Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Was gebaut wurde, um sich sehen zu lassen
Serie Isnyer Kleinode: Einstiges Patrizierhaus erinnert an große Persönlichkeiten
ISNY - Wer das Fotogeschäft Bucher in der Wassertorstraße betritt, befindet sich in einem modernen Laden mit Theke, Regalen, Fotoapparaten, Bilderrahmen und elektronischen Gerätschaften. Rechts daneben, unter demselben Dach, derselben Hausnummer, das Eiscafé Soravia mit italienischer Einrichtung – insgesamt im Erdgeschoss rege Geschäftigkeit. Ein Geschäftshaus war das Gebäude schon vor weit über 300 Jahren.
Die drei spitzbögigen, gotischen Arkaden im Laubengang mit dreijochigem, durch Gurte getrennten Kreuzgratgewölbe, unter denen man die Geschäfte bei Regenwetter trockenen Fußes betritt, erinnern an eine Zeit vor einigen Jahrhunderten, als noch repräsentativ gebaut wurde – dass es sich sehen lassen konnte.
Leinenanbau und -weberei bescherten Isny einst Wohlstand, der Leinenhandel einigen Patrizierfamilien gar ansehnlichen Reichtum. Unter den Arkaden des Patrizierhauses konnten die Fuhrwerke mit den Leinenrollen ganzjährig im Trockenen ent-und beladen werden.
„Traufständiges, in den Straßenraum vorspringendes, dreigeschossiges Wohn- und Geschäftshaus, an der nordwestlichen Seite fünfgeschossig, im Kern möglicherweise noch Reste des 16. Jahrhunderts“, heißt es im denkmalpflegerischen Werteplan der Stadt.“Das straßenbildende Gebäude sei mit seiner wechselvollen Nutzungsgeschichte ein wichtiges Dokument für ein ehemaliges Patrizier- und späteres Pfarrhaus. An der Erhaltung des Gebäudes bestehe aus wissenschaftlichen und heimatgeschichtlichen Gründen ein besonderes öffentliches Interesse.
Ins 17. Jahrhundert zurückversetzt Wer sich mit Heinz Bucher ins großzügige Treppenhaus mit breiten, knarrenden Holztreppen und originalem, massivem Geländer, mit edlen Holzkassettendecken und italienischen Terrakotta-Fliesenböden durch insgesamt fünf Stockwerke hinaufbegibt, fühlt sich in die Erbauerzeit der wohlhabenden Schicht in die Mitte des 17. Jahrhunderts zurückversetzt. Ein Hochzeitspaar, das in den heutigen Atelierräumen in der zweiten Etage Fotos machen lässt, kann nicht mehr an der Dauerhaftigkeit einer glücklichen Ehe zweifeln. Von hier aus, wie in Etage drei, aus Buchers Wohnung, haben Besucher durch schmale Seitenfenster des Erkers freien, neugierigen Blick in Richtung Schmalzmarkt und Marktplatz oder Kornmarkt und Wassertor.
Beim großen Stadtbrand
1631 ist das Gebäude Wassertorstraße 13 ausgebrannt und 20 Jahre später von der einflussreichen, wohlhabenden Patrizierfamilie Eberz wieder aufgebaut und wohl durch die nachfolgenden Generationen Stück für Stück standesgemäß ausgestattet worden. Weniger von außen, umso mehr im Innern empfanden Besucher und Geschäftspartner damals, dass der Wohlstand im Zusammenhang steht mit der hohen Qualität des Isnyer Leinen.
„Wohnkultur und Handelsware, beides konnte sich sehen lassen“, schreibt ein Chronist: Schmiedeeiserne Türschlösser, massive Möbel und schwere Eichentüren, mit feinen Einlegearbeiten versehen, Jahrhunderte später noch im Haus und von Bucher restauriert in denkmalpflegerischer Verantwortung.
Türen weisen einen schmucken, schmiedeeisernen, handlichen Extragriff neben dem unhandlichen Türschloss auf, mit dem die Tür zugezogen wird. Auch sind die Patrizierhäuser für den Brandfall in jedem Stockwerk durch eine Tür miteinander verbunden. In der Nähe der Brandtüre stand der sogenannte Brandschrank, ein nobles Mobiliar, in dem die wertvollsten Schätze der Familie einst aufbewahrt waren und mit ihm durch die Brandtüre ins nebenstehende Haus gerettet werden konnten. Ab 1781 war der Kaufmann Leonhard Schlegel Eigentümer des Hauses, Handelsherr und Gründer eines der erfolgreichen Unternehmens zur Leinenherstellung mit Seidenzwirnerei – und einer mit vorbildlichem Engagement für die Armen und Notleidenden der Stadt. „Je größer die Not, desto größer das Brot“, sei sein Wahlspruch gewesen.
Sohn Eduard folgte in dieser Hinsicht seinem Vater: Er sorgte dafür, dass jedes arme Kind jede Woche einen Laib Brot bekam. Auf sein Treiben hin wurde im Spital eine öffentliche Suppenküche eingerichtet. 1824 bestimmte Eduard Schlegel eine Schulstiftung zur Errichtung einer Elementarschule, und er besoldete den Lehrer. Nach seinem Tod übernahm die Kosten die Schlegel‘sche Fabrik. Mitte des 19. Jahrhunderts bot die Familie Heranwachsenden eine „Beschäftigungsanstalt“an, mit Unterricht im Nähen und Stricken von Handarbeitsprodukten für den Eigenbedarf der Kinder und ihren Familien.
Der erste der späteren Isnyer Dynastie Springer, Christoph Ulrich Springer, hat bei den Schlegels von 1794 bis 1800 seine sechsjährige Lehre absolviert. In seinem Lehrbrief heißt es: „Ich verspreche dem Herrn Schlegel, dass ich mit Treue, Redlichkeit und unermüdlichem Fleiß und Anstrengung aller meiner Kräfte, nach meinem besten Vermögen alles verrichten, beobachten und thun werde, größte Verschwiegenheit beachte und mich dem Willen meines Herrn unterwerfen werde. Hingegen verspricht Herr Schlegel, mir während der Lehrzeit freye Kost und Logis zu verschaffen, auch mit gutem Rath, Lehr und Anweisung an die Hand zu gehen, damit ich mit der Zeit mein Stück Brot zu erwerben imstande sein möge. Ich werde nie ohne Erlaubnis spazieren gehen und verspreche, keine Wirtshäuser zu besuchen.“
Jugendhaus, Teestube, Bücherei
C. U. Springer erwarb 1865 das Haus, verkaufte es jedoch wenige Jahre später an die Pfarrfamilie Ludwig. Bereits 1873 wurde es von der königlichen Staatsverwaltung Ravensburg übernommen, dann vom Landkreis Wangen, allerdings mit Isnyer städtischer Nutzung und Bestimmung als Jugendhaus, Teestube, Bücherei, für Vorträge und Ausstellungen, als Kleiderstüble, Ballettschule.
1992 konnte Familie Bucher das heruntergekommene, einst prächtige Patrizierhaus kaufen. „Es schien für die Stadt ein Fass ohne Boden zu sein“, vermutet Heinz Bucher, aber im Laufe der Jahre habe man dieses Stück Historie in den Griff bekommen – im Einvernehmen mit dem Landesamt für Denkmalspflege und mit Verantwortung und Gespür für ein erhaltenswertes Kulturgut.