Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Der Mustang vom Rhein trotzt dem Spießertum
1968 begann die Produktion des Ford Capri in Köln – Spektakuläres Design und Erfolge im Motorsport
KÖLN (dpa) - Deutschland zum Ende der 1960er: Im Wohnzimmer stand noch der Nierentisch, im Radio spielten sie Heintje, Peter Kraus oder Conny Froboess, und am Sonntag trug man Anzug und Krawatte. Doch die Jugend begehrte auf und zettelte eine Revolution an gegen das Spießertum, die selbst die Autohersteller erfasste. Zwar kaufte deren Neuwagen nach wie vor die Elterngeneration, doch so ein bisschen Lebensfreude konnte offenbar nicht schaden. Das dachten sich zum Beispiel auch die Planer bei Ford in Köln und trumpften mit dem Capri groß auf. Entwickelt wurde er seit Mitte der 1960er-Jahre, die Produktion in Köln begann 1968, und seinen Einstand vor großem Publikum gab er im Januar 1969 auf der Motorshow in Brüssel.
Damit reagierte der Konzern nicht nur auf die wilde Stimmung im Land, sondern vor allem auf den Absatzrückgang ab Mitte der 1960er und kopierte deshalb ein Rezept, das in den USA bereits erfolgreich funktioniert hatte: den Ford Mustang. Genau wie das Ponycar aus Amerika sollte auch das europäische Auto den bezahlbaren Sportwagen geben, der optisch etwas hermacht, schnell und vor allem kein bisschen spießig ist. Selbst beim Namen orientierten sie sich am Wilden Westen und planten das Coupé als „Colt“. Dummerweise war da allerdings Mitsubishi bei der Anmeldung schneller, und aus dem rollenden Schießeisen wurde deshalb kurz vor der Premiere eine Urlaubsinsel vor der Amalfiküste.
Sportwagen und Familienauto
Zwar hielt das Coupé das, was heute wohl ein Lifestyle-Auto auszeichnet: Es weckte Emotionen und fühlte sich dem Fahrspaß verpflichtet. Doch rühmte Ford den Zweitürer in der Werbung nach wie vor als Zwitter zwischen Sportwagen und Familienauto – und gab sich betont bodenständig. Kein Wunder, dass die Basisversion mit einem mageren 1,3-Liter mit 50 PS auskommen musste. Der brauchte nach Angaben des Ford Oldtimer und Motorsport Club Cologne stolze 22,7 Sekunden von 0 auf 100 km/h und war schon bei Tempo 133 außer Atem. Doch dafür kostete der 1300er auch nur 6995 DMark. Zum Vergleich: Ein Porsche 911 T, der zwar schneller und stärker war, aber auch nicht viel mehr Aufsehen erregte, stand mit knapp 22 000 D-Mark in der Liste.
Der Vergleich mit dem 911 mag weit hergeholt erscheinen. Doch der Capri sah nicht nur sportlich aus, sondern ließ sich auch so fahren. Das haben auf dem Bildschirm TV-Helden wie „Die Profis“bewiesen und auf der Rennstrecke Heroen wie Niki Lauda, Jochen Mass, Hans-Joachim Stuck oder Walter Röhrl, die zu Beginn ihrer Karriere allesamt am Steuer eines Capri saßen.
Zwar gab es für die Rennwagen Motoren mit zum Teil mehr als 500 PS und extrabreite Karosserien. Doch auch für die Normalverbraucher hatte Ford die Muskeln spielen lassen und zum Beispiel für 15 800 DMark den RS 2600 aufgelegt. Mit seinem von 2,3 auf 2,6 Liter aufgebohrten Sechszylinder damals tatsächlich fast so sportlich wie ein Elfer, ist der RS heute eines der begehrtesten Modelle in der Ahnenreihe – und selbst als Oldtimer ein mitreißendes Auto.
Denn sobald der Motor unter der langen Haube warm ist, spurtet der Ford auch im Rentenalter noch wie ein Rennwagen und stürmt ohne großen Anlauf mit über 200 Sachen auf die linke Spur – kein Wunder bei Willkommen im Sportclub: Die reduzierte Atmosphäre und das tief geschüsselte Lenkrad charakterisieren den Ford Capri RS 2600.
