Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Gemüse-Sharing“– digital und analog

Fürs Teilen von Salat und Kräutern gibt es „Likes“im Internet

- Von Julia Garthen

ISNY - Der August 2018 mit vielen heißen Sonnentage­n neigt sich dem Ende entgegen – und SZ-Mitarbeite­rin Julia Garthen kann über ihn eine kleine, „grüne“Geschichte schreiben:

„Bis wir im zurücklieg­enden Juli ein Hochbeet gebaut hatten, das jetzt unser ganzer Gartenstol­z ist, bekamen wir Salat und Kräuter immer wieder von einem netten Nachbarn, von dem später noch einmal die Rede sein wird.

Dann aber haben wir von Verwandten Zitronenme­lisse, Paprika, Schnittlau­ch und Liebstöcke­l, Petersilie und verschiede­ne Salatvaria­nten bekommen, die ’von klein auf ’ bei uns gewachsen sind. Es dauerte nicht lange, ungefähr zwei Wochen, und das Hochbeet ’explodiert­e’ förmlich, alles wuchs, kein Ende schien in Sicht. Natürlich hatte der Super-Sommer seinen Anteil daran, die wundervoll­e Sonnenener­gie und viel abendliche­s Gießen ließ die Gemüsepfla­nzen exzellent gedeihen.

Salat in verschiede­nen Variatione­n Seit Beginn der Sommerferi­en essen wir also mittags und abends Salat in den unterschie­dlichsten Variatione­n (Rucola mit Apfelstück­chen ist mein Feinschmec­ker-Tipp an dieser Stelle!), nur zum Frühstück müssen wir das gesunde Grün nicht haben.

Bis wir uns dem luxuriösen ’Problem’ gegenübers­ahen, Salat und Kräuter ohne Ende zu haben, während unsere Kapazitäte­n ausgereizt waren. Ich fragte in der Nachbarsch­aft nach Abnehmern, aber da ich – wie bereits erwähnt – nicht die einzige bin, die Salat zu verschenke­n hat, hielt sich mein Erfolg in Grenzen: Inmitten einer idyllische­n Siedlung im Allgäu sind viele Gärtner zu finden, da bilde ich keine Ausnahme.

Also erst einmal: Radius erweitern, WhatsApp-Liste durchscrol­len! Leider haben fast alle Bekannten und Freunde selbst einen Garten oder werden bereits mit Gemüse versorgt. Das hieß: Horizont erweitern, möglichst viele Menschen erreichen, die etwas von unserem grünen Glück abhaben möchten.

Die Facebook-Gruppe ’Du weißt, dass du aus Isny bist, wenn...’ kennen vermutlich die meisten Isnyer, die im Netz unterwegs sind. Hier werden Infos und Fotos geteilt, manchmal wird auch so manchem Ärger Luft gemacht. Ich nutzte die Gruppe, um meinen Salat anzupreise­n (in den höchsten Tönen, versteht sich). ’Wer will, wer mag, Kartoffel… äh, nein: unseren Salat?’ – so ähnlich jedenfalls.

Binnen Sekunden meldeten sich mehrere User, die auch ziemlich zügig vorbeischa­uten und sich etwas abschnitte­n. Ich freute mich wirklich sehr, dass die Gefahr von blühendem und damit ungenießba­rem Salat gebannt war. Hätten wir selbst keine Tomaten oder Zucchini gehabt, wären unsere gesunden Blätter sogar gegen Früchte eintauschb­ar gewesen – denn davon haben offensicht­lich andere Familien zu viel. Die Mission war erfolgreic­h, das Hochbeet ist jetzt abgegrast, doch in wenigen Tagen werden wir wieder Salat haben und ich kenne nun Personen, die uns gerne beim Essen helfen.

Was mich jedoch wirklich überrascht­e, waren die vielen ’Likes’ und Kommentare, die ich auf Facebook erhielt: ’Tolle Aktion’ oder ’Respekt!’ war da immer wieder zu lesen. Mir wurde die ganze Sache fast ein bisschen peinlich, Menschen zollen Respekt dafür, dass ich gebe, was ansonsten auf dem Kompost landen würde? Das ist äußerst freundlich, doch so richtig nachvollzi­ehen kann ich das nicht. Es sollte selbstvers­tändlich sein, dass Essen, noch dazu in solch hoher Qualität und mit viel Liebe großgezoge­n, nicht weggeworfe­n wird.

Früher hatte ich keinen Garten und auch kein eigenes Gemüse, und es war immer ein kleines Highlight, bei Freunden durch die Beete streifen und etwas ernten zu dürfen – das ist auch Seelenfutt­er. Allein die Düfte, die Melisse, Minze und Co. verströmen, sind einfach wundervoll, und dass wir uns bei unserer Erde bedienen dürfen, fasziniert mich immer wieder: Wir können Nahrung anpflanzen und so manches dafür tun, dass deren Wachstum gelingt. Doch am Ende können wir nur darauf hoffen, dass die Natur dafür sorgt, dass wir auch reichlich beschenkt werden. Mir erscheint schlichtwe­g undankbar, würde ich die Ernte vergammeln lassen.

Unser Nachbar übrigens, von dem wir uns die Hochbeet-Sache abgeschaut haben, lief vorhin mit einem großen Korb voller Salat durch die Siedlung und klingelte bei allen Nachbarn – ’Gemüse-Sharing’ analog. Hoffentlic­h hat er Erfolg.“

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FOTO: GARTHEN Basilikum, Melisse und Minze im Hochbeet – vor der Ernte.

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