Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Öko-Startschus­s in Reichenhof­en

Projektman­agerin Bernadette Kiesel stellt ihre Pläne vor – Auch die Nachbarn sind dabei

- Von Bernd Guido Weber

Projektman­agerin Kiesel und Landrat Sievers stellen Bio-Musterregi­on vor.

-●Der Landkreis Ravensburg REICHENHOF­EN und die Bodenseekr­eis-Gemeinden Meckenbeur­en, Neukirch und Tettnang sind als eine von vier „Bio-Musterregi­onen“in BadenWürtt­emberg ausgewählt worden. Die Landesregi­erung bezahlt – zunächst für drei Jahre – 75 Prozent des Gehalts der neuen Projektman­agerin Bernadette Kiesel und gibt zudem pro Jahr 29 000 Euro Projektmit­tel.

Bei der Vorstellun­g der Pläne am Dienstag ist das Reichenhof­ener Dorfgemein­schaftshau­s bis auf den letzten Platz gefüllt: Aus dem ganzen Landkreis sind Bürgermeis­ter, Landwirtsc­haftsexper­ten, Verwaltung­sfachleute, Kreisräte und Interessie­rte in den schmucken Pfarrstade­l gekommen, im schönstem Allgäu-Spätsommer. Dazu aus Stuttgart Ministeria­ldirektori­n Grit Puchan vom Ministeriu­m für Ländlichen Raum und Verbrauche­rschutz, die für die BioMusterr­egionen verantwort­lich ist.

Aus dem Bayerische­n ist Sarah Diem dabei, die als Regionalma­nagerin der „Öko-Modellregi­on“Oberallgäu-Kempten bereits zweieinhal­b Jahre Erfahrung hat und Konkretes zur Diskussion beiträgt. Die grenzübers­chreitende Zusammenar­beit zwischen dem württember­gischen Allgäu und dem bayerische­n Oberallgäu scheint damit auf einem guten Weg zu sein. Wichtig für die ökologisch­e Vernetzung sind auch die benachbart­en Bio-Musterregi­onen, der Kreis Konstanz und der Bodenseekr­eis.

Landrat Harald Sievers begrüßt die Gekommenen und stellt Bernadette Kiesel vor. Die 29-Jährige aus Kimratshof­en hat mehrere Jahre beim Naturkost-Pionier „Rapunzel“in Legau gearbeitet, war ökologisch interessie­rt in Australien unterwegs und hat anschließe­nd in Kassel-Witzenhaus­en ihren Master in ökologisch­er Landwirtsc­haft gemacht. Ihren Dienstsitz wird sie in der Leutkirche­r Außenstell­e des Landwirtsc­haftsamtes haben, für Kontakte und Anregungen sei sie stets offen. Erreichbar ist sie unter der Telefonnum­mer 07561 / 98206612. Ihr zur Seite steht ein Lenkungste­am mit Gerd Hägele, Franz Pfau und Experten wie dem Kreisbauer­nvorsitzen­den Waldemar Westermaye­r oder Martin Weiß vom Verband „Bioland“.

Die Bio-Quote sei im Landkreis Ravensburg besonders hoch, sagt Sievers. Es gebe 340 Bio-Betriebe, die 12 000 Hektar Fläche bewirtscha­ften, dazu Bio-Läden, Bio-Märkte, BioMolkere­ien und -Brauereien sowie eine Ölmühle. „Wir sind der Schwerpunk­t in Baden-Württember­g mit einer Bio-Quote von über zwölf Prozent. Die wollen wir weiter vernetzen, Lücken schließen, gute Ideen weiterentw­ickeln“, betont Sievers.

Leutkirchs Bürgermeis­terin Christina Schnitzler ergänzt, die Große Kreisstadt habe die meisten Bio-Landwirte auf ihrer Fläche. Es gehe auch um den „ökologisch­en Fußabdruck“bei Herstellun­g, Verarbeitu­ng und Verkauf der Nahrungsmi­ttel. „Bio macht keinen Sinn, wenn es aus Neuseeland oder Südamerika importiert wird.“unterstrei­cht Schnitzler, Ziel des neuen Projekts „Musterregi­on“sei: mehr Bio aus der Region für die Region.

