Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Großer Bahnhof für Erdogan
Türkischer Staatspräsident wird mit parteiübergreifender Kritik konfrontiert
BERLIN - Die Maschine des türkischen Präsidenten ist noch nicht in Berlin-Tegel gelandet, da tobt am Donnerstag im Bundestag bereits ein heftiger Streit über den Gast aus Ankara und seinen Besuch.
„Lassen Sie die Menschen frei, lassen Sie freie Debatte in der Türkei wieder zu“, fordert FDP-Fraktionsvizechef Alexander Graf Lambsdorff. Und auch der frühere Grünen-Chef Cem Özdemir nimmt kein Blatt vor den Mund: „Es kommt ein Machthaber eines Landes, in dem es praktisch keine Pressefreiheit mehr gibt, in dem immer mehr Menschen Angst haben, ihre Meinung zu äußern“, erklärte er. „Als Regierung kann man sich seine Gäste nicht immer aussuchen“, sagte Cem Özdemir im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) müssten Tacheles mit Erdogan reden. Der Grünen-Politiker verteidigte seine Teilnahme am Staatsbankett am heutigen Freitagabend. „Erdogan muss das aushalten, dass dort jemand am Bankett teilnimmt, der seine Politik offen kritisiert“, sagte er.
Militärische Ehren
Auftakt eines äußerst heiklen Staatsbesuches, der offiziell erst am heutigen Freitag mit dem Empfang mit militärischen Ehren durch Bundespräsident Steinmeier in Schloss Bellevue beginnt. Anschließend trifft er Regierungschefin Angela Merkel zu einem Arbeitsessen im Kanzleramt. Mehr als 10 000 Demonstranten wollen dann gegen den Besuch des türkischen Präsidenten und seine Politik demonstrieren.
Erdogan pocht auf einen Neustart in den deutschtürkischen Beziehungen, sucht angesichts der dramatischen Wirtschaftskrise, in der sich sein Land befindet, die Annäherung und Hilfe Berlins, schlägt plötzlich moderatere Töne an. Doch für eine Normalisierung des Verhältnisses ist es, darüber ist man sich in Berlin einig, noch viel zu früh. Die Bundesregierung schraubt die Erwartungen herunter, macht keine Hoffnung auf eine rasche Rückkehr zu normalen Beziehungen.
Davon sei man derzeit noch weit entfernt. „Wir werden das nicht vergessen, was passiert ist“, erinnerte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, an die politische Situation in der Türkei und Erdogans „inakzeptable Beleidigungen“in Richtung Deutschland. „Was geschieht, ist Nazismus. Was geschieht, ist Faschismus“, hatte der türkische Präsident vor zwölf Monaten deutsche Politiker bis hin zur Kanzlerin wegen ihrer Kritik an Menschenrechtsverletzungen und Inhaftierungen in der Türkei attackiert.
Ein Jahr später roter Teppich für den umstrittenen Autokraten aus Ankara. Es hagelt Kritik nicht nur von der Opposition und von Koalitionspolitikern im Bundestag. Bereits nach seiner Landung wird der türkische Präsident von Demonstranten am Flughafen empfangen, die gegen Erdogan und seine Politik demonstrieren, die Freilassung von Inhaftierten fordern. Noch immer sind fünf deutsche Staatsbürger aus politischen Gründen in der Türkei