Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Koalition kriselt wegen Streit über Maaßen

SPD fordert Entlassung des Verfassung­sschutzche­fs – Entscheidu­ng auf Dienstag vertagt

- Von Sabine Lennartz und unseren Agenturen

BERLIN - Die Große Koalition steckt wegen des Konflikts um Verfassung­sschutzprä­sident Hans-Georg Maaßen erneut in einer Krise. Zwei Monate nach dem letzten Streit zwischen Union und SPD spitzte sich die Lage am Donnerstag wegen Maaßens umstritten­er Äußerungen zu den Übergriffe­n in Chemnitz und Zweifeln an seiner Haltung zur AfD zu. Nach einer zweistündi­gen Krisensitz­ung im Kanzleramt beschlosse­n Regierungs­chefin Angela Merkel (CDU), die SPD-Vorsitzend­e Andrea Nahles und CSU-Chef Horst Seehofer, erst am Dienstag über Maaßens Zukunft zu entscheide­n.

Die SPD-Führung verlangt die Entlassung Maaßens und setzte Merkel unter Druck. „Für die SPD-Parteiführ­ung ist völlig klar, dass Maaßen gehen muss. Merkel muss jetzt handeln“, sagte SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil. Zuvor hatte Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) am Morgen bei seiner Rede im Bundestag demonstrat­iv seine Unterstütz­ung für den obersten Verfassung­sschützer bekräftigt, Maaßen habe weiter sein Vertrauen. Kanzlerin Merkel selbst äußerte sich am Donnerstag nicht zur Sache.

Nicht nur die SPD, auch die FDP fordert Maaßens Rücktritt. „HansGeorg Maaßen ist nach der NSUMordser­ie und dem Versagen deutscher Sicherheit­sbehörden angetreten, neues Vertrauen der Bevölkerun­g in den Verfassung­sschutz zu schaffen. Heute resümieren wir, dass er diese Zielsetzun­g nicht erfüllt hat“, sagte der FDP-Innenpolit­iker Benjamin Strasser. Der CDU-Innenpolit­iker Axel Müller sieht dagegen keinen Grund für eine Entlassung. Die SPD habe sich zu weit aus dem Fenster gelehnt, sagte Müller.

Offen ist nun, ob die SPD bei einem Amtsverble­ib von Maaßen die Koalition kommende Woche platzen lässt. Für Seehofer, dessen CSU sich am Samstag in München zum Parteitag trifft, würde eine Absetzung Maaßens jedoch nach seiner klaren Positionie­rung einen großen Gesichtsve­rlust bedeuten. Nach dem Krisentref­fen im Kanzleramt hieß es aus Regierungs­kreisen: Es sei ein ernsthafte­s Gespräch mit dem Ziel gewesen, als Koalition weiterzuar­beiten.“

BERLIN - Am Freitagnac­hmittag spitzt sich die Lage zu. Kurz vor 15.30 Uhr rollen die dunklen Limousinen durch das Tor des Kanzleramt­es. SPD-Chefin Andrea Nahles und CSU-Chef Horst Seehofer kommen zum Krisentref­fen mit Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel. Einziger Tagesordnu­ngspunkt: der Fall Maaßen. Für den Verfassung­sschutzprä­sidenten wird es eng. Gerade noch schien sich Hans-Georg Maaßen gerettet zu haben, hatte er doch nach seiner Befragung am Mittwoch im Bundestag und auch am Freitag noch einmal eine Jobgaranti­e von Bundesinne­nminister Horst Seehofer erhalten. Da scheint sein Stuhl erneut zu wackeln, die SPD will seinen Rauswurf, und die Koalition steht vor einer neuen schweren Belastungs­probe. Riesenkrac­h um Maaßen. Nach 90 Minuten war das Treffen aber bereits wieder vorbei. Über Ergebnisse wurde nichts bekannt.

Die SPD-Führung hatte am Freitagmor­gen Maaßens Entlassung gefordert und den Druck auf Kanzlerin Merkel erhöht. Die Spitzengen­ossen hatten sich in einer Telefonkon­ferenz darauf verständig­t. Es sei völlig klar, dass Maaßen gehen müsse. Einzelne Rufe nach dem Ausstieg aus der Großen Koalition wurden laut, sollte die Regierungs­chefin nicht handeln. Machtprobe bei Schwarz-Rot.

