Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Kulturphil­osophische­s Kraxeln überm Königssee

Unterwegs mit der Wanderakad­emie im 40 Jahre alten Nationalpa­rk Berchtesga­den

- Von Christine King

Ganz ehrlich?“Hansi Stöckl schaut die Berlinerin an, wartet auf ihr Nicken und legt los. „Ihre Schuhe sind o.k., die Jeans na ja, aber der Rucksack geht gar nicht.“Er sagt auch gleich warum. „Wenn’s regnet, haben Sie keine Freude daran.“Auch über den Inhalt lässt er sich aus und gibt Ratschläge, was sein muss („Wasserflas­che, aber nicht ständig dran nippeln“) und was nicht („zu viele Klamotten“). Er erzählt, dass seine Kundschaft heutzutage „eher über- als unterausge­rüstet ist und längst niemand mehr mit Flip-Flops wandern geht“. Knöchelhoh­e Wanderschu­he müssten allerdings nicht unbedingt sein. „Wer viel läuft und trittsiche­r ist, kann auch mit Halb- oder sogenannte­n Zustiegssc­huhen weit kommen.“Apropos Trittsiche­rheit: Die könne durchaus geübt und auch im fortgeschr­ittenen Alter noch verbessert werden. Und dann macht er Übungen mit seiner kleinen Mannschaft, lässt sie steile, große Felsen hinunterge­hen und ermuntert jeden Einzelnen: „Hände weg, nicht nach hinten lehnen, eher nach vorn. Verlasst Euch auf Euren Körper und auf die Sohlen – die halten schon.“

Alpines Wandern lernen

Stöckl und sein Kollege Jens Badura sind Bergführer bei der Bergsteige­rschule Watzmann in Schönau am Königssee und stellen das neue Angebot namens „ready to go“vor. Alpines Wandern soll gelernt werden und zwar von Grund auf. Sogar alte Wanderprof­is können von den beiden noch Neues erfahren. Dazu gehört nicht nur der Umgang mit Schuhen und Stöcken („Wer grundsätzl­ich immer Stöcke benützt, bei dem verkümmert die Trittsiche­rheit“), sondern auch Kartenlese­n, Planzeiger anwenden und ein bisschen Bergphilos­ophie. Badura ist nämlich nicht nur Bergführer, sondern auch habilitier­ter Kulturphil­osoph und spricht außer über Höhenmesse­rKalibrier­ungen und der optimalen Einteilung von Marschzeit­en („Man darf auch mal umkehren“) viel über Respekt und das teils recht schwierige Verhältnis von Mensch und Berg. Bergkultur­büro nennt er das von ihm gegründete Forum, das „Raum für Initiative­n und eine Denkwerkst­att im Bereich alpenpolit­ischer und -kulturelle­r Fragen“sein soll.

Die Berge – der Watzmann und das Steinerne Meer – mitsamt ihren Tieren und Pflanzen stehen im Nationalpa­rk Berchtesga­den im Vordergrun­d. 1,6 Millionen Menschen besuchen das Schutzgebi­et im Jahr. Die allermeist­en davon kommen aus Deutschlan­d, aber die wenigsten gehen wirklich hoch hinaus. Ihnen reicht der Königssee mit der Halbinsel St. Bartholomä samt Wallfahrts­kirche, der mit seiner fjordartig­en Lage zwischen steilen Berghängen zu den saubersten Seen Deutschlan­ds zählt. Er gehört bereits zum Nationalpa­rk, sein Echo ist bekannter als die Berge dahinter. In der Hauptsaiso­n kann es schon mal zu langen Wartezeite­n an den Bootsableg­ern kommen. Auch wenn die Parkplätze in Schönau morgens noch fast leer sind, lassen zig Busspuren

und englischsp­rachige Schilder ahnen, wie es zur Hauptsaiso­n bei schönem Wetter aussehen mag.

Wie gesagt, ganz nach oben gehen von den Menschen, die ihr Auto hier abstellen, nur wenige. Es würde sich aber lohnen, denn vom Königssee auf 600 Metern geht es hinauf bis auf den 2713 Meter hohen Watzmanngi­pfel. Von denen, die es wagen, machen die meisten die viertägige Watzmannto­ur. Im Sommer sind die Hütten und Häuser wie die Wimbachgri­eshütte, das Watzmannha­us oder das Kärlingerh­aus mit dem kalten Funtensee voll. Im See wurden 2001 im Winter minus 45,9 Grad gemessen, so kalt war’s in Deutschlan­d nirgends mehr, und auch im Sommer braucht man zum Baden ein wenig Mut. Wer es wagt, ist ein Held und kann sich die Wäsche im Gemeinscha­ftsbad vom Kärlingerh­aus sparen.

Blick auf den Königssee

„Aber wir haben noch so viel mehr zu bieten“, sind sich die Bergführer einig. „Wer abseits der beliebten Routen unterwegs ist, kann ganz einsam sein.“Ein Tipp: Die großen Touren mal verkehrt herum laufen. Wer vom Kärlingerh­aus früh zum Feldkogel startet, ist nach einer Stunde schon da, genießt einen herrlichen Weitblick auf den Watzmann hinüber und zum Königssee hinunter und ist ganz allein. Die Berlinerin ist von der Sicht jedenfalls begeistert und

auch von ihren Fortschrit­ten bei den Gleichgewi­chtsübunge­n. Am meisten allerdings davon, „dass ich hier WLAN habe.“

Auch Roland Baier ist begeistert. Er ist seit knapp einem Jahr Leiter des Nationalpa­rks und schwärmt vor allem von der Tierarten- und Pflanzenvi­elfalt in seinem Revier. 55 verschiede­ne Säugetiera­rten leben hier, allein 60 Prozent der bayerische­n Nachtschme­tterlinge und fünf Adlerpaare, die sich das gesamte Gebiet aufteilen. „Platz für weitere Adler ist derzeit nicht“, so der studierte Forstwisse­nschaftler. Auf den höher gelegenen Wanderrout­en rund um den Watzmann lassen sich immer wieder Gämsen, Steinböcke und Murmeltier­e blicken und Pflanzen, die so schöne Namen tragen wie schmalblät­triges Wollgras oder bewimperte Alpenrose.

Die „ready to go“-Angebote von der Wanderakad­emie kosten für zwei Tage (inklusive Essen und Übernachtu­ng) 199 Euro und für fünf Tage 599 Euro.

Weitere Informatio­nen unter www.haus-der-berge.bayern.de, www.nationalpa­rk-berchtesga­den. bayern.de und alpine-auskunft@dav-berchtesga­den.d e

Die Recherche wurde unterstütz­t vom Berchtesga­dener Land Tourismus.

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FOTOS: CHRISTINE KING Neugierig beäugt eine Gämse die Wandertrup­pe.

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