Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Zipfel-Glück
Die ehemals freie Reichsstadt Isny ist wie eine Insel von Bayern umringt
ISNY (sz) - „Wo kommen Sie her?“„Aus Isny im Allgäu.“„Ah, Bayern, oder?“Diese Gespräche kennt jeder, der in Isny wohnt. Denn die Stadt ist zu drei Viertel von Bayern umringt – liegt aber am äußersten Zipfel von Baden-Württemberg und gehört zum Landkreis Ravensburg. „Ein Witz“, findet Heimatforscher und AllgäuExperte Karl Stiefenhofer aus Eglofs. „Ravensburg? Das sind gefühlte 1000 Höhenmeter Unterschied“, sagt er über die von Isny rund 45 Kilometer entfernte Kreisstadt.
Er findet, Isny gehört nur zu einem Gebiet: dem Allgäu. Das Städtchen hätte so gar nichts mit dem Bundesland rund um die Schwäbische Alb zu tun. Napoleon war in diesem Punkt offenbar anderer Meinung. Der General formte 1806 aus einem Flickenteppich von kleinen Fürstentümern in Süddeutschland das Königreich Württemberg und das Königreich Bayern. Ein wildes und oft willkürliches Tauschgeschäft. Die Bayern wollten Zugang zum Bodensee, dafür gab man Isny her. Seit 1810 ist die Grenze fix. Seitdem gehört die ehemals freie Reichsstadt offiziell zum oberschwäbischen Baden-Württemberg. „Ich fühl mich nicht als Württemberger. Auch nicht als Oberschwabe. Ich bin Allgäuer“, sagt Franz Mayer, Ortsvorsteher von Großholzleute, einer von vier Ortschaften rund um Isny. In seinem Dorf spielen die Hoheitsgebiete heute keine echte Rolle mehr, versichert er. „Heanat und deanat“kämen gut miteinander aus. Früher sei das ganz anders gewesen. „Wer über bayerisches Gebiet zur Schule laufen musste, bekam Prügel.“
Durch die Randlage mit Reizklima entstand in den Köpfen der Menschen über Jahrzehnte hinweg offensichtlich ein ganz eigenes Lebensgefühl, das sich von Finanzämtern und Behörden nicht lenken lässt: „Wir sind Allgäuer“, sind sich die meisten hier einig. Landschaftlich gesehen gibt es daran jedenfalls keinen Zweifel: Sanfte Hügel, grüne Wiesen, Kühe, idyllisch angelegtes Städtchen, Zwiebeltürme, Alpenpanorama. Sogar auf dem Ortsschild steht: Isny im Allgäu. Das gehört dazu. Vielen Bayern ist das gar nicht recht. „Des isch koi Allgai meh“, heißt es in Diskussionen an Stammtischen und in den sozialen Netzwerken.
Dabei hätte Isny mehrmals in seiner Geschichte beinahe tatsächlich zu Bayern gehört: „Anfang des 19. Jahrhunderts standen bayerische Soldaten vor den Toren der Stadt und wollten sie einnehmen“, erzählt Manfred Haaga, der 40 Jahre lang am Isnyer Gymnasium Geschichte unterrichtete. „Einem Gerücht zufolge dachten die Bayern, die Stadt gehöre bereits zu Österreich – ein Gebiet, an dem man sich bedienen durfte.“Dem war dann aber gar nicht so. Napoleon räumte das Durcheinander an Besitztümern auf.
Übrigens: Ganze 18 Prozent des Allgäus liegen auf baden-württembergischem Gebiet. Der Ursprung des Landstrichs ist nur zehn Kilometer von Isny entfernt – nämlich in Zell kurz vor Oberstaufen. Dem Ort, der vor 1200 Jahren zum ersten Mal in diesem Landstrich urkundlich erwähnt wurde.