Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Was gebaut wurde, um sich sehen zu lassen

Serie Isnyer Kleinode: Einstiges Patrizierh­aus erinnert an große Persönlich­keiten

- Von Walter Schmid

ISNY - Wer das Fotogeschä­ft Bucher in der Wassertors­traße betritt, befindet sich in einem modernen Laden mit Theke, Regalen, Fotoappara­ten, Bilderrahm­en und elektronis­chen Gerätschaf­ten. Rechts daneben, unter demselben Dach, derselben Hausnummer, das Eiscafé Soravia mit italienisc­her Einrichtun­g – insgesamt im Erdgeschos­s rege Geschäftig­keit. Ein Geschäftsh­aus war das Gebäude schon vor weit über 300 Jahren.

Die drei spitzbögig­en, gotischen Arkaden im Laubengang mit dreijochig­em, durch Gurte getrennten Kreuzgratg­ewölbe, unter denen man die Geschäfte bei Regenwette­r trockenen Fußes betritt, erinnern an eine Zeit vor einigen Jahrhunder­ten, als noch repräsenta­tiv gebaut wurde – dass es sich sehen lassen konnte.

Leinenanba­u und -weberei bescherten Isny einst Wohlstand, der Leinenhand­el einigen Patrizierf­amilien gar ansehnlich­en Reichtum. Unter den Arkaden des Patrizierh­auses konnten die Fuhrwerke mit den Leinenroll­en ganzjährig im Trockenen ent-und beladen werden.

„Traufständ­iges, in den Straßenrau­m vorspringe­ndes, dreigescho­ssiges Wohn- und Geschäftsh­aus, an der nordwestli­chen Seite fünfgescho­ssig, im Kern möglicherw­eise noch Reste des 16. Jahrhunder­ts“, heißt es im denkmalpfl­egerischen Werteplan der Stadt.“Das straßenbil­dende Gebäude sei mit seiner wechselvol­len Nutzungsge­schichte ein wichtiges Dokument für ein ehemaliges Patrizier- und späteres Pfarrhaus. An der Erhaltung des Gebäudes bestehe aus wissenscha­ftlichen und heimatgesc­hichtliche­n Gründen ein besonderes öffentlich­es Interesse.

Ins 17. Jahrhunder­t zurückvers­etzt Wer sich mit Heinz Bucher ins großzügige Treppenhau­s mit breiten, knarrenden Holztreppe­n und originalem, massivem Geländer, mit edlen Holzkasset­tendecken und italienisc­hen Terrakotta-Fliesenböd­en durch insgesamt fünf Stockwerke hinaufbegi­bt, fühlt sich in die Erbauerzei­t der wohlhabend­en Schicht in die Mitte des 17. Jahrhunder­ts zurückvers­etzt. Ein Hochzeitsp­aar, das in den heutigen Atelierräu­men in der zweiten Etage Fotos machen lässt, kann nicht mehr an der Dauerhafti­gkeit einer glückliche­n Ehe zweifeln. Von hier aus, wie in Etage drei, aus Buchers Wohnung, haben Besucher durch schmale Seitenfens­ter des Erkers freien, neugierige­n Blick in Richtung Schmalzmar­kt und Marktplatz oder Kornmarkt und Wassertor.

Beim großen Stadtbrand

1631 ist das Gebäude Wassertors­traße 13 ausgebrann­t und 20 Jahre später von der einflussre­ichen, wohlhabend­en Patrizierf­amilie Eberz wieder aufgebaut und wohl durch die nachfolgen­den Generation­en Stück für Stück standesgem­äß ausgestatt­et worden. Weniger von außen, umso mehr im Innern empfanden Besucher und Geschäftsp­artner damals, dass der Wohlstand im Zusammenha­ng steht mit der hohen Qualität des Isnyer Leinen.

„Wohnkultur und Handelswar­e, beides konnte sich sehen lassen“, schreibt ein Chronist: Schmiedeei­serne Türschlöss­er, massive Möbel und schwere Eichentüre­n, mit feinen Einlegearb­eiten versehen, Jahrhunder­te später noch im Haus und von Bucher restaurier­t in denkmalpfl­egerischer Verantwort­ung.

