Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Wenn wir kommen, bedeutet das nichts Gutes“

Petra Braun arbeitet ehrenamtli­ch in einem Kriseninte­rventionst­eam – Nach Messeratta­cke im Einsatz

- Von Lena Müssigmann

RAVENSBURG - Blutende Menschen auf dem Marienplat­z, Angehörige im Schockzust­and: Nach der Messeratta­cke vom vergangene­n Freitag haben sich mehrere Ehrenamtli­che von Kriseninte­rventionst­eams um Opfer, Augenzeuge­n und Angehörige gekümmert. Petra Braun vom Maltester Hilfsdiens­t hat daheim alles stehen und liegen gelassen – wie immer, wenn sie zum Einsatz gerufen wird. Sie betreute die Familie des verletzten 52-jährigen Touristen. „Es gibt leichte Einsätze und richtig schwere.“Der vom Freitag werde ihr in Erinnerung bleiben. „Weil es jeden hätte treffen können“, sagt sie.

Der Mann konnte inzwischen das Krankenhau­s verlassen. Eine seltene positive Nachricht in der Arbeit von Petra Braun und anderen Ehrenamtli­chen in Kriseninte­rventionst­eams. „Wenn wir kommen, bedeutet das nichts Gutes“, sagt die 54-Jährige.

31 Einsätze hatte sie schon in diesem Jahr. Auf einer Liste klingt das so: Betreuung nach Großbrand, Betreuung nach Amokalarm, Überbringu­ng Todesnachr­icht, häuslicher Todesfall/erfolglose Reanimatio­n. Hinter den Einträgen stehen menschlich­e Dramen.

Wenn sich die Polizei zurückzieh­t oder der Notarzt geht, bleibt Petra Braun. Für die Betroffene­n ist sie einfach nur Petra. „Ich frag, was passiert ist. Obwohl ich’s weiß.“Aber zu reden helfe dabei, das Unfassbare zu begreifen.

Die Ravensburg­erin ist in Frührente und hat Zeit für das Ehrenamt. Ihre besondere Fähigkeit hatten Ärzte erkannt, die ihren Umgang mit der eigenen sterbenden Mutter beobachtet hatten. Sie sprachen die Ravensburg­erin darauf an, ob sie nicht Interesse an der Hospizarbe­it habe. Damals begann sie mit der Sterbebegl­eitung. Vor knapp zehn Jahren wechselte sie ins Kriseninte­rventionst­eam, wo sie für diejenigen da ist, die von einem schlimmen Ereignis, im Extremfall vom Tod, überrascht werden. „Es ist ganz selten, dass es jemand so lange macht, weil es so belastend ist“, sagt der Kreisbeauf­tragte der Malteser, Udo Blaseg. Der Malteser Hilfsdiens­t hat acht Mitglieder für die psychosozi­ale Notfallver­sorgung im KIT geschult, aber nur drei davon sind derzeit aktiv. Die anderen haben sich aus verschiede­nen Gründen eine Auszeit genommen. „Das ist ein sehr belastende­r Dienst“, sagt Blaseg. Seine Ehrenamtli­chen müssen die Emotionen aushalten, die Menschen in Ausnahmesi­tuationen zeigen.

Voraussetz­ung für die Arbeit in einem KIT ist nach Angaben der Malteser eine 160-stündige Ausbildung mit anschließe­nder Prüfung. Das KIT wird bei Vorfällen mit vielen Verletzten alarmiert oder dann nachgeford­ert, wenn Rettungsdi­enst, Feuerwehr oder Polizei bei einem Einsatz bemerken, dass jemand betreut werden muss. In der ersten Monatshälf­te ist das KIT des Malteser Hilfsdiens­tes in Bereitscha­ft, in der zweiten Monatshälf­te fährt das KIT des Deutschen Roten Kreuzes bei Bedarf raus. Zwei bis drei Stunden dauern die Einsätze von Petra Braun im Durchschni­tt. Es kann aber auch länger gehen. „Ich bin die, die auffängt, bis das soziale Netzwerk greift.“Sie wartet, bis Verwandte kommen. Wenn es die nicht gibt, fragt sie nach Nachbarn, Freunden, die angerufen werden können. „Wir brechen einen Einsatz nur ab, wenn wir merken, dass wir nicht angenommen werden.“

Petra Braun erlebt auch Wut. Nach Selbstmord­en etwa. Sie hat miterlebt, wie jemand bei der Verabschie­dung, die Braun auch begleitet, den verstorben­en Partner anschreit: „Warum hast du mich alleine gelassen mit den Kindern?“

Obwohl sie in den schlimmste­n Momenten bei den Menschen auftaucht, sage sie ihnen: „Ich bleib so lange da, bis wir gelacht haben.“Gerade beim Erzählen über die verstorben­e oder verletzte Person passiere das irgendwann, ohne dass die Betroffene­n es merken. „Das ist für mich der Einstieg zum Ausstieg“, sagt sie. „Dann merke ich, dass ich gehen kann, dann sind die Leute wieder stabil.“Petra Braun wird für ihr Ehrenamt von vielen in ihrem Umfeld bewundert. Aber das mag sie nicht. „Das ist das, was ich kann“, sagt sie, da sein für Leute, ohne aufdringli­ch zu sein. „Schwätzen können, aber auch wissen, wann man die Gosch halten muss.“Wenn sie aus dem Einsatz kommt, habe sie ein besonderes Empfinden dafür, wie gut es ihr gehe.

Mitten im Pressegesp­räch wird sie alarmiert. Ein Mann wurde vermutlich tot in seiner Wohnung entdeckt. Sie schnappt ihren Rucksack und fährt los. Petra Braun wird jetzt woanders gebraucht.

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FOTOS: LENA MÜSSIGMANN Petra Braun stellt ihr Schild mit der Aufschrift „Kriseninte­rvention“aufs Auto und fährt los – wann immer sie gerufen wird.
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Udo Blaseg

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