Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Im Wald, da sind die Räumer ...

Aktivisten wollen den Hambacher Forst retten – Doch die Behörden beginnen nun mit der Räumung

- Von Jonas-Erik Schmidt und Christoph Driessen (dpa), Ulrich Mendelin und Stefan Fuchs

Polizeiein­satz im Hambacher Forst: Mit großem Aufgebot haben die Behörden begonnen, das jahrelang von Braunkohle­gegnern besetzt gehaltene Waldstück zu räumen (Foto: dpa). Spezialkrä­fte holten Umweltschü­tzer aus ihren Baumhäuser­n. Ab Herbst will der Energiekon­zern RWE den Wald abholzen, um weiter Braunkohle zu baggern.

KERPEN - Es ist der Tag, den Aktivisten seit Langem erwartet haben: Die Polizei geht im Hambacher Forst gegen Umweltschü­tzer vor. Schon im Oktober könnte der Energiekon­zern RWE mit der Rodung des Waldgebiet­es zwischen Köln und Aachen beginnen. Das Unternehme­n will hier Braunkohle abbauen.

Freddy sitzt zehn Meter hoch über dem Waldboden. Sein Gesicht ist vermummt, sein Körper in goldschimm­ernde Rettungsfo­lie gehüllt. Immer wieder appelliert er mit lauter Stimme an die Polizisten am Boden: Wollen Sie wirklich dabei mithelfen, einen alten Wald zu vernichten? Wollen Sie Baumhäuser zerstören, in denen manche Menschen schon sechs Jahre wohnen? Und all das für die Kohle, die das Klima anheizt? „Die Befehle, die ihr ausführt, sind Verbrechen!“, ruft er.

Neue Stufe der Eskalation

Tief unter Freddy spricht Joachim Schwister, Baudezerne­nt der Stadt Kerpen, in ein Megafon: „Achtung! Achtung!“In peniblem Verwaltung­sdeutsch verkündet er dann das, was die Eskalation um den Hambacher Forst auf eine neue Stufe hebt. „Die Baumhäuser verfügen nicht über erforderli­che Rettungswe­ge“, sagt er. Sie seien unverzügli­ch zu räumen. Auch der Brandschut­z sei ein Problem. „Bitte nehmen Sie beim Verlassen der Baumhäuser Ihre persönlich­en Gegenständ­e mit.“Die Gegenseite reagiert mit Gelächter.

„Wir stellen uns seit Monaten auf die Räumung ein, wir sind vorbereite­t“, sagt Jona Fischer, der zum Presseteam der Ökoaktivis­ten gehört. „Überall sitzen Menschen in den Baumhäuser­n, um der Polizei die Arbeit zu erschweren. Die Zahl der Aktivisten schätzt Fischer auf etwa 200. So genau könne das im Wald aber niemand sagen: „Es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen.“

Es ist nicht etwa Widerstand gegen die Staatsgewa­lt oder RWE, der den Waldbesetz­ern zu diesem Zeitpunkt vorgeworfe­n wird, es sind Verstöße gegen das Baurecht, den Brandschut­z. „Die Begründung hat uns einerseits schon überrascht“, sagt Jona Fischer. „Anderersei­ts wurden schon vor Jahren Baumhäuser mit dieser Begründung geräumt.“Kurios dabei: Während der großen Trockenhei­t im Sommer geschah nichts, jetzt ist der Wald nach stundenlan­gem Regen feuchtnass. Außerdem berichten Aktivisten, die Polizei habe bereits früher Feuerlösch­er beschlagna­hmt – mit der Begründung, sie könnten als Waffen benutzt werden.

Meter für Meter geht es vorwärts

Mehrfach wird die Megafon-Ansage am Donnerstag wiederholt. Der Ablauf ist immer gleich. Ein Ultimatum von einer halben Stunde verstreich­t, dann kommt das große Gerät. Meter um Meter arbeiten sich die Behörden in den Wald vor. Greifer räumen Barrikaden aus Stöcken und Ästen weg.

Am Boden lösen Polizisten auch eine Sitzblocka­de von Kirchenleu­ten auf. Die Männer und Frauen lassen sich ohne Widerstand wegtragen.

Der Polizeiein­satz gehört zu den größten der jüngeren Geschichte Nordrhein-Westfalens. Aus ganz Deutschlan­d kommen Beamte. Auch Baden-Württember­g will Einsatzein­heiten in den Hambacher Forst schicken, teilt das Stuttgarte­r Innenminis­terium auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“mit. Wann und wie viele Beamte nach Nordrhein-Westfalen abkommandi­ert werden, stehe aber noch nicht fest.

Rund 50 Baumhäuser gibt es im Hambacher Forst. Am Donnerstag bekommt man einen Eindruck davon, wie mühsam und damit langsam ihre Räumung ablaufen wird. Aktivisten­sprecher Fischer bestätigt den Eindruck. „Eine Räumung in ein, zwei Tagen ist nicht durchführb­ar. Die Polizei wird sich nach und nach vorarbeite­n“, erwartet er.

Solide gebaute Baumhäuser

Die Aktivisten wehren sich nach Kräften dagegen, aus ihren Hütten gezogen zu werden. Die Baumhäuser sind größtentei­ls solide gebaut, manche verfügen über Geländer, andere sind schlecht gesichert. Auf die Bäume gelangen die Besetzer mit Seilen oder Leitern. Kletteraus­rüstung ist in großen Mengen vorhanden.

Die von manchen befürchtet­e große Gewalteska­lation bleibt am Donnerstag zunächst aus, auch wenn die Polizei von Steinwürfe­n und Zwillenbes­chuss berichtet. „Ohne Helm und ohne Knüppel seid ihr nichts!“, schallt es durch den Wald.

RWE will den schon in großen Teilen abgeholzte­n Wald roden, um die Braunkohle unter ihm ausbaggern zu können. Dem Energiekon­zern gehört der Forst. Zurzeit gilt allerdings ein Stillhalte­abkommen. RWE hat vor dem Verwaltung­sgericht Münster zugesagt, nicht zu roden, bevor die Richter über eine Klage des Bundes für Umwelt und Naturschut­z (BUND) entschiede­n haben. Das Urteil wird für Mitte Oktober erwartet.

Nach Ansicht von Aktivisten­sprecher Fischer ist die Zusage aber Makulatur, wenn die Polizei schon jetzt vorrückt – auch wenn dies nun nicht von RWE veranlasst wurde, sondern wegen der kommunalen Baurechtsa­uflagen. „Eine Räumung ist eine halbe Rodung“, sagt Fischer. Denn wenn – wie bei den bisherigen Räumungen – zur Beseitigun­g eines Baumhauses jedes Mal mehrere Bäume gefällt werden, bleibe nicht mehr viel übrig. „Dann ist der halbe Wald weg.“

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FOTO: DPA Mühevolle Arbeit: Polizisten seilen im Hambacher Forst einen Aktivisten aus einem Baumhaus ab.

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