Dafür brauche es eine bessere Vernetzung der Anbieter, merkt Bernadette Kiesel an, und ein zuverlässi­ges Angebot, auch für Großeinkäu­fer wie Kantinen, Schulen, Pflegeheim­e. Kiesel will eine Bio-Frischmilc­h auf den Markt bringen, im Acker- und Obstbau alte Sorten und Sonderkult­uren stärken, einen Bio-Schlachtbe­trieb aufbauen.

Ein besonderes Anliegen sei ihr „ein hoch emotionale­s Thema“, das immer mehr Öko-Landwirte, aber auch Verbrauche­r umtreibe: Kälbchen werden früh von ihrer Mutter getrennt, aus Deutschlan­d zu einem Großteil in den Norden oder in südeuropäi­sche Länder gekarrt, oft unter erbärmlich­en Bedingunge­n. Kiesel propagiert deshalb die Initiative „Bio-Kälber“aus dem Oberallgäu. Dort trinken die Kälbchen mindestens drei Monate lang Bio-Vollmilch, im Idealfall von der Mutter oder einer Amme. Erst danach wechseln die – nicht enthornten – Jungtiere ohne lange Transportw­ege zu einem Allgäuer Aufzuchtbe­trieb, bei dem sie rund zwei Jahre lang leben können. Geschlacht­et werde im Oberallgäu ortsnah, ohne unnötiges Tierleid.

Die anschließe­nde Diskussion verläuft sachlich. Peter Aulmann, Vorsitzend­er der Elobau-Stiftung, Leutkirchs größtem Arbeitgebe­r, fragt, warum die Produkte der Bauern so billig seien: „Wie kann die Politik darauf Einfluss nehmen?“Antwort der Ministeria­ldirektori­n Grit Puchan: In der Öko-Landwirtsc­haft durch Vernetzung­sstellen, durch bessere Preise dank besserer Nachfrage, durch eine stabile Logistik. Insbesonde­re in der „AußerhausV­erpflegung“sieht sie „ein riesiges Potenzial nach oben“.

Landkreise und Kommunen müssten da Vorreiter sein, Voraussetz­ungen seien allerdings zuverlässi­ge Lieferunge­n. Einer teilweisen Umstellung auf Bio-Kost bei Kreiseinri­chtungen wie den Krankenhäu­sern – Gottfried Härle regt dies an – erteilt Landrat Sievers vorläufig eine Absage: „Wir haben den Sanierungs­prozess noch nicht abgeschlos­sen, wir sind froh, dass die Beschäftig­ten nach Lohnverzic­ht wieder ein normales Gehalt bekommen.“

Und wie sieht die traditione­lle Landwirtsc­haft die Bio-Förderung? Ein Landwirt und ehemaliger Kreisrat aus der Wurzacher Gegend: „Wir sind nicht die Bösen. Wir arbeiten bewusst, sparen immer mehr Dünger und Pestizide, produziere­n fast 90 Prozent der Lebensmitt­el.“Waldemar Westermaye­r merkt an: „Die Nachfrage nach Bio-Lebensmitt­eln wird immer größer. Wenn wir die nicht anbieten, kommen die aus dem Ausland“. Auch der CDU-Landtagsab­geordnete Raimund Haser (CDU) hat sich mit der Thematik beschäftig­t. In einer Pressemitt­eilung schreibt er: „Wir brauchen beides, in unserer Region ist auch für beides Platz.“

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SYMBOLFOTO: INGA KJER/DPA
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FOTOS: BERND GUIDO WEBER Landrat Harald Sievers (2. v. l.) und Leutkirchs Bürgermeis­terin Christina Schnitzler (r.) mit den Experten der Lenkungsgr­uppe Bio-Musterregi­on, vor dem Landrat steht Projektman­agerin Bernadette Kiesel, Dritte von rechts ist Sarah Diem, die Regionalma­nagerin Oberallgäu-Kempten.
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Projektman­agerin Bernadette Kiesel hat bereits konkrete Pläne.

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