150 PS und nur kaum mehr als 1000 Kilo. Die vier Gänge flutschen nur so durchs Getriebe, die Füße tanzen auf den Pedalen, mit festem Griff am tief geschüsselten Lenkrad dreht man den langen Bug in die Kurve, und mit einem eleganten Schwenk des knackigen Hecks treibt einen der Hinterradantrieb wieder hinaus – schneller und immer schneller wird dieser Tanz. Bis man irgendwann am Quietschen der Reifen und dem erschreckten Blick des Beifahrers erkennt, dass der Capri eben doch ein Oldtimer ist und weder Servolenkung noch ABS und erst recht kein
ESP für Sitte und Anstand sorgen. Mit einem Sprintwert von 9,2 Sekunden und einer Spitze von 202 km/h kann der Capri noch heute manche Mittelklasse-Limousine abhängen. Wie muss sich das also erst vor knapp 50 Jahren angefühlt haben?
Das spektakuläre Design und die Erfolge im Motorsport – das macht auch für Frank Lehmann den Reiz des Capri aus. Der Euskirchener ist im Vorstand des Capri-Club Deutschland und schwört auf das Kölner Coupé, seit er im Alter von 15 Jahren mit seinem Vater im Frühjahr 1969 bei der Händlerpremiere des Capris war. Es hat dann nicht lange gedauert, bis er selbst einen hatte. Seitdem ist er nie wieder vom Capri losgekommen. Zwischenzeitlich standen sogar vier Modelle in seiner Garage. Jetzt ist es nur noch eines, das dafür aber gehegt und gepflegt wird wie die eigene Ehefrau.
Das muss man auch, sagt Lehmann. Erstens, weil der Capri ein empfindliches Auto ist, dem vor allem der Rost bisweilen schwer zusetzt. Und zweitens, weil er so langsam wertvoll wird. „Die Preise zum Beispiel für den RS haben sich in den letzten Jahren glatt verdoppelt“, sagt der Capri-Kenner und taxiert das Sportmodell in gutem Zustand auf beinahe sechsstellige Werte: „60 000 Euro sind immer drin, 80 000 keine Seltenheit mehr, und die 100 000 wurden auch schon geknackt.“
Ins Schwarze getroffen
Aber keine Sorge, so tief muss man nicht in die Tasche greifen, sagt Lehmann, dessen auf 180 PS getunter 69er gerade für 27 000 Euro neu versichert wurde. Den 1300er zum Beispiel gibt es seinen Angaben zufolge in einem guten Zustand schon für deutlich unter 10 000 Euro. Und wer vor ein paar Schönheitsreparaturen nicht zurückschreckt, sitzt auch schon für 3000 oder 5000 Euro hinter dem Steuer.
Die kleinen Preise sind die Folge der hohen Produktionszahlen. Denn mit dem Capri traf Ford ins Schwarze. Allein in den ersten sechs Monaten wurden über 75 000 Exemplare verkauft. 1973 war mit über 230 000 Einheiten das beste Jahr. Und allein in Deutschland wurden in den ersten fünf Jahren 784 000 Autos gebaut, von denen immerhin ein Drittel im Land blieb. Als die Produktion 1986 nach knapp 20 Jahren und drei Generationen eingestellt wurde, standen am Ende über 1,8 Millionen Autos in den Büchern. Für die Kölner war das Coupé damit Umsatzgarant und Imageträger in einem. Einen ebenbürtigen Nachfolger aber stellten sie nicht mehr auf die Räder.
Doch so gut der Mustang vom Rhein bei der Generation der Aufrührer und Umsteiger auch ankam: In Deutschland blieb er nur zweiter Sieger. Denn so, wie in den USA der ewige Kampf zwischen Mustang und Chevrolet Camaro tobt, konterte hierzulande Opel den Capri mit dem Manta – und hatte damit noch mehr Erfolg.