Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Gauland stellt Parteiensystem infrage
Verfassungsrechtler: AfD-Parteichef befürwortet Umsturz – Kritik an Seehofer-Bemerkung
RAVENSBURG - Die jüngsten Äußerungen von AfD-Parteichef Alexander Gauland sind nach Auffassung des Friedrichshafener Verfassungsrechtlers Georg Jochum verfassungswidrig. „Gaulands ,friedliche Revolution‘ bedeutet nichts anderes als ein Umsturz unserer bestehenden Rechts- und Verfassungsordnung“, sagte Jochum der „Schwäbischen Zeitung“. In der DDR sei 1989 nicht nur die regierende SED, sondern das gesamte politische System abgelöst worden. „Wenn Gauland dies als Zielsetzung der AfD ankündigt, ist das nicht mehr weit entfernt von dem, was das Bundesverfassungsgericht für eine verfassungsfeindliche Partei hält“, sagte der Juraprofessor der Zeppelin-Universität weiter.
Gauland hatte in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“den Umsturz in der DDR als „friedliche Revolution“bezeichnet und betont, „friedliche Revolutionen machen mir nie Sorgen“. Zudem sagte er, „das politische System im Sinne des Parteiensystems“müsse geändert werden – und erklärte, er meine nicht die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Das wertet Jochum dennoch als Angriff auf die Verfassung. „Gauland will ,die Parteien, die uns regieren‘ beseitigen. Das ist verfassungswidrig.“
Wie am Donnerstag bekannt wurde, wird nun auch der AfD-Landesverband Thüringen vom Verfassungsschutz beobachtet. Landesverfassungsschutzchef Stephan Kramer leitete die Vorstufe einer möglichen Beobachtung ein. Als Gründe für die Klassifizierung der AfD zum Prüffall nannte er auch eine bröckelnde Abgrenzung der AfD zu rechtsextremen Protesten gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung.
Wegen der Äußerung, die Migrationsfrage sei „Mutter aller politischen Probleme“, wächst unterdessen die Kritik an Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Die Bemerkung zeige, dass Seehofer lieber die Schuld auf andere schiebe, anstatt selbst die Verantwortung zu übernehmen, sagte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt der „Schwäbischen Zeitung“. „Die Mutter aller Probleme sind in dieser Frage Ignoranz, Rassismus und Spalterei. Ein Problem ist der Innenminister, der die Probleme nicht erkennen und nicht bearbeiten will.“
RAVENSBURG - Die AfD lehnt sich in ihrer Sprache stark an Begrifflichkeiten der Nationalsozialisten an. Das sagte Professorin Heidrun Kämper (Foto: pr), Leiterin des Arbeitsbereichs Sprachliche Umbrüche an der Universität Mannheim und Mitglied der Auswahlkommission der Friedrich-EbertStiftung, im Gespräch mit Daniel Hadrys.
Frau Kämper, welche Assoziationen weckt das bei Ihnen, wenn AfD-Chef Alexander Gauland davon spricht, das „politische System“müsse weg?
Da muss man nicht lange nachdenken. Das ist die Parallele zur späten Weimarer Zeit. Die Parallele zur NSDAP und ihren Ausdrücken ist ganz deutlich. Die Nazis haben von der „Systemzeit“gesprochen in Bezug auf Weimar. Sie meinten damit die parlamentarische Demokratie, die sie abschaffen wollten. Beim Ausdruck „System“sind wir sofort in der sprachlichen Welt des Nationalsozialismus.
Einigen AfDMitgliedern und -Abgeordneten wurde vorgeworfen, sie würden sich beim Vokabular des Dritten Reichs bedienen. Wo sehen Sie weitere Parallelen?
Wenn man nur mal in die Bundestagsprotokolle sieht, findet man Begriffe wie „kulturfremde Kostgänger“, „volksfremd“, „Fremdstaatler“und auf der anderen Seite „Deutschstämmige“. Von „entartet“ist die Rede. Das sind alles Beispiele aus den Bundestagsdebatten. Außerhalb des Bundestags hat der ehemalige AfD-Landeschef Sachsen-Anhalts, André Poggenburg, den Ausdruck „Wucherung am Volkskörper“verwendet. Solche biologistischen Reden und diese Krankheitsmetaphorik sind exakt im Nationalsozialismus und in der Weimarer Zeit nachweisbar.
Wie extremistisch ist die Sprache der AfD in Bezug auf andere Volksgruppen?
Die Sprache über andere Volksgruppen ist extrem exkludierend, also ausschließend. Das Schaffen einer sogenannten „Volksgemeinschaft“, wie es die AfD macht und wie es die Nazis gemacht haben, oder einer „Gemeinschaft der Deutschstämmigen“basiert sprachlich auf der Strategie von Inklusion und Exklusion. So hat das im Nationalsozialismus funktioniert – da waren es die Juden. So funktioniert das heute, und so redet auch die AfD in Bezug auf Migranten und Nichtdeutsche.
Steckt hinter der Wortwahl der AfD eine Strategie?
Ja, das ist eine Strategie. Aber inzwischen bin ich der Meinung, dass wir das Phänomen verharmlosen. Wäre es nur eine Strategie, könnte man vermuten, dass solche Äußerungen eigentlich nicht so gemeint sind und sie aus rein taktischen Gründen getätigt werden. Die AfD spricht aber nicht aus rein taktischen Gründen so, sondern sie ist im Geiste verwandt mit völkischrassistischem Denken.
Beeinflusst die AfD mit ihrer Sprache auch den politischen Diskurs? Bundesinnenminister Horst Seehofer spricht von der „Migration als Mutter aller politischen Probleme“.
Bei der CSU ist es ganz eindeutig so. Das ist fast eine Eins-zu-einsÜbernahme vom Sprechen her. Diese Radikalisierung im sprachlichen Ausdruck greift aber noch viel weiter. Beispielsweise sind in der aktuellen Diskussion über den Braunkohleabbau harte Worte gefallen. Was ist da passiert? Der sprachliche Ausdruck radikalisiert sich und verroht, es gibt teilweise eine komplette Verabschiedung von unserer Kulturtechnik der Höflichkeit.