Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Sozialarbeiterin hat „Tat nie erwartet“
Weitere Hinweise darauf, dass die Messerattacke vom Ravensburger Marienplatz eine Vorgeschichte hatte
RAVENSBURG (fh) - Der 21 Jahre alte Afghane, der am vergangenen Freitag zwei Syrer und einen Touristen aus Hessen bei einer Messerattacke auf dem Marienplatz schwer verletzt hat, hatte bereits am 12. Juli 2017 einen Polizeieinsatz in der Flüchtlingsunterkunft Horgenzell ausgelöst. Für diese Information der „Schwäbischen Zeitung“gibt es inzwischen eine weitere Bestätigung aus sicherer Quelle.
Eine Sozialbetreuerin des Landratsamtes Ravensburg rief demnach an diesem Tag im Sommer 2017 die Polizei, nachdem der offenbar psychisch schwer kranke J. eine Person angegriffen und dabei auch einen Stuhl als Schlagwerkzeug genutzt hatte. Die Beamten lieferten den Mann, der in der Unterkunft wohnt, in Handschellen im ZfP Weißenau ein. Nach drei Tagen kehrte er nach Horgenzell zurück.
Eine offizielle Bestätigung für diesen Vorfall gibt es nicht: Sogenannte „Vorkommnisberichte“, die die Polizei anfertigt, müssen nach spätestens einem Jahr aus Gründen des Datenschutzes aus den Akten gelöscht werden, wenn keine Strafanzeige vorliegt, so das Präsidium in Konstanz. Auch das für die Unterkunft zuständige Landratsamt Ravensburg will sich nicht äußern und verweist ebenfalls auf den Datenschutz.
Laut Oberstaatsanwalt Karl-Josef Diehl hat die zuletzt für den mutmaßlichen Täter zuständige Sozialarbeiterin nach der Bluttat vom Marienplatz ausgesagt, sie habe „eine solche Tat nie erwartet“. Der junge Mann habe aus ihrer Sicht „nie Aggressionspotenzial gezeigt“, er sei „zurückgezogen und ruhig“gewesen.
Zwei Jugendliche, die sich um den laut Ärzten an einer schweren Psychose leidenden Flüchtling gekümmert haben, berichten allerdings von mehrfachem selbstgefährdenden Verhalten und Aggressionen gegen andere - immer dann, wenn er seine Medikamente nicht eingenommen habe. Dass von dem Mann eine Gefahr für sich und andere ausgehen könnte, hätte man erkennen können, glaubt ein Anwalt aus der Region, der die beiden Jugendlichen unterstützt hat.
Bestätigt hat die Staatsanwaltschaft Ravensburg, dass es im Jahr 2016 gegen den heute 21-Jährigen Afghanen ein Verfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung in der Landeserstaufnahmestelle in Sigmaringen gegeben hate. Das Verfahren sei aber eingestellt worden. Jetzt ermitteln die Behörden weiter, ob es Vorfälle vor der Bluttat vom Marienplatz gegeben hat. Sie seien insbesondere für die „Begutachtung und die Gefährlichkeitsprognose“des Beschuldigten sowie eine mögliche Unterbringung in einer Psychiatrie wichtig, so Karl-Josef Diehl. Die Staatsanwaltschaft bittet daher Zeugen, die über entsprechende Vorfälle berichten können, sich zu melden.