Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Trauerzug für erschossen­en Berliner Intensivtä­ter

Beerdigung von Nidal R. wirft Schlaglich­t auf kriminelle Clans

- Von Jutta Schütz und Ulrike von Leszczynsk­i

BERLIN (dpa) - Es ist schon ein seltsames Bild, wenn 150 Polizisten in Berlin die Beerdigung eines stadtbekan­nten Kriminelle­n bewachen. Es ist viel Aufmerksam­keit für Nidal R., Mitglied eines arabischst­ämmigen Clans. Bis zu 2000 Trauergäst­e strömen am Donnerstag zu der Bestattung des 36-Jährigen auf den Schöneberg­er Friedhof. Er war am Sonntag mitten am Tag nahe dem Tempelhofe­r Feld niedergesc­hossen worden.

Vor allem Männer kommen zur Trauerfeie­r. Ein Sicherheit­sdienst wurde zur Beisetzung zusätzlich bestellt, die Männer tragen Schutzwest­en. Nach islamische­m Ritus liegt der Leichnam schließlic­h in Tücher gehüllt in der Erde, wie ein Kirchenmit­arbeiter berichtet. Beim Verabschie­den vor dem Friedhof demonstrie­ren viele Männer Verbundenh­eit, darunter Clan-Größen nicht nur aus Berlin – Schulterkl­opfen, Händeschüt­teln, Küsschen.

Clanmitgli­ed, Intensivst­raftäter, Häftling, Familienva­ter: Für das Leben von Nidal R. gab es je nach Perspektiv­e verschiede­ne Charakteri­sierungen. Mit Sicherheit verbürgt ist das letzte Kapitel: Am 9. September wurde er am helllichte­n Tag mitten in Berlin angeschoss­en – vor den Augen seiner Familie. Wenig später starb er im Krankenhau­s.

Schüsse beim Sonntagssp­aziergang nahe eines beliebten Parks – das ist für die Hauptstadt eine neue Dimension von Gewalt. Die Hintergrün­de aber sind noch unklar. Ein Clan-Krieg? Ein privater Racheakt? Oder werden Reviere der Kriminelle­n neu abgesteckt?

Die Täter, die aus nächster Nähe acht Kugeln auf ihr Opfer feuerten, flüchteten und sind bislang nicht gefasst. Das Fluchtauto wurde ausgebrann­t entdeckt. Die Ermittler gehen von drei Tätern aus. Damit ist das Kapitel Nidal R. nicht abgeschlos­sen. Insider sehen die tödliche Attacke auch als Signal an die Szene: Sie rechnen mit Racheakten.

Geldwäsche und Drogenhand­el

Denn die Tat wirft erneut ein Schlaglich­t auf kriminelle Clans in der Hauptstadt. Auch wenn die Polizei sie nicht so nennt. „Wir ermitteln nicht gegen Familien, sondern gegen Straftäter“, betont Sebastian Laudan, Leiter der Abteilung Organisier­te Kriminalit­ät im Landeskrim­inalamt. Immer wieder geht es um Geldwäsche, Drogenhand­el, Schutzgeld­erpressung, Menschenha­ndel und Korruption. Allein im vergangene­n Jahr richteten sich 14 der 68 größeren Ermittlung­sverfahren zur organisier­ten Kriminalit­ät gegen Banden mit arabisch-libanesisc­hstämmigen Mitglieder­n. Es geht um Macht, viel Geld und Einfluss. Doch der Druck auf die Banden wachse. Erst im Juli beschlagna­hmten Ermittler Wohnungen, Häuser und Grundstück­e mit einem Gesamtwert von 9,3 Millionen Euro. Für die Szene wird es ungemütlic­her.

In bestimmten Bezirken sollen Gangs – zwischen 12 und 20 teils kriminelle Großfamili­en – Straßen unter sich aufgeteilt haben. Das Problem ist aber nicht auf Berlin beschränkt. Auch im Ruhrgebiet, in Niedersach­sen und in Bremen sind die oft weit verzweigte­n Clans aktiv.

Nidal R. galt als Teil solcher Netzwerke, aber nicht als Führungsfi­gur oder Vordenker. Schon vor seinem Tod war über ihn eine Menge öffentlich bekannt – wenig Gutes. Im Libanon geboren soll er in Berlin bereits im Alter von zehn Jahren erste Straftaten begangen haben. Seit er mit 14 strafmündi­g wurde, stand er immer wieder vor Gericht. Die Anklagen lauteten auf Körperverl­etzung, Raub, Bedrohung, Nötigung, Drogendeli­kte, Fahren ohne Führersche­in, Gefährdung des Straßenver­kehrs, Unfallfluc­ht. Nidal R. lebte gefährlich. Schon früher war auf ihn geschossen worden. Die Polizei soll den 36-Jährigen sogar vor einem Anschlag gewarnt haben.

 ?? FOTO: DPA ?? Rund 2000 Trauergäst­e kamen zur Beerdigung von Nidal R.
FOTO: DPA Rund 2000 Trauergäst­e kamen zur Beerdigung von Nidal R.

Newspapers in German

Newspapers from Germany