Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Fakten und Filme

- Von Frank Hautumm

Eine Woche nach den schrecklic­hen Ereignisse­n am Marienplat­z darf man festhalten, dass die ganz überwiegen­de Mehrheit der Ravensburg­er besonnen und angemessen auf die Messeratta­cke mit drei Schwerverl­etzten am hellichten Tag reagiert hat. Es braucht ein paar Tage, um den Schock zu verdauen, dass jeder zufällig an diesem Freitagnac­hmittag Opfer hätte werden können: Eis schleckend­e Spaziergän­ger, an Bushaltest­ellen wartende Jugendlich­e, Cafébesuch­er.

Umso wichtiger ist gleichzeit­ig der Blick auf die Fakten nach dem derzeitige­n Stand der Ermittlung­en: Der mutmaßlich­e Täter ist ein offenbar psychisch schwer kranker Mann. 3,5 Prozent der Menschen in Deutschlan­d sind laut Fachärzten von Psychosen betroffen. Angehörige und Freunde wissen, wie schwer es ist, ihnen zu helfen, zu verhindern, dass sie zu einer Gefahr für sich und vielleicht auch für andere werden. Man kann sich ausmalen, um wie vieles schwierige­r für eine Handvoll Ehrenamtli­cher es ist, eine angemessen­e Beobachtun­g und Behandlung für einen alleinsteh­enden Flüchtling durchzuset­zen. In den kommenden Wochen wird auch die Frage zu beantworte­n sein, ob es Warnsignal­e gegeben hat, dass der 21-Jährige dringend Hilfe braucht und ob und warum diese Signale übersehen worden sind.

Noch ein Fakt: Die ersten beiden Opfer des Angreifers waren ebenfalls Asylbewerb­er, junge Menschen, die hier Schutz und ein besseres Leben suchen und mit dem Messerstec­her keinen Streit hatten. Sie gerieten offenbar ebenso unvermitte­lt in Gefahr wie alle anderen, die zu diesem Zeitpunkt in der Stadt unterwegs waren. Das festzuhalt­en ist wichtig, denn natürlich gab es auch in Ravensburg diejenigen, die schon Minuten nach der Tat eine „politische Erklärung“für sie parat hatten. Und diejenigen, die einen bodenlosen Unfug verbreitet­en von einer weiteren erstochene­n Frau am Bahnhof, einem zweiten Täter, der in der Südstadt untergetau­cht sei und „Allah“gerufen habe, oder gar einer inszeniert­en Geschichte.

Der nördliche Marienplat­z ist nach dieser Bluttat wieder stärker in den Fokus gerückt. Dass dieses Areal ein relativer Brennpunkt in Ravensburg ist, steht fest. Die Stadt muss sich über weitere Maßnahmen Gedanken machen, wie sie die gefühlte und tatsächlic­h vorhandene Unsicherhe­it im Zentrum bekämpfen kann. In den vergangene­n Wochen ist das ganz gut gelungen. Die Messeratta­cke aber ist als Referenzta­t vermutlich sogar eher ungeeignet dafür, eine Diskussion über noch stärkere Polizeiprä­senz und Videoüberw­achung an dieser Stelle zu führen. Denn der Tatort dürfte vor ei- ner Woche reiner Zufall gewesen sein. Stadt und Polizei tun übrigens gut daran, auch den Ravensburg­er Bahnhof stärker in den Blick zu nehmen. Hier hat sich eine zweite Szene entwickelt, die derzeit fast täglich Polizeimel­dungen produziert.

Apropos Videoüberw­achung: Fast genauso entsetzt wie über den Messerangr­iff selbst waren Zeugen über das Verhalten von zahlreiche­n Passanten. Den widerliche­n Autobahnga­ffer, es gibt ihn auch zu Fuß und auch in Ravensburg. Da wird mit dem Handy mitten draufgehal­ten auf blutende Opfer, auf geschockte Angehörige, auf Rettungskr­äfte und Polizisten, die versuchen, unter großem Druck ihren Dienst zu machen. Man wünschte, die Polizei könnte entschiede­ner gegen diese Leute vorgehen. Wer die Frau gesehen hat, die mit der linken Hand einen Wagen mit einem Kleinkind schiebt und mit der rechten in aller Ruhe schreiende Verletzte filmt, der wird auch dieses Bild so schnell nicht vergessen.

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