Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Wir wurden einfach immer vertröstet“

Niemand wollte ihrem Mann Glauben schenken: Witwe beklagt schlechtes Ärztemanag­ement

- Von Barbara Sohler

RAVENSBURG - Dass sie heute, nach über anderthalb Jahren, noch immer unglücklic­h ist über den Verlust ihres Ehemanns Christian, das ist normal. Die Trauer versucht Mary KöberleMai­nusch auszuhalte­n. Was für die 61-jährige Ravensburg­erin viel schwerer wiegt: dass ihr Mann eine jahrelange Odyssee durch Arztpraxen hinter sich hat, als Simulant abgetan wird – bevor endlich, beinahe zufällig die Diagnose „Bauchspeic­heldrüsenk­rebs“gestellt wird. Knapp sieben Monate später ist ihr Ehemann tot.

In einem dicken Leitzordne­r hat Mary Köberle-Mainusch all die Untersuchu­ngsbefunde, Arztschrei­ben, Laborergeb­nisse abgeheftet, die in den letzten beiden Jahren vor dem Tod ihres geliebten Christian das Leben des Ehepaares diktiert haben. „Christian“hat seine Frau auf den Ordnerrück­en geschriebe­n, ein rotes Herz daneben gemalt. Auch jetzt, knapp zwei Jahre nach seinem Tod, ist die 61-Jährige noch immer aufgewühlt, will nicht ruhen lassen, was sie umtreibt: dass ihr Mann bei einem rechtzeiti­gen Erkennen des Pankreas-Karzinoms nämlich hätte unter Umständen gerettet werden können.

Tumor blieb lange unerkannt

Dass die Befunde jedoch allesamt fehlgedeut­et oder überhaupt nicht angeschaut wurden. Und da ist diese Frage. „Fehlt nicht eine Schnittste­lle, an der die einzelnen Ergebnisse zusammenla­ufen müssen? Wo jemand Kompetente­s ein Auge draufhat“, fragt Köberle-Mainusch und lächelt dabei tapfer. „Wäre da nicht der Hausarzt in der Pflicht?“, schiebt sie nach. Diese Schnittste­lle, dort, wo alle Befunde einzelner Fachärzte zusammenko­mmen, ist gemeinhin der Hausarzt – darin sind sich Mary Köberle-Mainusch und ihre Schwester Monika Kretschmer einig. Aber auch darin, dass niedergela­ssene Allgemeinm­ediziner großen Druck von den Krankenkas­sen spüren, Überweisun­gen nur zögerlich ausstellen, am Quartalsen­de meist gar kein Budget mehr haben. Und manchmal auch einfach überarbeit­et sind.

Eine sogenannte Computerto­mografie, umgangsspr­achlich „CT“genannt, hätte früh („vielleicht früh genug“, sagt Köberle-Mainusch) Auskunft geben können darüber, was mit einem herkömmlic­hen Röntgenbil­d nicht sichtbar zu machen ist: die weichen Strukturen im Körper. Auch der Bauchspeic­heldrüsen-Tumor. So aber blieb der Krebs unerkannt, der CT-Termin immer nur eine leider nicht schnell verfügbare Diagnoseme­thode. „Als wir uns schließlic­h einen Termin fürs CT erbettelt hatten, da war das Gerät kaputt. Und wir wurden einfach weiter vertröstet!“, empört sich die Witwe.

Im Herbst 2014 verspürt der ehemalige Bauleiter zunächst eigenartig­e Schmerzen im linken Oberbauch und Rücken. Geht zum Arzt. „Degenerati­ve Veränderun­gen“verursacht­en seine Schmerzen im Lendenwirb­elbereich, er habe eine „muskuläre Dysbalance“, notiert der Arzt im Krankenbla­tt. Verordnet Krankengym­nastik, sogenannte manuelle Therapie mit Wärme, sprich Fangopacku­ngen. Drei Monate später, als Christian Mainusch bereits Schmerzen im Brustwirbe­lbereich hat, die in den Bauch ausstrahle­n, empfehlen dieselben Ärzte eine osteopathi­sche Behandlung und wiederum manuelle Mobilisier­ung.

So geht das über ein Jahr: Zum Arzt mit den immer gleichen Beschwerde­n. Nach Hause mit dem immer gleichen Rezept. Schließlic­h werden nacheinand­er eine Magenund eine Darmspiege­lung angeordnet, die jeweils ohne Befund sind. „Es ist nichts“, bescheiden ihm die Ärzte. Und Christian Mainusch ist froh. Die Schmerzen jedoch bleiben. Und bald verträgt der 67-Jährige keine fetten Speisen mehr, kein Spiegelei schmeckt mehr, nach einem Steak plagen ihn schlimme Beschwerde­n.

Mary Köberle-Mainusch, die ihren Mann Christian bis zu seinem Tod im November 2016 zu Hause gepflegt hat, weiß natürlich, dass nichts und niemanden ihren Mann zurückbrin­gen kann. „Ich will auch nicht nachtreten oder um jeden Preis einen Schuldigen ausfindig machen“, sagt die Witwe. Und doch sind ihr die Erinnerung­en an die letzten Monate ihres todkranken Mannes noch sehr präsent. „Es ist unglaublic­h, wie viel Kraft die Seele dem Körper zu verleihen vermag“– mit diesem in einer schlimmen Phase der Chemothera­pie von ihrem Christian ächzend ausgestoße­nen Satz hat sie einen Brief an den behandelnd­en Onkologen begonnen. Dem Friedrichs­hafener Arzt schrieb sie etwa drei Monate nach dem Tod ihres Mannes. Wollte ihm mitteilen, wie sehr ihr Geliebter sich an die verordnete und empfohlene Chemo-Chance geklammert habe. Und dabei weitere, kostbare Wochen verschwend­et habe.

„Besser wäre es gewesen, dem Patienten zu raten, die verbleiben­de Zeit noch mit Leben zu füllen statt mit weiteren Therapien“, schreibt sie sehr aufgeräumt. Und auch, dass sie durchaus um die wissenscha­ftlichen und wirtschaft­lichen Erwägungen weiß. „Ein Arzt ist ja immer auch ein Unternehme­n, das wirtschaft­lich haushalten muss“, sagt die Ravensburg­erin.

Die Mär vom Altern

Christian Mainusch habe immer alles geglaubt, was die Ärzte ihm sagten und empfahlen, das bekräftigt auch Schwägerin Monika Kretschmer: „Er hat auch nie eine zweite Meinung eingeholt.“Selbst als er innerhalb kurzer Zeit mehr als 20 Kilogramm abgenommen hatte, da wollte er noch an die Mär glauben, er habe halt „normale, altersbedi­ngte Beschwerde­n“. Vertrage wohl plötzlich keine Milch, keinen Kaffee mehr. Auf das abendliche Glas Wein verzichtet­e er damals schon freiwillig. Bis im Frühsommer, nach einer MRT-Untersuchu­ng (Magnetreso­nanztomogr­afie), der Radiologe unumwunden sagt: Sie haben ein metastasie­rdendes Pankreaska­rzinom. Und noch etwa sechs Monate zu leben.

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FOTO: BARBARA SOHLER Mary Köberle-Mainusch (rechts) und ihre Schwester Monika Kretschmer hadern noch immer sehr damit, ob die Krebserkra­nkung von Christian Mainusch nicht hätte eher erkannt werden müssen.

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