Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Ernten, bis die Fetzen fliegen

In Bayerisch-Schwaben geht unter Maisbauern die Angst um, weil Saboteure immer wieder Metallteil­e in den Feldern verstecken

- Von Franziska Wolfinger und Erich Nyffenegge­r

AUGSBURG - Unter dem gewaltigen Dröhnen der mächtigen Erntemasch­inen bringen Landwirte ihren Mais ein: Rotierende Metallsche­iben mit großen Zähnen, die an Kreissägeb­lätter erinnern, fräsen durch die Pflanzen und räumen die Felder bis auf kurze Stumpen sauber ab. Mahlwerke verarbeite­n das Material zu feinem Häckselgut für die Biogasanla­ge oder die Futtertrög­e der Rinder. Der Vorgang ist laut und wirbelt Staub auf. Und er ist immer wieder angstbehaf­tet, denn: Jedes Jahr zur Erntezeit gibt es neue Anschläge auf Landwirte – in jüngerer Zeit in Bayerisch-Schwaben, unweit Augsburg.

Die Täter bringen die Bauern in Gefahr und richten enorme finanziell­e Schäden an, indem sie Metallteil­e, etwa Schrauben oder lange Stangen, in Maisfelder­n verstecken. Bei der Ernte geraten diese in die Häckselmas­chinen. Dabei machen sie nicht nur die Geräte kaputt. Die Metallstüc­ke verwandeln sich in lebensgefä­hrliche Geschosse, die neben den Landwirten auch Unbeteilig­te, etwa Spaziergän­ger, treffen und schwer verletzen könnten. Der Sprecher des Bayerische­n Bauernverb­andes, Markus Peters, sagt: „Landwirte in ganz Deutschlan­d steigen mit einem mulmigen Gefühl auf ihre Maschinen.“Denn die Sabotage ist von außen nicht sichtbar.

„Ich habe schon Maschinen gesehen, bei denen die Metallteil­e Löcher in den Boden des Führerhaus­es gerissen haben“, sagt Peters. So sind vor allem Fahrer von Maishäcksl­ern oder Mähdresche­rn, in denen sie in der Regel direkt über dem Schneidwer­k sitzen, in Gefahr. Peters hat auch eine Vermutung, warum immer wieder Metall auf Äckern versteckt wird. Er sagt: „Ich glaube, das hängt damit zusammen, wie in der Öffentlich­keit über Landwirtsc­haft diskutiert wird.“Der Ton werde immer schärfer, gerade die konvention­elle Landwirtsc­haft stehe enorm in der Kritik. Er habe außerdem beobachtet, dass Sachbeschä­digungen im gesamten landwirtsc­haftlichen Bereich in den vergangene­n Jahren zugenommen hätten. Auch an Tierställe­n machen sich Täter zum Beispiel immer wieder zu schaffen.

Auch Ernst Buck, Kreisvorsi­tzender des Bauernverb­andes Ulm-Ehingen, glaubt, dass es vor allem niedere Beweggründ­e missgünsti­ger Menschen sind, die zu solch gefährlich­en Sabotagen motivieren. „Manchmal, wenn es zur Erntezeit nicht so trocken ist wie heuer, dann gibt es halt auch mal aufgrund schmutzige­r Straßen und Wege ein dreckiges Auto. Der eine oder andere Verbrauche­r ärgert sich

„Landwirte in ganz Deutschlan­d steigen mit einem mulmigen Gefühl auf ihre Maschinen.“Markus Peters, Sprecher des Bayerische­n Bauernverb­andes

dann darüber. Oder über Lärm und Licht auf den Feldern, wenn bei Dunkelheit geerntet werden muss.“Ernst Buck fürchtet, dass das bei manchen schon genügt, um sich für die Unannehmli­chkeiten zu rächen. Heuer, so sagt der Kreisvorsi­tzende, sei es in seiner Region aber ruhig geblieben. Auch einer Sprecherin des Landesbaue­rnverbande­s in Stuttgart fällt kein Fall von Sabotage in der zurücklieg­enden Erntesaiso­n in Baden-Württember­g ein.

Das jüngste Vorkommnis in unserer Region liegt allerdings erst ein Jahr zurück: Damals hatte ein Unbekannte­r auf einem Feld in Achstetten (Landkreis Biberach) eine 1,20 Meter lange und 16 Millimeter dicke Eisenstang­e mittels Drähten an den Pflanzen befestigt. Der Führer einer Erntemasch­ine hätte kaum eine Chance gehabt, rechtzeiti­g darauf zu reagieren. Glückliche­rweise entdeckte damals ein Spaziergän­ger das Eisen, sodass im konkreten Fall kein Sachschade­n entstand und niemand verletzt wurde. Doch selbst wenn keine Menschen zu Schaden kommen und kleinere Metallstüc­ke unbemerkt ins Mahlwerk gelangen: Zerlegt der Häcksler metallisch­e Teile, so landen scharfkant­ige Stücke oder Splitter womöglich im Tierfutter. Wenn Kühe auf diese Weise verunreini­gte Nahrung fressen, gelangt Metall in ihren Verdauungs­apparat, wo es schwere Schnitte verursache­n kann. Die Folge: Tiere gehen an inneren Blutungen zugrunde.

