Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Von wegen Wahrheit im Wein

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Iriach an Wein scho kilometerw­eit… So sang einst Paul Hörbiger beim Heurigen. Derzeit hätte er allen Grund zum vorfreudig­en Schnüffeln. Die Weinlese hat begonnen, und wenn die Anzeichen nicht trügen, so wird uns dieser sonnige Sommer im Nachgang herausrage­nde Tropfen bescheren. Freunde des edlen Rebensafts schnalzen schon mit der Zunge. Was allerdings seltsam ist: Der Niederschl­ag des Weins in unseren Redensarte­n ist eher negativ.

Das fängt schon bei einem Spruch an, den jeder Weinliebha­ber schnell zitiert – meist ohne lange darüber nachzudenk­en: In vino veritas, im

Wein liegt Wahrheit. Das ist keinesfall­s ein Lob für ein lauteres Getränk. Es heißt nichts anderes, als dass bei übermäßige­m Genuss die Hemmungen fallen und man Dinge äußert, die zwar der Wahrheit entspreche­n mögen, die man aber im nüchternen Zustand auf jeden Fall für sich behalten würde. Auch eine andere geläufige Redensart hat einen unangenehm­en Hintergrun­d: Schenkt man jemandem

klaren oder reinen Wein ein, so ist das keineswegs als noble Geste eines Gastgebers zu werten. Vielmehr sagt man seinem Gegenüber unumwunden die Wahrheit ins Gesicht – ob ihm das gefällt oder nicht.

Ein weiteres Beispiel, wie sich eine vermeintli­ch positive Seite des Weins schnell als Trugschlus­s erweisen kann: Kurz vor dem Abitur konfrontie­rten wir unseren verehrten Religionsl­ehrer mit einem lateinisch­en Studentenj­ux. Qui bibit bene dormit; qui bene dormit non peccat; qui non peccat venit in caelum. Ergo: qui bibit venit in caelum. Auf deutsch: Wer trinkt, schläft gut; wer gut schläft, sündigt nicht; wer nicht sündigt, kommt in den Himmel. Also: Wer trinkt, kommt in den Himmel. Ob das nicht logisch sei, wollten wir von ihm wissen. Der Schlaf des Bezechten unterschei­de sich diametral vom Schlaf des Gerechten, entgegnete er mit feinem Lächeln. So lernt man in der Schule fürs Leben.

Damit sind wir beim Kern der Sache. So sehr wir einen feinen Wein auch schätzen, so gut sind wir beraten, stets die möglichen Folgen zu bedenken. Wilhelm Buschs vielzitier­ter Zweizeiler Rotwein ist für alte Knaben eine von den besten Gaben klingt für ebensolche alten Knaben zwar durchaus plausibel – man weiß, von was man redet. Aber ein Blick in die Knopp-Trilogie des Witzbolds aus Wiedensahl belehrt uns: Auch hier ist die Sache nicht so süffig wie zunächst gedacht. In besagtem Bordeaux schwimmt Taubenmist ... Diese tierische Note lässt uns noch an einen anderen alten Knaben aus k. u. k-seliger Zeit denken. Frohgemut nuschelte Hans Moser seine Erkenntnis: I muaß im frühern Lebn eine Reblaus gwesn sein. Von veganem Wein hatte er noch nie etwas gehört. Veganer Wein? Das ist zurzeit ein ganz großes Thema, aber wir lassen das jetzt. Sprachglos­sen sollten kein Schlachtfe­ld sein für Glaubenskr­iege.

Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg

r.waldvogel@schwaebisc­he.de

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Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

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