Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Im Wald, da sind die Räumer ...
Aktivisten wollen den Hambacher Forst retten – Doch die Behörden beginnen nun mit der Räumung
Polizeieinsatz im Hambacher Forst: Mit großem Aufgebot haben die Behörden begonnen, das jahrelang von Braunkohlegegnern besetzt gehaltene Waldstück zu räumen (Foto: dpa). Spezialkräfte holten Umweltschützer aus ihren Baumhäusern. Ab Herbst will der Energiekonzern RWE den Wald abholzen, um weiter Braunkohle zu baggern.
KERPEN - Es ist der Tag, den Aktivisten seit Langem erwartet haben: Die Polizei geht im Hambacher Forst gegen Umweltschützer vor. Schon im Oktober könnte der Energiekonzern RWE mit der Rodung des Waldgebietes zwischen Köln und Aachen beginnen. Das Unternehmen will hier Braunkohle abbauen.
Freddy sitzt zehn Meter hoch über dem Waldboden. Sein Gesicht ist vermummt, sein Körper in goldschimmernde Rettungsfolie gehüllt. Immer wieder appelliert er mit lauter Stimme an die Polizisten am Boden: Wollen Sie wirklich dabei mithelfen, einen alten Wald zu vernichten? Wollen Sie Baumhäuser zerstören, in denen manche Menschen schon sechs Jahre wohnen? Und all das für die Kohle, die das Klima anheizt? „Die Befehle, die ihr ausführt, sind Verbrechen!“, ruft er.
Neue Stufe der Eskalation
Tief unter Freddy spricht Joachim Schwister, Baudezernent der Stadt Kerpen, in ein Megafon: „Achtung! Achtung!“In peniblem Verwaltungsdeutsch verkündet er dann das, was die Eskalation um den Hambacher Forst auf eine neue Stufe hebt. „Die Baumhäuser verfügen nicht über erforderliche Rettungswege“, sagt er. Sie seien unverzüglich zu räumen. Auch der Brandschutz sei ein Problem. „Bitte nehmen Sie beim Verlassen der Baumhäuser Ihre persönlichen Gegenstände mit.“Die Gegenseite reagiert mit Gelächter.
„Wir stellen uns seit Monaten auf die Räumung ein, wir sind vorbereitet“, sagt Jona Fischer, der zum Presseteam der Ökoaktivisten gehört. „Überall sitzen Menschen in den Baumhäusern, um der Polizei die Arbeit zu erschweren. Die Zahl der Aktivisten schätzt Fischer auf etwa 200. So genau könne das im Wald aber niemand sagen: „Es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen.“
Es ist nicht etwa Widerstand gegen die Staatsgewalt oder RWE, der den Waldbesetzern zu diesem Zeitpunkt vorgeworfen wird, es sind Verstöße gegen das Baurecht, den Brandschutz. „Die Begründung hat uns einerseits schon überrascht“, sagt Jona Fischer. „Andererseits wurden schon vor Jahren Baumhäuser mit dieser Begründung geräumt.“Kurios dabei: Während der großen Trockenheit im Sommer geschah nichts, jetzt ist der Wald nach stundenlangem Regen feuchtnass. Außerdem berichten Aktivisten, die Polizei habe bereits früher Feuerlöscher beschlagnahmt – mit der Begründung, sie könnten als Waffen benutzt werden.
Meter für Meter geht es vorwärts
Mehrfach wird die Megafon-Ansage am Donnerstag wiederholt. Der Ablauf ist immer gleich. Ein Ultimatum von einer halben Stunde verstreicht, dann kommt das große Gerät. Meter um Meter arbeiten sich die Behörden in den Wald vor. Greifer räumen Barrikaden aus Stöcken und Ästen weg.
Am Boden lösen Polizisten auch eine Sitzblockade von Kirchenleuten auf. Die Männer und Frauen lassen sich ohne Widerstand wegtragen.
Der Polizeieinsatz gehört zu den größten der jüngeren Geschichte Nordrhein-Westfalens. Aus ganz Deutschland kommen Beamte. Auch Baden-Württemberg will Einsatzeinheiten in den Hambacher Forst schicken, teilt das Stuttgarter Innenministerium auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“mit. Wann und wie viele Beamte nach Nordrhein-Westfalen abkommandiert werden, stehe aber noch nicht fest.
Rund 50 Baumhäuser gibt es im Hambacher Forst. Am Donnerstag bekommt man einen Eindruck davon, wie mühsam und damit langsam ihre Räumung ablaufen wird. Aktivistensprecher Fischer bestätigt den Eindruck. „Eine Räumung in ein, zwei Tagen ist nicht durchführbar. Die Polizei wird sich nach und nach vorarbeiten“, erwartet er.
Solide gebaute Baumhäuser
Die Aktivisten wehren sich nach Kräften dagegen, aus ihren Hütten gezogen zu werden. Die Baumhäuser sind größtenteils solide gebaut, manche verfügen über Geländer, andere sind schlecht gesichert. Auf die Bäume gelangen die Besetzer mit Seilen oder Leitern. Kletterausrüstung ist in großen Mengen vorhanden.
Die von manchen befürchtete große Gewalteskalation bleibt am Donnerstag zunächst aus, auch wenn die Polizei von Steinwürfen und Zwillenbeschuss berichtet. „Ohne Helm und ohne Knüppel seid ihr nichts!“, schallt es durch den Wald.
RWE will den schon in großen Teilen abgeholzten Wald roden, um die Braunkohle unter ihm ausbaggern zu können. Dem Energiekonzern gehört der Forst. Zurzeit gilt allerdings ein Stillhalteabkommen. RWE hat vor dem Verwaltungsgericht Münster zugesagt, nicht zu roden, bevor die Richter über eine Klage des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) entschieden haben. Das Urteil wird für Mitte Oktober erwartet.
Nach Ansicht von Aktivistensprecher Fischer ist die Zusage aber Makulatur, wenn die Polizei schon jetzt vorrückt – auch wenn dies nun nicht von RWE veranlasst wurde, sondern wegen der kommunalen Baurechtsauflagen. „Eine Räumung ist eine halbe Rodung“, sagt Fischer. Denn wenn – wie bei den bisherigen Räumungen – zur Beseitigung eines Baumhauses jedes Mal mehrere Bäume gefällt werden, bleibe nicht mehr viel übrig. „Dann ist der halbe Wald weg.“