Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
TRADITIONSMOLKEREI IM GRIFF DES GROSSKONZERNS
Lactalis baut Omira um
RAVENSBURG - Noch immer treffen sie sich regelmäßig, die Milchbauern der Ravensburger Molkerei Omira. Bei Linsen und Spätzle diskutieren sie übers Geschäft – über Milchgeld und Liefermengen, über Pulverpreise, Mengenzuschläge und Marktentwicklungen. Und doch war vieles anders, als die Landwirte vor vier Wochen im oberschwäbischen Horgenzell zusammengekommen sind: Denn seit einem Jahr sind sie nur noch Milchbauern – und nicht mehr Besitzer einer Molkerei. Zum 1. September 2017 stimmte das Kartellamt dem Verkauf an die französische Lactalis-Gruppe zu – und trennte, was bis dahin fast 90 Jahre zusammengehört hatte: die Bauern von ihrem Unternehmen.
Für die Landwirte aus dem Allgäu und aus Oberschwaben, vom Bodensee, aus dem Schwarzwald und aus Neuburg an der Donau scheint sich das Geschäft auszuzahlen. Ihre Gesellschaft, die Omira OberlandMilchverwertung, die die Rohmilch der Höfe einsammelt und an die nun zu Lactalis gehörende Omira liefert, hat in der ersten Gesellschafterversammlung seit der Übernahme ordentliche Zahlen vorgelegt.
Bei Lactalis ist die Unruhe größer: Der Weltkonzern aus Laval bei Rennes, der die Milch der Bauern nun an den beiden Omira-Standorten Ravensburg und Neuburg verarbeitet, baut die 1929 als Genossenschaft gegründete Traditionsmolkerei gerade grundlegend um – und lässt sich nicht in die Karten blicken. Branchenexperten bezweifeln, dass die Lactalis-Gruppe, die 2017 an weltweit 229 Standorten rund 17 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet hat, zurzeit mit der Omira Geld verdient.
Eingehaltene Zusagen
Das ist nicht mehr die Sorge von Erich Härle. Der Milchbauer aus dem kleinen Weiler Laubbach bei Ostrach im Kreis Sigmaringen kontrollierte bis Ende August 2017 als Aufsichtsratschef die Geschäftsführer der Omira. Nun führt er die Geschäfte der Oberland-Milchverwertung. Der 53-Jährige verantwortet den Verkauf der Rohmilch an Lactalis. In Horgenzell präsentierte Härle den Bauern den Bericht über das Rumpfgeschäftsjahr 2017 – vom Zeitpunkt des Verkaufs bis zum 31. Dezember 2017. Bei einem Gesamtumsatz von rund 98,9 Millionen Euro erwirtschaftete die OberlandMilchverwertung durch den Verkauf der Rohmilch an Lactalis einen operativen Gewinn (Ebitda) von 1,3 Millionen Euro. „Lactalis hält die Versprechen beim Milchgeld genau ein, die Zusage war, dass sie den durchschnittlichen Milchpreis für Bayern plus Zuschläge zahlen“, sagt Härle. „Im September wird das Jahr 2017 endgültig abgerechnet, dann gibt es noch eine Nachzahlung.“
Auch den ausgemachten Kaufpreis für die Molkerei hat Lactalis gezahlt: 27 Millionen Euro. Und dass ist auch der Grund, warum trotz des operativen Gewinns Härle den Bauern in Horgenzell einen Verlust erklären musste. Einen Verlust, der als Buchverlust im Geschäftsbericht auftaucht: Der Wert der Molkerei mit allen Anlagen, Werken, Immobilien, Grundstücken, Marken und Verträgen stand vor dem Verkauf mit rund 55 Millionen Euro in der Bilanz. Lactalis zahlte zwar einen ordentlichen Preis, der Konzern war jedoch nicht bereit, den bilanzierten Wert zu zahlen, was den Buchverlust erklärt.
Das Geld der Franzosen ist im Moment auf zwei Konten geparkt: 17 Millionen auf dem Girokonto der Oberland-Milchverwertung, zehn Millionen auf einem Treuhandkonto. Dieses Geld fließt, wenn Lactalis nicht doch noch Gewährleistungsansprüche stellt. Solche Ansprüche können bei einem Verkauf dieser Größe entstehen, wenn der Käufer fragwürdige Geschäftsvorfälle entdeckt, sich Kunden aus vergangenen Jahren wegen minderer Qualität melden oder Schäden an Molkereianlagen erst jetzt auffallen. „Bis zum 1. Dezember muss Lactalis solche Ansprüche bei uns anmelden“, erklärt Härle. „Wir gehen aber davon aus, dass der größte Teil der zehn Millionen Euro nach Auslaufen der Frist an uns gehen wird.“
Was Erich Härle mit dem Geld machen wird, ist klar. Das hat er vor einem Jahr versprochen – und damit bei den Bauern für den Verkauf der Molkerei Omira an Lactalis geworben: Mit dem eingenommenen Geld will Härle die Geschäftsanteile, die die Bauern an der früheren Genossenschaft hielten, auszahlen. Denn zum Zeitpunkt des Verkauf steckten immerhin noch 22,8 Millionen Euro der Landwirte in der Molkerei. Fließt also ein Großteil der auf dem Treuhandkonto geparkten zehn Millionen Euro an die Oberland-Milchverwertung, werden die Omira-Bauern ihre Anteile vollständig zurück bekommen. „Wir kämpfen um die 100 Prozent, wir sind bestrebt, sie zu erreichen“, sagt Härle. „Das gilt heute genauso wie vor einem Jahr.“
Abhängig vom Pulverpreis
Vor zwölf Monaten stand das Unternehmen vor der endgültigen Pleite – und zwar weil die Preise für Milchpulver seit Jahren sehr niedrig sind. Zu niedrig für eine Molkerei wie Omira, die zwei Drittel ihrer Milch zu Pulver und nur ein Drittel zu frischen Produkten wie Joghurt, Pudding und Trinkmilch verarbeitet. Die einzige Möglichkeit wären Investitionen in neue Produkte und Anlagen für proteinhaltiges Milchpulver gewesen, die die Omira bei den niedrigen Pulverpreisen aber nicht mehr finanzieren konnte. Und hätten Härle und der Geschäftsführer der Genossenschaft, Ralph Wonnemann, in der Zeit vor dem Verkauf darauf bestanden, das Milchgeld zu drücken, um die Zukunftsinvestitionen zu bezahlen, hätten die Milchbauern ihre Lieferverträge gekündigt. Ein Teufelskreis. In dieser Situation warben Härle und Wonnemann in der ersten Jahreshälfte 2017 für den Verkauf an den französischen Großkonzern. In Lactalis „haben wir einen Investor, der zahlt und damit die Geschäftsanteile sichert. Einen Käufer, der das Milchgeld langfristig sichert – und investiert“, sagte Wonnemann vor gut einem Jahr.
