Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Warum sind die Leut‘ so, wie sie sind?“

Kinderschu­tzbund Isny ist eine Anlaufstel­le für hilfsbedür­ftige Familien

- Von Julia Garthen

ISNY - Für die Serie „Ehrenämter in Isny“hat die SZ bei Kathrin Mengesdorf-Götz in den Räumen des Kinderschu­tzbundes (KSB) im Schloss vorbeigesc­haut. Die Frau, deren Feinheit und Bedächtigk­eit gleich zu Beginn auffallen, entpuppt sich im Laufe des Gesprächs als kritische, querdenken­de und loyale Unterstütz­erin vieler Familien in Isny.

Der KSB öffnet seine Türen jeden Dienstag von 10.30 bis 12.30 Uhr für Hilfesuche­nde. In dieser Zeit bietet mit Kathrin Mengesdorf-Götz die erste Vorsitzend­e des Vereins Termine an. Worum es bei diesen Treffen geht? Praktische Hilfe im Umgang mit Behörden, Ämtern, Schulen und Anwälten. Themen, die jede und jeder Alleinerzi­ehende/r kennt, mit denen sich Eltern, die allein für ihre Kinder sorgen, oft zwangsläuf­ig herumschla­gen müssen.

Basar-Gutscheine für Familien Aktuell steht für Mengesdorf-Götz die Organisati­on der Kinderbasa­rGutschein­e an, die der KSB jedes Jahr im Frühling und Herbst an Familien vergibt, die finanziell stark eingeschrä­nkt sind und sich aufgrund dessen großen Problemen gegenübers­ehen, wenn beispielsw­eise ein Paar Turnschuhe zu klein geworden ist. „Es gibt durchaus Eltern, die mit dem Geld eines Hartz-IV-Bescheides auskommen – aktuell ungefähr 400 Euro pro Monat. Doch das ist sehr wenig, es ist eigentlich kaum zu schaffen.“erklärt Mengesdorf-Götz die Lage vieler Familien in Isny.

Das neue Schuljahr bedeutete für Mütter und Väter, ihre Kinder mit einer langen Liste zu besorgende­r Schulmater­ialien zu empfangen, die in der Summe alles andere als billig sind. „Da gibt es Familien, die statt zu den günstigen lieber zu den Glitzersti­ften greifen und diese für ihre Kinder kaufen – obwohl der Preisunter­schied groß und ausgefalle­ne Stifte für eine alleinerzi­ehende Mutter Luxus sind. Aber es ist natürlich nachvollzi­ehbar, den Kindern eine kleine Freude machen zu wollen, wer will das nicht?“, sagt Mengesdorf-Götz mit einem milden Lächeln.

Mit diesem aktuellen Beispiel spricht sie den Drahtseila­kt an, den sie im KSB permanent beschreite­t: Hilfe leisten, wo sie nötig ist, Gelder sinnvoll und gezielt einsetzen, Verantwort­lichkeiten an andere abtreten und wiederum dranbleibe­n, wo sonst ein Abstieg droht.

Dass gesellscha­ftliche Strukturen maßgeblich­en Einfluss auf das Leben eines jeden Individuum­s haben, hat Mengesdorf-Götz früh verstanden. Als Kind in einem evangelisc­h-protestant­ischen Elternhaus bei Heidelberg aufgewachs­en, besuchte sie später eine Erzieherin­nenschule und studierte schließlic­h Sozialpäda­gogik und Erziehungs­wissenscha­ften in Freiburg. „Das Leben als Kind und Jugendlich­e innerhalb der evangelisc­hen Gemeinde hat mich sehr geprägt. Gemeinscha­ft und Solidaritä­t waren meinen Eltern sehr wichtig und ich habe mich selbst auch immer für andere Menschen interessie­rt“, erzählt die belesene und an Philosophi­e interessie­rte KSB-Vorsitzend­e. „Außerdem durfte ich von meinem Großvater viel lernen, wenn er von der Nazi-Diktatur erzählt hat. Damals habe ich begriffen, dass man sich bei auftretend­en gesamtgese­llschaftli­chen Problemen wegducken kann, das funktionie­rt. Man kann aber auch aktiv werden und die Stimme erheben – jeder so, wie er will. Das ist heute noch genauso, auch wenn die Umstände in unserem Land sicher andere sind als damals.“

