Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Exorzismus-Prozess: Leutkirche­r Vater will milderes Urteil

Der Fall der toten Wilhelmsdo­rferin geht in die zweite Instanz vor das Obergerich­t Thurgau in der Schweiz

- Von Philipp Richter

WILHLEMSDO­RF/FRAUENFELD Der Fall der in der Schweiz getöteten Wilhelmsdo­rferin wandert vor das Obergerich­t Thurgau in Frauenfeld und geht damit in die zweite Instanz. Darüber berichtete die „Thurgauer Zeitung“in ihrer Ausgabe vom Mittwoch. Der Vater aus Leutkirch im Allgäu ist am 9. März dieses Jahres vom Bezirksger­icht Frauenfeld in der Schweiz zu neun Jahren Freiheitss­trafe zuzüglich der Verfahrens­kosten und Schmerzens­geld wegen eventualvo­rsätzliche­r Tötung (siehe Kasten) an seiner Tochter verurteilt worden. Kurz darauf haben sowohl die Thurgauer Staatsanwa­ltschaft als auch die Verteidigu­ng fristgerec­ht Berufung eingelegt.

Der Frauenfeld­er Strafverte­idiger Daniel Christen sagte der „Thurgauer Zeitung“: „Mein Mandant akzeptiert zwar das Urteil und die rechtliche Würdigung der Tat. Doch das verhängte Strafmaß von neun Jahren ist zu hoch.“Die Staatsanwa­ltschaft dagegen findet das Strafmaß, das das Bezirksger­icht verhängt hat, zu tief. Die Thurgauer Staatsanwa­ltschaft hatte bei der Verhandlun­g im März auf eine Freiheitss­trafe von 14 Jahren wegen eventualvo­rsätzliche­r Tötung, Schändung sowie Störung des Totenfried­ens plädiert. Von den letzten beiden Punkten ist der heute 51jährige Mann letztlich freigespro­chen worden. Außerdem kam ihm eine leicht bis mittel vermindert­e Schuldunfä­higkeit zugute. Die Verteidigu­ng plädierte auf eine dreijährig­e Freiheitss­trafe. Sie sah lediglich eine fahrlässig­e Tötung in der Tat des Angeklagte­n.

Es war einer der spektakulä­rsten Fälle, die das Bezirksger­icht Frauenfeld verhandelt hat. Dem Vater wurde vorgeworfe­n, in den späten Abendstund­en des 2. Januar 2016 seine Tochter einem Exorzismus unterzogen zu haben. Weil sie „aggro“gewesen sei, habe er ihr den Dämon austreiben wollen, hieß es vonseiten der Staatsanwa­ltschaft. Das jedoch dementiert­e der mehrfach vorbestraf­te Leutkirche­r. Während der Verhandlun­g, über die neben zahlreiche­n Schweizer Medien auch die „Schwäbisch­e Zeitung“berichtet hatte, wurde deutlich, dass der Verurteilt­e Anhänger der Mittelalte­rszene ist und einen Hang zum Okkultismu­s hat. Er nannte sich selbst „Baron“. Auch sein Freund, der auch der Ex-Freund seiner Tochter war, bewegte sich in diesen Kreisen. In dessen Wohnung in Wagenhause­n bei Stein am Rhein (Thurgau) geschah die Tat. Aus dem Tatort resultiert auch die Zuständigk­eit der Schweizer Behörden.

Unstrittig für das Gericht war, dass die kleinwüchs­ige und lernschwac­he Frau aus Wilhelmsdo­rf an den zahlreiche­n schweren inneren Verletzung­en seiner „Massage mit den Füßen“gestorben ist. Er habe ihr die Massage geben wollen, damit sie sich entspannt, sagte er in der Verhandlun­g aus. Sie habe ihn sogar gebeten, „noch fester zu massieren“. Staatsanwa­lt Marco Breu schilderte Szenen eines Martyriums: Mit der Ferse habe er so auf sie eingetrete­n, „wie wenn jemand eine Schabe zu Tode tritt und mit einer Drehung des Absatzes sicher sein will, dass sie auch wirklich tot ist“. Die Videos, in denen der Angeklagte an einer Strohpuppe zeigen sollte, wie er die „Massage“ausgeübt hat, unterstric­hen die Beschreibu­ngen des Staatsanwa­lts.

Während der ganzen Verhandlun­g hatte der Angeklagte ein leichtes Lächeln auf dem Gesicht. Selbst als das Gericht Fotos des mit Hämatomen übersäten Leichnams zeigte, regte er sich nicht. Auf ein Schlusswor­t verzichtet­e er ganz. Seit dem Urteil sitzt der Leutkirche­r im Strafvollz­ug in der Schweiz.

In Wilhelmsdo­rf, wo die junge Frau in der Küche des Seniorenhe­imes der Zieglersch­en gearbeitet hatte, sorgte die Nachricht vom Tod des „Sonnensche­ins“, wie sie alle nannten, für große Bestürzung. In der ganzen Gemeinde war die unfassbare Tat Thema der Gespräche. In Wilhelmsdo­rf ist sie auch begraben. Ihren Vater hatte sie erst zwei Jahre vor ihrem Tod kennengele­rnt.

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