Der Kaufpreis ist gezahlt, das Milchgeld gesichert – zumindest hat sich Lactalis nach Angaben Härles dazu verpflichtet, bis Ende 2027 den vergleichsweise guten bayerischen Durchschnittspreis plus Zuschläge zu zahlen. Die Investitionen in die Zukunft des Unternehmens stehen allerdings noch aus. Was der französische Konzern mit der Molkerei in Ravensburg und dem Standort in Neuburg, der noch im Besitz der Neuburger Genossenschaft ist und für den Lactalis ein Vorkaufsrecht hat, vorhat – darüber schweigen sich die Franzosen aus. „Kein Kommentar“, sagt LactalisKommunikationschef Michel Nalet auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. „Wir kümmern uns jetzt um das Unternehmen – und es ist nicht die Zeit, übers Geschäft zu reden.“
Zurzeit führt der Deutschlandchef von Lactalis, Morten Felthaus, die Molkerei in Ravensburg. Eigentlich ist noch immer Ralph Wonnemann Standortchef, doch der frühere Geschäftsführer der Omira-Genossenschaft ist seit Wochen nicht nicht mehr an seinem Schreibtisch gewesen. Offiziell ist er im Krankenstand. Doch ob und wann der Manager, der den Verkauf an Lactalis eingefädelt hat, zur Omira zurückkehrt, ist unklar. Auch Felthaus redet nicht. Der 46-jährige Däne, der seinen Dienstsitz eigentlich in Kehl am Rhein hat, weilt nun selbst regelmäßig in Oberschwaben.
Nach Informationen der „Schwäbischen Zeitung“aus Unternehmenskreisen baut Lactalis die Omira zurzeit grundlegend um. Unter einer Omira-Holding sollen die Geschäftsbereiche Produktion, Vertrieb, Einkauf und Geschäftsbetrieb Neuburg in neue Einzelgesellschaften ausgegliedert werden. „Hierarchisch geführt – eben typisch französisch“, beschreibt ein früherer Omira-Manager das Vorgehen der neuen Eigentümer. „Die haben richtig viel gezahlt, sich beim Milchgeld lange verpflichtet. Jetzt machen sie Miese. Und was macht ein Großkonzern dann? Er schaut auf die Kosten.“2016, dem letzten vollen Geschäftsjahr, in dem die Omira noch als Genossenschaft organisiert war und den Bauern gehörte, erwirtschaftete die Molkerei bei einem Umsatz von 420 Millionen Euro einen Gewinn von 1,68 Millionen Euro. Das Unternehmen zahlte den im Vergleich schlechten Milchpreis von durchschnittlich 27,72 Cent pro Liter und verarbeitete 822 Millionen Kilogramm Milch.
Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) blickt mit Sorge auf die Entwicklung in Ravensburg. Der Standort mit seinen 396 Mitarbeitern ist bereits im vergangenen Jahr aus dem Tarifvertrag ausgeschieden. „Beim Betriebsübergang wurde den Beschäftigten gesagt, dass sie mit der Kündigung rechnen müssen, wenn sie nicht zustimmen“, sagt die NGG-Geschäftsführerin der Region Ulm-Göppingen, Karin Brugger. Zudem habe Lactalis erklärt, dass auch der Standort Neuburg mit 130 Angestellten Ende des Jahres aus dem Tarif aussteigen werde. „Warum die Franzosen den Betrieb aufspalten, weiß ich nicht. Sie führen steuerliche Gründe an“, erklärt Brugger weiter. Eine Ahnung hat die Gewerkschafterin allerdings doch: In neu gegründeten Gesellschaften müsse ein Unternehmen bei einem Personalabbau keinen Sozialplan aufstellen. „In die Produktionsgesellschaft sollen etwa 240 Mitarbeiter wechseln“, sagt Brugger. „Ein Jobabbau in einer neuen Gesellschaft wäre so einfacher.“Weder Felthaus noch Nalet äußern sich auf Anfrage zu den Befürchtungen der Gewerkschaft.
Klar ist allerdings, dass die Unruhe zunehmen wird. Lactalis hat Manager und Controller nach Ravensburg geschickt. Sie werden von Montag an die Prozesse und Abläufe der Molkerei zwei Wochen lang prüfen. Und Vorschläge machen wie die früherer Molkerei der oberschwäbischen Bauern am besten in den Weltkonzern einzugliedern ist.
„Warum die Franzosen den Betrieb aufspalten, weiß ich nicht.“
NGG-Funktionärin Karin Brugger