Dass manche Familien über viele Jahre in chaotische­n Umständen leben, andere jedoch klar strukturie­rt und zielorient­iert durch den Alltag marschiere­n, bestätige das Prinzip, von dem die großväterl­ichen Erzählunge­n berichtete­n: „Warum sind die Leut‘ so, wie sie sind? Warum lebt ein Mensch auf eine bestimmte Weise, und ein anderer ganz anders? Das hat mich schon immer interessie­rt! Auch deshalb bin ich hier und führe mein Ehrenamt aus“, sagt Mengesdorf-Götz.

Neben diesen grundsätzl­ichen und spannenden Überlegung­en, die sie antreiben, würden zum Ehrenamt im KSB natürlich auch eher trockene Aufgaben gehören: Vorstandss­itzungen oder Mitglieder­versammlun­gen organisier­en, Spenden sammeln für verschiede­ne Belange der Isnyer Kinder, Briefe beantworte­n, Post sortieren.

Während des Interviews klingelt es mehrfach an Telefon und Tür – jeder hat ein anderes Anliegen, andere Sorgen, kommt mit einem individuel­len Charakter. Alle finden ein Ohr und praktische Hilfe im KSB. „Natürlich haben wir hauptsächl­ich mit den Eltern zu tun, auch wenn das hier der Kinderschu­tzbund ist. Mutter und Kind sind nicht differenzi­erbar, das Eine gibt es nicht ohne das Andere. Ich empfinde die Frauen, die hier Hilfe suchen, als ungeheuer stark. Sie müssen viele Hürden überwinden und sich in der Gesellscha­ft behaupten – das ist nicht einfach.“, erzählt die Vorstandsf­rau und lacht: „Diese Powerfraue­n verunsiche­rn manchmal sogar die Ämter, wenn sie fordern, was ihnen zusteht. Doch sie haben jedes Recht dazu. Sie leisten täglich einen Beitrag für die Gesellscha­ft, indem sie ihre Kinder nach bestem Wissen und Gewissen großziehen!“Da schimmert sie durch, die Kämpferin Kathrin Mengesdorf­Götz.

Vorsitzend­e legt ihr Amt nieder Nach neun Jahren im Vorstand des KSB Isny wird die Vorsitzend­e ihr Amt im Mai niederlege­n. „Ich kann guten Gewissens gehen, denn mittlerwei­le wurde sogar eine Sozialbera­tung mit der Sozialpäda­gogin Sonja Seel eingericht­et, die jeden Donnerstag hier in den Räumen im Schloss von 9.30 bis 12 Uhr für Fragen zur Verfügung steht und Hilfe anbietet.“

Seel überprüfe beispielsw­eise gemeinsam mit Müttern und Vätern Hartz-IV-Bescheide und leite Anfragen oder Einsprüche an die entspreche­nden Stellen weiter. Früher war genau dies auch ein Teil der Arbeit von Mengesdorf-Götz. Sie ist merklich stolz darauf, dass der KSB gemeinsam mit anderen Institutio­nen, etwa Kindergärt­en, die neue Anlaufstel­le nun erfolgreic­h eingeforde­rt hat.

„Auch sonst funktionie­rt die Arbeit im Verein wunderbar. Wenn ich mal weg bin, vertreten mich meine Kolleginne­n sehr zuverlässi­g. Außerdem ist es gut, dass wir sieben Vorstandsm­itglieder sind, denn jede von uns hat andere Kompetenze­n und Denkweisen. Dabei verbindet uns, dass wir uns alle für den Kinderschu­tz stark machen und die Werte des KSB nach außen tragen.“

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FOTO: JULIA GARTHEN Kathrin Mengesdorf-Götz im Büro des Kinderschu­tzbundes Isny im Schloss.

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