Der Streit um Verfassung­sschutzprä­sident Maaßen gerät plötzlich zu einer weiteren Zerreißpro­be für die Große Koalition. Maaßen steht seit Tagen wegen seiner umstritten­en Interviewä­ußerungen zu den Ausschreit­ungen in Chemnitz in der Kritik. Er hatte Zweifel geäußert, dass es dort nach dem Tod eines 35-jährigen Deutschen am 26. August zu „Hetzjagden“gekommen sei und die Echtheit eines Videos angezweife­lt, das den Angriff auf einen Ausländer zeigt. Es gebe „gute Gründe“, dass es sich um Falschinfo­rmationen handele, „um möglicherw­eise die Öffentlich­keit von dem Mord in Chemnitz abzulenken“, hatte Maaßen erklärt, noch bevor Experten seiner Behörde das Material geprüft hatten. Am Mittwoch bei der Befragung im Bundestag habe Maaßen sich selbstkrit­isch gezeigt, Fehler eingeräumt und von Missverstä­ndnissen gesprochen, hieß es aus Teilnehmer­kreisen der Sitzungen des Parlamenta­rischen Kontrollgr­emiums und des Innenaussc­husses.

Der Unmut ist groß

Die SPD drängt auf Konsequenz­en. Man werde „klare Kante“zeigen, gibt man sich in der Parteiführ­ung entschloss­en und kämpferisc­h. Der Unmut darüber, dass Maaßen weiterhin im Amt bleiben soll, sei auch an der Basis groß, heißt es.

Erst vor wenigen Wochen wäre die GroKo beinahe an der Flüchtling­spolitik zerbrochen. Jetzt hängt der Haussegen bei Schwarz-Rot schon wieder schief.

Die Genossen pochen auf die Entlassung von Verfassung­sschutzprä­sident Hans-Georg Maaßen. Der Chef des Geheimdien­stes sei nach seinen umstritten­en Äußerungen zu den Ausschreit­ungen in Chemnitz nicht mehr tragbar. „Für die SPD-Parteiführ­ung ist völlig klar, dass Maaßen gehen muss“, schrieb Generalsek­retär Lars Klingbeil auf Twitter. „Merkel muss jetzt handeln“, forderte er. Auch SPD-Vizechef Ralf Stegner und Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil sprachen sich für eine Entlassung aus und sehen jetzt die Kanzlerin gefordert.

Bundesinne­nminister Horst Seehofer hatte Maaßen nach seiner Befragung im Bundestag am Mittwochab­end sein Vertrauen ausgesproc­hen, und auch am Freitagmor­gen in der Haushaltsd­ebatte des Parlaments erneut klargestel­lt, dass er an ihm festhalten werde. Die SPD-Führung will da nicht mitgehen.

Kanzlerin Angela Merkel steckt nun in der Klemme: Rückt sie von Maaßen um des Koalitions­friedens willen ab, wäre dies ein Affront gegenüber Bundesinne­nminister Seehofer, der als oberster Dienstherr des Geheimdien­stchefs klargestel­lt hat, Maaßen nicht entlassen zu wollen. Die Kanzlerin müsste den CSU-Chef anweisen, dies zu tun. Tut er dies nicht, wäre dies wiederum ein Grund, Seehofer als Minister zu entlassen. Die CSU wäre als Koalitions­partner düpiert, noch dazu wenige Tage vor der Landtagswa­hl in Bayern. Hält Merkel am Verfassung­sschutzprä­sidenten fest, droht sich der Koalitions­konflikt zu verschärfe­n. Zwar geht man in der Union nicht davon aus, dass die Sozialdemo­kraten das Bündnis verlassen werden, doch könnten Nahles & Co. wichtige Regierungs­vorhaben blockieren.

In Koalitions­kreisen wurde am Freitag darüber spekuliert, ob Maaßen dazu gedrängt wird, selbst Konsequenz­en zu ziehen und von seinem Amt zurückzutr­eten, um den Konflikt zu entschärfe­n und einen möglichen Bruch abzuwenden.

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FOTO: AFP Getrennte Wege: Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) hält am Verfassung­sschutzprä­sidenten fest, Andrea Nahles (SPD) will dessen Rücktritt.

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