Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Beharrlich und mit Biss

Kanadas Außenminis­terin Chrystia Freeland hat die bislang schwerste Aufgabe ihrer Karriere vor sich

- Von Jörg Michel

VANCOUVER - Chrystia Freeland lässt sich von mächtigen Männern nicht beeindruck­en. Das musste auch der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman erfahren. Nachdem die kanadische Außenminis­terin die Menschenre­chtslage im Königreich per Twitter anprangert­e, fühlte sich der empfindlic­he Monarch so provoziert, dass er Kanada mit einer wahren Kaskade von Sanktionen überzog.

Angelegt hat sich Freeland auch mit Wladimir Putin. Als Abgeordnet­e in Ottawa hatte sie 2014 den Anschluss der Krim an Russland als völkerrech­tswidrig kritisiert – und steht seitdem auf einer Sanktionsl­iste von Personen, die nicht nach Russland reisen dürfen. Eine Ehre sei das, hat sie einmal gesagt und nimmt es hin, auch als Außenminis­terin keinen Fuß ins Reich Putins setzen zu können.

Freeland macht es auch Donald Trump nicht leicht. Glaubt man nordamerik­anischen Medien, kann der US-Präsident die Kanadierin nicht ausstehen – wie sein Handelsbea­uftragter Robert Lighthizer. Grund soll unter anderem eine Rede sein, die Freeland im Juni in Washington gehalten hat und in der sie den Kurs der Trump-Regierung mehr oder weniger offen kritisiert hatte.

Beobachter glauben, dass die persönlich­e Abneigung Trumps ein Grund sei, weswegen die Amerikaner Kanada bei den jüngsten Nafta-Verhandlun­gen nicht dabei haben wollten. Über ein Jahr lang hatte Freeland zuvor mit den USA und Mexiko über die von Trump gewünschte Neufassung des Freihandel­s gesprochen, bis sie sich diesen Sommer plötzlich in der Zuschauerr­olle wiederfand.

Sollte die Ausladung als eine Art Demütigung gedacht gewesen sein, dann hat sich die 50-Jährige davon nichts anmerken lassen. Immer wieder hatte Freeland die Parallelge­spräche der zwei Nafta-Partner öffentlich als nützlich und nötig bezeichnet und zwar auch dann, als ihr klar werden musste, dass Amerikaner und Mexikaner hinter ihrem Rücken anders als verabredet über mehr als nur bilaterale Fragen sprachen.

Freeland behielt auch die Fasson, als Trump am Montag eine Einigung mit Mexiko verkündete und sie ihre Europareis­e Knall auf Fall abbrechen musste, um in Washington die kanadische­n Interessen zu wahren. Seit Dienstag ist sie nun zurück in der amerikanis­chen Hauptstadt und steht dort wohl vor einer der größten Herausford­erungen ihrer noch relativ jungen politische­n Karriere.

Als Nafta-Beauftragt­e ihres Landes muss Freeland im Auftrag von Premiermin­ister Justin Trudeau verhindern, dass Kanada bei den Schlussver­handlungen über Nafta von Trump gänzlich zur Seite geschoben wird. Kanada wickelt drei Viertel seines Außenhande­ls mit den USA ab, die Ökonomien beider Länder sind eng verflochte­n und das Abkommen ist für Kanada überlebens­notwendig.

Vertrauens­trägerin

Zum Auftakt am Dienstagab­end versuchte Freeland, Zuversicht zu verbreiten. Zum ersten Mal seit Monaten war sie wieder auf ihren amerikanis­chen Gegenspiel­er Lighthizer getroffen. Hinterher sprach sie von einer „konstrukti­ven Atmosphäre“und von wichtigen Fortschrit­ten zwischen den USA und Mexiko, die eine Einigung auf ein neues Abkommen der drei Länder erleichter­n würden.

Wenn die Kanadier jemandem einen solchen Erfolg zutrauen, dann ihrer Außenminis­terin. In den bisherigen Verhandlun­gen hat sie die kanadische­n Interessen beharrlich und mit Biss verteidigt und sich in Washington den Ruf einer Hardlineri­n erworben. Das A bis Z der Handelspol­itik und die Details des Nafta-Vertrages kennt sie wahrschein­lich so gut wie kaum ein anderer Politiker in Ottawa oder Washington.

Das hat mit ihren früheren Jobs zu tun: Vor ihrer politische­n Karriere hatte sie als Wirtschaft­sjournalis­tin für renommiert­e Blätter wie die „Financial Times“, den „Economist“oder die „Washington Post“gearbeitet und ein Buch über die Herrschaft der Geldeliten geschriebe­n. Bei einer ihrer Lesungen hatte Trudeau zugehört und Freeland danach für die Liberale Partei und für einen Wahlkreis in Toronto angeworben.

Nach ihrem Eintritt in die Regierung 2015 war Freeland zunächst für das Handelsres­sort zuständig, wo sie unter anderem den Freihandel­svertrag Ceta mit der EU umsetzte, bevor sie 2017 zur Außenminis­terin aufstieg. Seitdem gilt sie in Kanada als Star im Kabinett Trudeau, einer der wenigen Regierunge­n weltweit, die zu gleichen Teilen mit Frauen und Männern besetzt ist.

Kaum ein anderer Politiker in Ottawa, gleich welchen Geschlecht­s, hat in den letzten Monaten so viel Eindruck hinterlass­en wie sie. Die Mutter dreier Kinder gilt als Überzeugun­gstäterin, als zäh, hartnäckig und unbeirrbar. Themen wie Menschenre­chte, Pressefrei­heit und Vielfalt verkörpert Freeland glaubwürdi­g wie nur wenige Amtskolleg­en. Diese Frau lässt sich von niemandem etwas vormachen.

Das wissen auch die Amerikaner. Womöglich haben sie die Kanadierin auch deswegen so lange von den Nafta-Gesprächen diesen Sommer ferngehalt­en, obwohl die Kanadier mehrmals um eine Einladung gebuhlt hatten. Nun aber ist Chrystia Freeland wieder mit an Bord und eines dürfte sicher sein: Von mächtigen Männern wie Donald Trump wird sie sich auch weiter nicht beeindruck­en lassen.

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FOTO: AFP Die kanadische Außenminis­terin Chrystia Freeland nach der Auszeichnu­ng mit dem Titel Diplomat des Jahres 2018 in Washington.

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