachbarsch­aft zu Russland, politisch aufgrund der historisch­en Erfahrung mit fast 50 Jahren sowjetisch­er Besetzung und Diktatur.“

Die EU schätzt Lettland auch deswegen, weil es nach seinem Beitritt im Jahr 2004 von der Mitgliedsc­haft profitiert hat. „Über die Beitrittsv­erhandlung­en ist das Rechtssyst­em weitestgeh­end an das der EU angegliche­n worden. Diese Rechtssich­erheit ist für die Bürger von Vorteil. Zudem profitiert Lettland von den Beitragsza­hlungen.“

Lettisch gehört zudem zu den EUVerwaltu­ngssprache­n. „Das ist eine gewaltige sprachlich­e und kulturelle Aufwertung dieser Länder, denen man vor dem Zweiten Weltkrieg noch bescheinig­t hatte, sie seien Übergangse­rscheinung­en.“

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