Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Wir wurden einfach immer vertröstet“
Niemand wollte ihrem Mann Glauben schenken: Witwe beklagt schlechtes Ärztemanagement
RAVENSBURG - Dass sie heute, nach über anderthalb Jahren, noch immer unglücklich ist über den Verlust ihres Ehemanns Christian, das ist normal. Die Trauer versucht Mary KöberleMainusch auszuhalten. Was für die 61-jährige Ravensburgerin viel schwerer wiegt: dass ihr Mann eine jahrelange Odyssee durch Arztpraxen hinter sich hat, als Simulant abgetan wird – bevor endlich, beinahe zufällig die Diagnose „Bauchspeicheldrüsenkrebs“gestellt wird. Knapp sieben Monate später ist ihr Ehemann tot.
In einem dicken Leitzordner hat Mary Köberle-Mainusch all die Untersuchungsbefunde, Arztschreiben, Laborergebnisse abgeheftet, die in den letzten beiden Jahren vor dem Tod ihres geliebten Christian das Leben des Ehepaares diktiert haben. „Christian“hat seine Frau auf den Ordnerrücken geschrieben, ein rotes Herz daneben gemalt. Auch jetzt, knapp zwei Jahre nach seinem Tod, ist die 61-Jährige noch immer aufgewühlt, will nicht ruhen lassen, was sie umtreibt: dass ihr Mann bei einem rechtzeitigen Erkennen des Pankreas-Karzinoms nämlich hätte unter Umständen gerettet werden können.
Tumor blieb lange unerkannt
Dass die Befunde jedoch allesamt fehlgedeutet oder überhaupt nicht angeschaut wurden. Und da ist diese Frage. „Fehlt nicht eine Schnittstelle, an der die einzelnen Ergebnisse zusammenlaufen müssen? Wo jemand Kompetentes ein Auge draufhat“, fragt Köberle-Mainusch und lächelt dabei tapfer. „Wäre da nicht der Hausarzt in der Pflicht?“, schiebt sie nach. Diese Schnittstelle, dort, wo alle Befunde einzelner Fachärzte zusammenkommen, ist gemeinhin der Hausarzt – darin sind sich Mary Köberle-Mainusch und ihre Schwester Monika Kretschmer einig. Aber auch darin, dass niedergelassene Allgemeinmediziner großen Druck von den Krankenkassen spüren, Überweisungen nur zögerlich ausstellen, am Quartalsende meist gar kein Budget mehr haben. Und manchmal auch einfach überarbeitet sind.
Eine sogenannte Computertomografie, umgangssprachlich „CT“genannt, hätte früh („vielleicht früh genug“, sagt Köberle-Mainusch) Auskunft geben können darüber, was mit einem herkömmlichen Röntgenbild nicht sichtbar zu machen ist: die weichen Strukturen im Körper. Auch der Bauchspeicheldrüsen-Tumor. So aber blieb der Krebs unerkannt, der CT-Termin immer nur eine leider nicht schnell verfügbare Diagnosemethode. „Als wir uns schließlich einen Termin fürs CT erbettelt hatten, da war das Gerät kaputt. Und wir wurden einfach weiter vertröstet!“, empört sich die Witwe.
Im Herbst 2014 verspürt der ehemalige Bauleiter zunächst eigenartige Schmerzen im linken Oberbauch und Rücken. Geht zum Arzt. „Degenerative Veränderungen“verursachten seine Schmerzen im Lendenwirbelbereich, er habe eine „muskuläre Dysbalance“, notiert der Arzt im Krankenblatt. Verordnet Krankengymnastik, sogenannte manuelle Therapie mit Wärme, sprich Fangopackungen. Drei Monate später, als Christian Mainusch bereits Schmerzen im Brustwirbelbereich hat, die in den Bauch ausstrahlen, empfehlen dieselben Ärzte eine osteopathische Behandlung und wiederum manuelle Mobilisierung.
So geht das über ein Jahr: Zum Arzt mit den immer gleichen Beschwerden. Nach Hause mit dem immer gleichen Rezept. Schließlich werden nacheinander eine Magenund eine Darmspiegelung angeordnet, die jeweils ohne Befund sind. „Es ist nichts“, bescheiden ihm die Ärzte. Und Christian Mainusch ist froh. Die Schmerzen jedoch bleiben. Und bald verträgt der 67-Jährige keine fetten Speisen mehr, kein Spiegelei schmeckt mehr, nach einem Steak plagen ihn schlimme Beschwerden.
Mary Köberle-Mainusch, die ihren Mann Christian bis zu seinem Tod im November 2016 zu Hause gepflegt hat, weiß natürlich, dass nichts und niemanden ihren Mann zurückbringen kann. „Ich will auch nicht nachtreten oder um jeden Preis einen Schuldigen ausfindig machen“, sagt die Witwe. Und doch sind ihr die Erinnerungen an die letzten Monate ihres todkranken Mannes noch sehr präsent. „Es ist unglaublich, wie viel Kraft die Seele dem Körper zu verleihen vermag“– mit diesem in einer schlimmen Phase der Chemotherapie von ihrem Christian ächzend ausgestoßenen Satz hat sie einen Brief an den behandelnden Onkologen begonnen. Dem Friedrichshafener Arzt schrieb sie etwa drei Monate nach dem Tod ihres Mannes. Wollte ihm mitteilen, wie sehr ihr Geliebter sich an die verordnete und empfohlene Chemo-Chance geklammert habe. Und dabei weitere, kostbare Wochen verschwendet habe.
„Besser wäre es gewesen, dem Patienten zu raten, die verbleibende Zeit noch mit Leben zu füllen statt mit weiteren Therapien“, schreibt sie sehr aufgeräumt. Und auch, dass sie durchaus um die wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Erwägungen weiß. „Ein Arzt ist ja immer auch ein Unternehmen, das wirtschaftlich haushalten muss“, sagt die Ravensburgerin.
Die Mär vom Altern
Christian Mainusch habe immer alles geglaubt, was die Ärzte ihm sagten und empfahlen, das bekräftigt auch Schwägerin Monika Kretschmer: „Er hat auch nie eine zweite Meinung eingeholt.“Selbst als er innerhalb kurzer Zeit mehr als 20 Kilogramm abgenommen hatte, da wollte er noch an die Mär glauben, er habe halt „normale, altersbedingte Beschwerden“. Vertrage wohl plötzlich keine Milch, keinen Kaffee mehr. Auf das abendliche Glas Wein verzichtete er damals schon freiwillig. Bis im Frühsommer, nach einer MRT-Untersuchung (Magnetresonanztomografie), der Radiologe unumwunden sagt: Sie haben ein metastasierdendes Pankreaskarzinom. Und noch etwa sechs Monate zu leben.