Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Neuanfang mit Ankara wird schwierig
Der anstehende Besuch des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Deutschland wird in Ankara schon jetzt als Symbol für den Beginn einer neuen Ära in den Beziehungen gefeiert. Doch der Optimismus in Ankara blendet die Tatsache aus, dass der Neuanfang schwierig wird – und dass es mit einfachen Absichtserklärungen nicht getan ist.
Sowohl Deutschland als auch die Türkei sind an besseren Beziehungen interessiert. Das gemeinsame Interesse allein löst aber keine Probleme. Bei ihrem Wunsch nach deutscher Unterstützung für die türkische Wirtschaft ignorieren Erdogan und Albayrak die enge Verbindung zwischen Rechtsstaatlichkeit und wirtschaftlichem Erfolg. Die türkische Regierung hofft auf wirtschaftliche Hilfe aus Europa und besonders aus Deutschland zur Überwindung der schweren Finanzkrise. Gegenüber potenziellen Investoren verweist sie auf die Aktivposten ihres Landes wie die junge Bevölkerung und die günstige geografische Lage der Türkei zwischen Europa und dem Nahen Osten.
Wenn diese Vorzüge durch die richtigen politischen Rahmenbedingungen ergänzt würden, hätte die Türkei alle Chancen für Erfolg. Doch seit einigen Jahren verschlechtern sich die Bedingungen wegen der wachsenden autokratischen Tendenzen.
Ausländische Investoren und Unternehmen müssten sich in der Türkei sicher fühlen können, mahnt die deutsche Regierung. Die Festnahme von westlichen Ausländern aus fadenscheinigen bis absurden Gründen, die Unterdrückung der Opposition und der Pressefreiheit sowie die Gängelung der Justiz sind schlecht für den Investitionsstandort Türkei.
Bisher ist jedoch nicht erkennbar, dass Erdogan an seiner Linie etwas ändern will, im Gegenteil. Das im Juni eingeführte Präsidialsystem gibt ihm in vielen Bereichen unumschränkte Macht. Grenzenlose politische Verfügungsgewalt mag gut für die Sicherung der eigenen Herrschaft sein, doch sie ist schlecht, wenn es darum geht, Vertrauen zu gewinnen.
Deshalb dürften weder der Besuch von Erdogan bei Angela Merkel noch die für Ende Oktober geplante Türkei-Reise von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier völlig harmonisch verlaufen. Hinweise aus Europa auf demokratische Defizite in Ankara werden von der türkischen Regierung bestenfalls als Einmischung und schlimmstenfalls als Unterstützung für Staatsfeinde gewertet.
Misstrauen herrscht auch in anderen Bereichen der deutsch-türkischen Beziehungen. Erdogans geplante Teilnahme an der offiziellen Einweihung der Zentralmoschee in Köln kommt zu einer Zeit, in der in Deutschland über eine Beobachtung des türkischen Moscheeverbandes Ditib durch den Verfassungsschutz diskutiert wird. Bei Erdogans Auftritt in Köln wird die deutsche Seite die Äußerungen des Präsidenten auf mögliche Versuche abklopfen, die Türken in Deutschland für die politischen Ziele Ankaras einzuspannen.
Umgekehrt wird die türkische Regierung die Reaktion Merkels auf die Forderung nach Auslieferung von türkischen Regierungsgegnern aus der Bundesrepublik sehr genau studieren: In Ankara wird immer wieder der Vorwurf laut, Deutschland schütze Putschisten, kurdische Extremisten und andere Staatsfeinde.