Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Wir wollen Fekrat nicht mehr hergeben“
Die Jesidin und ihre beiden Brüder „erkämpften“sich zielstrebig in Isny ein neues Leben
ISNY - Der Internationale Tag des Flüchtlings ist am Freitag, 28. September. Ein Schwerpunktthema ist die berufliche Integration junger Flüchtlinge. Ein Anlass, dem Schicksal von drei geflüchteten Geschwistern aus dem Kurdengebiet im Norden Syriens nachzugehen. Diese leben seit November 2015 in Isny, fassen zielstrebig Fuß und haben ein neues Leben begonnen.
Fekrat, eine 21 jährige Kurdin sitzt im Seniorenheim Sonnenhalde zusammen mit der Direktorin Katja Hoffmann, t Gabi Kimmerle vom Netzwerk Asyl und Wilfried Rauneker, der zusammen mit seiner Frau Edith den drei Geschwistern über drei Jahre, Tag für Tag Deutsch beigebracht hat, sodass sie jetzt fast fließend Deutsch sprechen, lesen und schreiben. Fekrat, die im September 2017 eine Ausbildung zur Krankenpflegehelferin in der Sonnenhalde begonnen hat und von der Berufsschule in Leutkirch für ihre Zielstrebigkeit und ihre guten Noten eine Belobigung bekommen hat, erzählt ihr Schicksal und das ihrer beiden Brüder.
Das Leid der Jesiden
Fekrat lebte mit insgesamt fünf Geschwistern und ihren Eltern als Mitglieder der religiösen Minderheit der Jesiden in einem Dorf in der Nähe von Afrin. „Für die Terrormiliz IS sind wir Ungläubige und werden deshalb verfolgt, versklavt oder gleich ermordet. Unser Dorf und die kleine Landwirtschaft der Eltern zerstört und niedergebrannt, flüchteten wir in ein Flüchtlingscamp in der Nähe von Aleppo – auch dort ohne jede Zukunftsperspektive“, erzählt Fekrat in einwandfreiem Deutsch. Sie hätten nie eine Schule besuchen dürfen, nicht wegen Interesselosigkeit der Eltern, sondern weil sie Jesiden sind. Schulbesuch setze die Zugehörigkeit zum Islam voraus. Sie seien also absolute Analphabeten gewesen und hätten nur Kurdisch sprechen können.
Rudwan, der älteste Bruder, hätte sich allein in den Libanon durchgeschlagen und dort Arbeit gefunden. Als Fekrat weitererzählt, muss sie mit den Tränen kämpfen. „Mama hat mich, damals 18-jährig, und meinen 13-jährigen Bruder gedrängt, nach Europa aufzubrechen. „Ich wollte nicht, denn auch schon große Kinder wollen doch bei den Eltern sein und Eltern wollen bei ihren Kindern sein. Es war schwer, es war ein schrecklicher Rat der Mutter. Eines Tages war ich dann doch bereit, weil ich es als unsere einzige Überlebensmöglichkeit begriffen habe.“
Das Geld hätte nur für zwei gereicht, für mehr nicht. Also seien sie los, Fekrat und ihr kleiner Bruder Suliman, zu Rudwan in den Libanon und dann zu dritt weiter: Türkei, Balkanroute, Österreich, Freiburg und von dort am 4. November 2015 von der Polizei weitergeschickt nach Karlsruhe. Am 28. November seien syrische Familien in drei Bussen nach Isny ins Siloah gefahren worden – „und da standen der Wilfried und die Edith und die Ute (Dittmar) und haben uns persönlich empfangen – und damit hat für uns drei ein neues Leben begonnen.“
Die Häuser im Siloah seien für syrische Familien gedacht gewesen, aber die drei Geschwister habe man wohl als Familie betrachtet und sie hätten deshalb gemeinsam ein kleines Zimmer bekommen. Ihr ganz besonderes Glück sei gewesen, dass da Raunekers, längst Opa und Oma genannt, und Frau Dittmar, die Regisseurin, sie in Arm und Herz geschlossen hätten, sie, „die ahnungslosen Analphabeten“, erzählt Fekrat und muss wieder mit den Tränen kämpfen. Bis heute fühlen sie sich bei ihnen wie ihre Kinder aufgenommen. Ab sofort wurde jeden Tag mit Oma und Opa schreiben, lesen und sprechen gelernt. Raunekers Kommentar dazu: „Die drei wollen, setzen sich Ziele, Schritt für Schritt – bis heute.“Heimweh nach der Familie, nach den Eltern, sei für sie ein ständiger Begleiter. „Manchmal können wir telefonieren“, wenn die Eltern ihr Handy im Lastwagen, der Lebensmittel ins Camp bringt, wieder aufladen konnten. Die angebotenen offiziellen Sprachkurse im Stephanuswerk hätten ihnen am Anfang nichts gebracht, weil sie eben weder auf englisch, noch auf arabisch einen Buchstaben schreiben konnten. Da sei der Unterricht bei Opa und Oma die Brücke gewesen, um überhaupt Anschluss zu finden.
Lehre als Koch im Jägerhof
Zwei Jahre später: Rudwan konnte die Hauptschule abschließen und macht jetzt eine Lehre als Koch im Jägerhof. Suliman geht noch in die Werkrealschule in Isny. Fekrat hat mit Erfolg eine Flüchtlingsklasse in Wangen besucht und dort ihre Hauptschulprüfung mit Bestnoten abgeschlossen. Dann hätte sie ein Praktikum im Blumenlädle in Wangen gemacht und festgestellt, dass es „nicht meins“ist. Aber bei einer Berufsinformationsveranstaltung lernte sie das Berufsbild Pflege kennen. In Isny sei der Opa dann sofort mit ihr in die Sonnenhalde gegangen, um nach einem Praktikum zu fragen. Das war vor einem Jahr. Katja Hoffmann: „Ihre Ausstrahlung und ihre Sprachkenntnisse – ein herausragender junger Mensch, so war mein erster Eindruck.“Fekrat sei dann sogar sonntags gekommen, um zu helfen, sei beliebt bei Bewohnern und allen Mitarbeitenden. „Wir wollen Fekrat nicht mehr hergeben.“
Fekrat fährt selbstbewusst fort: „Wenn ich die Pflegehelferinnenprüfung in der Tasche habe, möchte ich gleich die Ausbildung zur Pflegefachkraft anschließen.“Sie hätte das Gefühl, dass sie in der Sonnenhalde bei Kollegen und Bewohnern – „die haben ja auch den Krieg erlebt“– gemocht ist, und das gebe ihr Kraft. Ihr Entschluss sei gefallen, Isny sei ihre neue Heimat geworden, sie wollen nicht zurück ins Elend. Rauneker ist wichtig zu sagen, dass damals, bei Ankunft der vielen Geflüchteten, viele Isnyer ihre Begleitung, Sprachunterricht, Patenschaft angeboten hätten und auch lange Zeit durchgehalten haben. Aber in dem Maß, wie die Leute selbstständiger geworden seien und alles in geordnete, amtliche Bahnen gelenkt wurde, sei die Begleitung auch zurückgegangen.