Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Gauland stellt Parteiensy­stem infrage

Verfassung­srechtler: AfD-Parteichef befürworte­t Umsturz – Kritik an Seehofer-Bemerkung

- Von Daniel Hadrys

RAVENSBURG - Die jüngsten Äußerungen von AfD-Parteichef Alexander Gauland sind nach Auffassung des Friedrichs­hafener Verfassung­srechtlers Georg Jochum verfassung­swidrig. „Gaulands ,friedliche Revolution‘ bedeutet nichts anderes als ein Umsturz unserer bestehende­n Rechts- und Verfassung­sordnung“, sagte Jochum der „Schwäbisch­en Zeitung“. In der DDR sei 1989 nicht nur die regierende SED, sondern das gesamte politische System abgelöst worden. „Wenn Gauland dies als Zielsetzun­g der AfD ankündigt, ist das nicht mehr weit entfernt von dem, was das Bundesverf­assungsger­icht für eine verfassung­sfeindlich­e Partei hält“, sagte der Juraprofes­sor der Zeppelin-Universitä­t weiter.

Gauland hatte in der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“den Umsturz in der DDR als „friedliche Revolution“bezeichnet und betont, „friedliche Revolution­en machen mir nie Sorgen“. Zudem sagte er, „das politische System im Sinne des Parteiensy­stems“müsse geändert werden – und erklärte, er meine nicht die freiheitli­ch-demokratis­che Grundordnu­ng. Das wertet Jochum dennoch als Angriff auf die Verfassung. „Gauland will ,die Parteien, die uns regieren‘ beseitigen. Das ist verfassung­swidrig.“

Wie am Donnerstag bekannt wurde, wird nun auch der AfD-Landesverb­and Thüringen vom Verfassung­sschutz beobachtet. Landesverf­assungssch­utzchef Stephan Kramer leitete die Vorstufe einer möglichen Beobachtun­g ein. Als Gründe für die Klassifizi­erung der AfD zum Prüffall nannte er auch eine bröckelnde Abgrenzung der AfD zu rechtsextr­emen Protesten gegen die Flüchtling­spolitik der Bundesregi­erung.

Wegen der Äußerung, die Migrations­frage sei „Mutter aller politische­n Probleme“, wächst unterdesse­n die Kritik an Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU). Die Bemerkung zeige, dass Seehofer lieber die Schuld auf andere schiebe, anstatt selbst die Verantwort­ung zu übernehmen, sagte Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Die Mutter aller Probleme sind in dieser Frage Ignoranz, Rassismus und Spalterei. Ein Problem ist der Innenminis­ter, der die Probleme nicht erkennen und nicht bearbeiten will.“

RAVENSBURG - Die AfD lehnt sich in ihrer Sprache stark an Begrifflic­hkeiten der Nationalso­zialisten an. Das sagte Professori­n Heidrun Kämper (Foto: pr), Leiterin des Arbeitsber­eichs Sprachlich­e Umbrüche an der Universitä­t Mannheim und Mitglied der Auswahlkom­mission der Friedrich-EbertStift­ung, im Gespräch mit Daniel Hadrys.

Frau Kämper, welche Assoziatio­nen weckt das bei Ihnen, wenn AfD-Chef Alexander Gauland davon spricht, das „politische System“müsse weg?

Da muss man nicht lange nachdenken. Das ist die Parallele zur späten Weimarer Zeit. Die Parallele zur NSDAP und ihren Ausdrücken ist ganz deutlich. Die Nazis haben von der „Systemzeit“gesprochen in Bezug auf Weimar. Sie meinten damit die parlamenta­rische Demokratie, die sie abschaffen wollten. Beim Ausdruck „System“sind wir sofort in der sprachlich­en Welt des Nationalso­zialismus.

Einigen AfDMitglie­dern und -Abgeordnet­en wurde vorgeworfe­n, sie würden sich beim Vokabular des Dritten Reichs bedienen. Wo sehen Sie weitere Parallelen?

Wenn man nur mal in die Bundestags­protokolle sieht, findet man Begriffe wie „kulturfrem­de Kostgänger“, „volksfremd“, „Fremdstaat­ler“und auf der anderen Seite „Deutschstä­mmige“. Von „entartet“ist die Rede. Das sind alles Beispiele aus den Bundestags­debatten. Außerhalb des Bundestags hat der ehemalige AfD-Landeschef Sachsen-Anhalts, André Poggenburg, den Ausdruck „Wucherung am Volkskörpe­r“verwendet. Solche biologisti­schen Reden und diese Krankheits­metaphorik sind exakt im Nationalso­zialismus und in der Weimarer Zeit nachweisba­r.

Wie extremisti­sch ist die Sprache der AfD in Bezug auf andere Volksgrupp­en?

Die Sprache über andere Volksgrupp­en ist extrem exkludiere­nd, also ausschließ­end. Das Schaffen einer sogenannte­n „Volksgemei­nschaft“, wie es die AfD macht und wie es die Nazis gemacht haben, oder einer „Gemeinscha­ft der Deutschstä­mmigen“basiert sprachlich auf der Strategie von Inklusion und Exklusion. So hat das im Nationalso­zialismus funktionie­rt – da waren es die Juden. So funktionie­rt das heute, und so redet auch die AfD in Bezug auf Migranten und Nichtdeuts­che.

Steckt hinter der Wortwahl der AfD eine Strategie?

Ja, das ist eine Strategie. Aber inzwischen bin ich der Meinung, dass wir das Phänomen verharmlos­en. Wäre es nur eine Strategie, könnte man vermuten, dass solche Äußerungen eigentlich nicht so gemeint sind und sie aus rein taktischen Gründen getätigt werden. Die AfD spricht aber nicht aus rein taktischen Gründen so, sondern sie ist im Geiste verwandt mit völkischra­ssistische­m Denken.

Beeinfluss­t die AfD mit ihrer Sprache auch den politische­n Diskurs? Bundesinne­nminister Horst Seehofer spricht von der „Migration als Mutter aller politische­n Probleme“.

Bei der CSU ist es ganz eindeutig so. Das ist fast eine Eins-zu-einsÜberna­hme vom Sprechen her. Diese Radikalisi­erung im sprachlich­en Ausdruck greift aber noch viel weiter. Beispielsw­eise sind in der aktuellen Diskussion über den Braunkohle­abbau harte Worte gefallen. Was ist da passiert? Der sprachlich­e Ausdruck radikalisi­ert sich und verroht, es gibt teilweise eine komplette Verabschie­dung von unserer Kulturtech­nik der Höflichkei­t.

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