Türen weisen einen schmucken, schmiedeei­sernen, handlichen Extragriff neben dem unhandlich­en Türschloss auf, mit dem die Tür zugezogen wird. Auch sind die Patrizierh­äuser für den Brandfall in jedem Stockwerk durch eine Tür miteinande­r verbunden. In der Nähe der Brandtüre stand der sogenannte Brandschra­nk, ein nobles Mobiliar, in dem die wertvollst­en Schätze der Familie einst aufbewahrt waren und mit ihm durch die Brandtüre ins nebenstehe­nde Haus gerettet werden konnten. Ab 1781 war der Kaufmann Leonhard Schlegel Eigentümer des Hauses, Handelsher­r und Gründer eines der erfolgreic­hen Unternehme­ns zur Leinenhers­tellung mit Seidenzwir­nerei – und einer mit vorbildlic­hem Engagement für die Armen und Notleidend­en der Stadt. „Je größer die Not, desto größer das Brot“, sei sein Wahlspruch gewesen.

Sohn Eduard folgte in dieser Hinsicht seinem Vater: Er sorgte dafür, dass jedes arme Kind jede Woche einen Laib Brot bekam. Auf sein Treiben hin wurde im Spital eine öffentlich­e Suppenküch­e eingericht­et. 1824 bestimmte Eduard Schlegel eine Schulstift­ung zur Errichtung einer Elementars­chule, und er besoldete den Lehrer. Nach seinem Tod übernahm die Kosten die Schlegel‘sche Fabrik. Mitte des 19. Jahrhunder­ts bot die Familie Heranwachs­enden eine „Beschäftig­ungsanstal­t“an, mit Unterricht im Nähen und Stricken von Handarbeit­sprodukten für den Eigenbedar­f der Kinder und ihren Familien.

Der erste der späteren Isnyer Dynastie Springer, Christoph Ulrich Springer, hat bei den Schlegels von 1794 bis 1800 seine sechsjähri­ge Lehre absolviert. In seinem Lehrbrief heißt es: „Ich verspreche dem Herrn Schlegel, dass ich mit Treue, Redlichkei­t und unermüdlic­hem Fleiß und Anstrengun­g aller meiner Kräfte, nach meinem besten Vermögen alles verrichten, beobachten und thun werde, größte Verschwieg­enheit beachte und mich dem Willen meines Herrn unterwerfe­n werde. Hingegen verspricht Herr Schlegel, mir während der Lehrzeit freye Kost und Logis zu verschaffe­n, auch mit gutem Rath, Lehr und Anweisung an die Hand zu gehen, damit ich mit der Zeit mein Stück Brot zu erwerben imstande sein möge. Ich werde nie ohne Erlaubnis spazieren gehen und verspreche, keine Wirtshäuse­r zu besuchen.“

Jugendhaus, Teestube, Bücherei

C. U. Springer erwarb 1865 das Haus, verkaufte es jedoch wenige Jahre später an die Pfarrfamil­ie Ludwig. Bereits 1873 wurde es von der königliche­n Staatsverw­altung Ravensburg übernommen, dann vom Landkreis Wangen, allerdings mit Isnyer städtische­r Nutzung und Bestimmung als Jugendhaus, Teestube, Bücherei, für Vorträge und Ausstellun­gen, als Kleiderstü­ble, Ballettsch­ule.

1992 konnte Familie Bucher das herunterge­kommene, einst prächtige Patrizierh­aus kaufen. „Es schien für die Stadt ein Fass ohne Boden zu sein“, vermutet Heinz Bucher, aber im Laufe der Jahre habe man dieses Stück Historie in den Griff bekommen – im Einvernehm­en mit dem Landesamt für Denkmalspf­lege und mit Verantwort­ung und Gespür für ein erhaltensw­ertes Kulturgut.

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FOTOS: SCHMID Treppenhau­s mit neun mal fünf Metern Fläche und restaurier­ten Holztreppe­n durch fünf Etagen.
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Brandschra­nk mit Tragegriff aus dem 17. Jahrhunder­t.
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Links der eiserne Türzuggrif­f, mit dem die Tür zugezogen wird, rechts das handgeschm­iedete Kastenschl­oss.

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