Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Arroganz war gestern – Löws Lehren
Bundestrainer räumt persönliche Fehler ein, seine neue DFB-Elf gleicht aber der alten
MÜNCHEN (SID/falx) - Deutliche Selbstkritik, aber nur ein Umbruch „light“: Wochenlang haben die Fans auf die Analyse des WM-Desasters gewartet, am Mittwoch hat Bundestrainer Joachim Löw erfrischend offen eigene Fehler eingestanden. „Ich war fast arrogant“, gab Löw zu. Der Coach will mit altem Feuer sowie einer sanft modernisierten Nationalmannschaft , zurück an die Weltspitze. „Wir knicken deswegen nicht ein“, sagte Löw über das Ausscheiden in der Vorrunde. „Ich bin überzeugt von unserer Klasse und sicher, dass wir das hinbekommen.“Beim Neuanfang nach dem historischen Russland-Debakel mit den Länderspielen gegen Weltmeister Frankreich (6. September in München/Nations League) und drei Tage später gegen Peru (Sinsheim/Test) verzichtet Löw mit dem früheren Stuttgarter Sami Khedira nur auf eine Säule. Das sind Löws Lehren aus dem Desaster:
Seine Selbsteinschätzung:
Der Bundestrainer zeigte sich selbstkritisch, sprach von einem „absoluten Tiefschlag. Da gibt es nichts zu beschönigen. Wir sind alle weit unter den Möglichkeiten geblieben und haben zu Recht die Quittung dafür bekommen“. Nach Tagen des Frusts habe er aber gemeinsam mit Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff gespürt, auch weiterhin „die große Motivation, Energie, Kraft und Begeisterung“zu haben, „dass wir das Schiff wieder auf Kurs bringen“. Kurz: „Ich freue mich, wenn es endlich wieder losgeht.“
Die Analyse:
Sein „allergrößter Fehler“sei gewesen, nur mit dominantem Ballbesitzfußball durch die Vorrunde kommen zu wollen. Während man bei der WM 2014 die „goldene Mitte“gefunden habe, war es nun so: „Ich wollte das auf die Spitze treiben, das perfektionieren. Da war ich fast arrogant.“Er sei zu großes Risiko gegangen. Zudem habe er es nicht geschafft, „das Feuer, das man braucht, zu schüren, und neue Schlüsselreize zu setzen, dass alle mit großer Leidenschaft, Einsatz, Zweikampfstärke agieren. Wir hatten nur eine kleine Flamme.“
Die Konsequenzen:
Löw will die Mannschaft wieder zu einer stabileren und flexibleren Spielweise führen. „Unsere Spielweise adaptieren“, nannte Löw das. Außerdem werde er Attribute wie Leidenschaft und Einsatz wieder „stärker einfordern. Wir müssen nach dem Debakel ein Jetzterst-recht-Gefühl hinbekommen.“Oliver Bierhoff kündigte zudem an, den Verhaltenskodex für die Profis überarbeiten zu wollen.
Sein Verhältnis zu Mesut Özil:
Löws Lieblingsschüler reagierte nach seinem krachenden DFB-Rücktritt und Rassismusvorwürfen im Zuge der Erdogan-Affäre nicht auf Löws Versuche der Kontaktaufnahme via Telefon und SMS. Löw wirkte darüber persönlich enttäuscht. Vor und während der WM habe die sportliche Leitung das Thema „absolut unterschätzt“, räumte Löw ein. „Dieses Thema hat Kraft gekostet, dieses Thema war nervenaufreibend, weil es immer wieder da war.“
Die neue Mannschaft:
Wie erwartet ist Sami Khedira, der während der WM überspielt und müde wirkte, das einzige „Bauernopfer“. In Kai Havertz (Bayer Leverkusen), Thilo Kehrer von Paris St. Germain und Nico Schulz (TSG Hoffenheim) berief er drei Neulinge. 17 Spieler im 23köpfigen Kader gehörten bereits in Russland zum WM-Aufgebot.
Die Grüppchenbildung:
Er könne das Thema auch nach einigen Gesprächen mit den Spielern „nicht verifizieren“, betonte er. Natürlich gebe es in einer Mannschaft „Sprüche, es gab aber keine unüberbrückbaren Differenzen. Die Mannschaft ist gut klargekommen.“Immerhin räumte der Bundestrainer ein, „das wir nicht diesen unglaublichen Teamgeist wie 2014 hatten“.
Personelle Änderungen:
Das Betreuerteam wird verkleinert. Man müsse die „Konzentration schärfen“, sagte Löw, „weniger ist mehr“. Bei einem Turnier werden künftig elf Personen, bei Länderspielen sieben weniger zum „Team hinter dem Team“gehören. Prominentestes Opfer ist Löws bisheriger Assistent Thomas Schneider, der frühere Trainer des VfB Stuttgart wurde als neuer Leiter zur Scouting-Abteilung weggelobt.
Fannähe:
Oliver Bierhoff kündigte nach der Kritik vor und nach der WM an, „Nahbarkeit und Bodenständigkeit wieder zu intensivieren. Wir müssen wieder Nähe aufbauen.“