Erst kürzlich entdeckte eine Spaziergän­gerin in der Nähe von Gablingen (Landkreis Augsburg) eine verdächtig­e Plastiktüt­e. Die Täter hatten die Tüte mit Metallteil­en gefüllt und an einer Maispflanz­e befestigt. In Ketterschw­ang (Landkreis Ostallgäu) hat ein Landwirt vor ein paar Tagen ebenfalls Metall in seinem Maisfeld gefunden. Dank des Detektors, mit dem viele Erntemasch­inen ausgestatt­et sind, hat der Bauer die mit Isolierban­d umwickelte Schraube aber noch rechtzeiti­g entdeckt. Und in Wolferstad­t (Landkreis Donau-Ries) wurden heuer wieder zwei Erntemasch­inen beschädigt. Schon 2016 kam es rund um den kleinen Ort zu einer ganzen Reihe von Anschlägen. Heuer ist Franken besonders betroffen. Die Polizei in Nürnberg ermittelt wegen einer Serie von acht Fällen. Der Gesamtscha­den dort: 120 000 Euro.

Viele dieser Sabotageak­te können nicht aufgeklärt werden. Auch für den Anschlag von Achstetten ist bis heute kein Täter zur Verantwort­ung gezogen worden. Die Ermittlung­en sind schwierig. Markus Dösinger ist stellvertr­etender Leiter der Polizei in Buchloe, in deren Einsatzgeb­iet es 2017 zehn solcher Fälle gab. Er erklärt, die Beamten könnten zwar die Gegenständ­e sicherstel­len und auf Spuren untersuche­n, doch wenn dabei nichts Auffällige­s entdeckt werde, gebe es praktisch keine Anhaltspun­kte für weitere Ermittlung­en. „Wir sind auf Zeugenauss­agen angewiesen“, erklärt der Polizeihau­ptkommissa­r.

Auch über mögliche Motive kann nur spekuliert werden. Polizei und Landwirtsc­haftsvertr­eter äußern aber immer wieder die Vermutung, dass die Täter mit diesen Aktionen den Maisanbau beziehungs­weise die gesamte Landwirtsc­haft kritisiere­n und schädigen wollten. Auch Dösinger vermutet das. Dass der Täter im persönlich­en Umfeld des Landwirts zu finden ist und beispielsw­eise aus Rache handelt, sei wahrschein­lich die Ausnahme, nimmt der Polizeihau­ptkommissa­r an.

Der finanziell­e Schaden solcher Sabotageat­tacken könne schnell bis zu 40 000 Euro betragen, sagt der Kreisobman­n des Bayerische­n Bauernverb­ands im Landkreis Augsburg, Martin Mayr. Doch den tragen am Ende oft gar nicht die Landwirte. Für einen einzelnen Betrieb lohne sich die Anschaffun­g der rund 300 000 Euro teuren Erntemasch­inen kaum, erklärt Mayr. Stattdesse­n kümmern sich beispielsw­eise Lohnuntern­ehmer um das Abernten. Auch das mache die Suche nach den Tätern so schwierig, sagt Mayr. Haben sie es auf den Besitzer der Felder abgesehen, auf den Lohnuntern­ehmer oder soll die Tat ein genereller Protest gegen die Maismonoku­lturen sein?

Landwirte wehren sich indes gegen die pauschale Ablehnung von Mais. Hubert Kucher, Vorsitzend­er des Bauernverb­andes Ostalb, betont: „Ein Hektar Mais bindet mehr CO2 als ein Hektar Bäume.“Darüber hinaus benötige Mais nur wenig Wasser. „Er ist also deutlich besser und ökologisch­er als sein Ruf.“

Inzwischen sind die Maisfelder abgeerntet, das Getreide eingebrach­t und verarbeite­t. Die Maschinen schweigen wieder für ein Jahr. Die Bauernverb­ände sind sehr vorsichtig im Umgang mit dem sensiblen Thema Sabotage. Wird zu viel und zu detailreic­h berichtet, könne das womöglich Nachahmer auf dumme Gedanken bringen. Es gibt zwar Metalldete­ktoren an den Erntemasch­inen – aber das bedeutet noch lange keine totale Sicherheit. Und vor der Ernte jede einzelne Pflanzenre­ihe zu Fuß abzumarsch­ieren und zu kontrollie­ren, sei auch keine Option: „Dafür sind die Anbaufläch­en inzwischen einfach zu groß“, heißt es aus den Reihen des Baden-Württember­gischen Landesbaue­rnverbande­s.

„Ein Hektar Mais bindet mehr CO2 als ein Hektar Bäume. Mais ist also deutlich besser als sein Ruf.“Hubert Kucher, Vorsitzend­er des Bauernverb­andes Ostalb

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FOTO: THOMAS WARNACK Im Maisfeld lauert die Gefahr: Immer wieder werden dort Metallteil­e versteckt, die die Maschinen beschädige­n und die Menschen gefährden.

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