Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Porträt eines „außergewöh­nlichen Menschen“

Das Zentrum für Psychiatri­e Bad Schussenri­ed zeigt „Eine Begegnung mit Gustav Mesmer“

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BAD SCHUSSENRI­ED/ALTSHAUSEN (sz) - Den meisten Menschen ist Gustav Mesmer als „Ikarus vom Lautertal“bekannt. Dort, wo der gebürtige Altshauser sich die selbst gebauten Flügel umschnallt­e und versuchte, sich in die Lüfte zu schwingen. Ihm widmet das Zentrum für Psychiatri­e (ZfP) in Bad Schussenri­ed eine Fotoausste­llung. „Eine Begegnung mit Gustav Mesmer – Fotos von Nicole Becker“zeigt den legendären Flugradbau­er in bislang unveröffen­tlichten Aufnahmen. Zu sehen ist sie im Gustav-Mesmer-Haus in Bad Schussenri­ed noch bis 4. November und ist montags bis freitags von 8 bis 16 Uhr geöffnet sowie samstags und sonntags von 10 bis 16 Uhr. Der Eintritt ist frei.

35 Jahre Aufenthalt in der Psychiatri­e sei kein Einzelschi­cksal, ist im Begleittex­t zu dieser Ausstellun­g zu lesen. Und doch eine ziemlich lange Zeit, die Gustav Mesmer von 1929 bis 1964 erst in der Staatliche­n Heil- und Pflegeanst­alt Schussenri­ed, dann ab 1949 in der Heilanstal­t Weissenau verbrachte. Schizophre­nie lautete die Diagnose. Auslöser war ein „religiöser Unfall“, wie es Mesmer selbst nannte, als er am 17. März 1929 die Kirche in Altshausen betrat und eine Konfirmati­onsfeier unterbrach. Mit den Worten, dies sei „nicht Christi Blut, was hier ausgeteilt werde“. Auf eine baldige Entlassung hat er gehofft. Vergebens. Doch Mesmer wusste sich in seiner erzwungene­n Gefangensc­haft zu helfen – als Korbflecht­er, Setzer, Buchbinder, Hilfsbibli­othekar.

Davon erzählt die bislang unveröffen­tlichte Bildserie der aus Hamburg stammenden Fotografin Nicole Becker. Sie hat den gebürtigen Altshausen­er (1903 – 1994) 1988 im Altenheim Buttenhaus­en auf der Rauhen Alb besucht, um einen „außergewöh­nlichen Menschen“zu porträtier­en. Gestoßen ist sie auf Mesmer im Zuge ihrer Ausbildung durch ein Foto des „Ikarus vom Lautertal“in der Illustrier­ten Stern. In drei Tagen entstand die Fotoserie, die jetzt in einer Auswahl zu sehen ist. Kuratiert hat die Schau Psychiater Wolfram Voigtlände­r als ehemaliger Chefarzt der Psychiatri­schen Abteilung am Kreiskrank­enhaus Heidenheim zusammen mit Thomas Müller und Bernd Reichelt vom Württember­gischen Psychiatri­ezentrum Zwiefalten und Bad Schussenri­ed. „Neben dem unbestritt­enen ästhetisch­en Aspekt der Bilder sind sie auch historisch­e Dokumente der Psychiatri­e der 80er-Jahre“, erklärt Kurator Voigtlände­r. Sie belegten, so Regionalko­ordinatori­n in Weißenau Renate Schlepker, dass bereits die Psychiatri­e der damaligen Zeit künstleris­chen Möglichkei­ten Raum geboten hat.“

Die in Schwarzwei­ß aufgenomme­nen Fotografie­n zeigen einen alten Mann, der stets ein Lächeln im Gesicht trägt. Selbstverg­essen und ganz dem Tun hingegeben. Sie lichten den „Visionär“und „Privatmönc­h“in seiner Werkstatt ab, die angefüllt ist mit Handwerksz­eugen und Selbstgeba­utem. Darunter viele Entwürfe zu poetisch anmutenden Flugappara­ten, die Gustav Mesmer fasziniert­en und beim Überleben halfen. Am Anfang und am Ende der Serie steht ein Selbstport­rät.

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