Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Hinfallen. Blut abwischen. Wieder aufstehen

Skateboard-Pionier Titus Dittmann betont beim Talk im Bock die stärkende Komponente des Skatens

- Von Bernd Guido Weber

LEUTKIRCH - Dieser Mann ist ganz schön zappelig, hibbelig. Er sieht mit seinen fast 70 Jahren aus wie ein Junger, der auch die Rap-Moves beherrscht, die gängigen Skater-Tricks sowieso. Ist mit Beanie-Mütze und Kapuzenpul­lover die beste Werbung für seine Marke. Beim Talk im Bock im Cubus hat Titus Dittmann berichtet, wie alles anfing. Und warum Skaten das Soziale, die Eigeniniti­ative und das Selbstbewu­sstsein stärkt.

Schon bei der Veranstalt­ung „Skate’n’Grill“am Nachmittag auf dem Skaterplat­z, organisier­t vom Jugendhaus, kommt Titus bei den Jungs und Mädels mit den Boards gut an. Er hält eine kleine Rede, signiert T-Shirts, Boards, Helme. Ist ganz selbstvers­tändlich mittendrin. Spricht direkt, auch mal mit derben Ausdrücken. Am Abend ebenso, beim Talk mit Moderator Karl-Anton Maucher. „Sorry, dass ich ab und zu in die Fäkalsprac­he falle“, sagt er. Anderersei­ts: „Ich bin gleich 70, muss mich nicht mehr zurückhalt­en“.

Wobei das Sich-Zurückhalt­en sowieso nie sein Ding war. Auch wenn er auf dem Gymnasium in der Provinz kein „68er“gewesen ist: „Wer 1968 sein Abitur gemacht hat, ist für den Rest des Lebens verdorben.“Als junger Sportlehre­r brennt er plötzlich fürs Skaten, ein ganz heißer Trend aus den USA, versorgt seine Schüler mit Boards, eingeschmu­ggelt aus Kalifornie­n. Gründet Skate-AGs, begeistert die Kids. Wehrt sich gegen sorgsam ausgedacht­e Pläne („die taugen dann eh nichts“) , gegen starre Autoritäte­n, verurteilt auch heute noch die Notengebun­g. „Das ist ein Verbrechen an den Kindern, man müsste eigentlich die ganze Scheiße dichtmache­n und neu aufbauen“.

Dittmann schmeißt nach vier Jahren sein Lehrer-Beamten-Dasein in die Tonne und gründet zusammen mit seiner Frau seine eigene SkaterFirm­a. Mit durchschla­gendem Erfolg: Seine Firma ist Marktführe­r in Europa, in manchen Jahren erzielt er über 100 Millionen Umsatz. Aber auch mit Tiefen: Zweimal schrappt er äußerst knapp am Konkurs vorbei. Doch „Hinfallen, Blut abwischen, Aufstehen. Nicht nach Mama rufen“ist eine Skatertuge­nd. Auch für ihn. Titus Dittmann zitiert, sinngemäß, den alten Konfuzius. „Wenn du einen Job gefunden hast, den du richtig gern machst, musst du nie wieder arbeiten.“

Erster Skate-Professor Europas

Und Titus, so spricht ihn Karl-Anton Maucher an, „denn das ,Sie’ war irgendwie komisch“, brennt noch immer. Mittlerwei­le führt sein Sohn die Geschäfte, er selbst ist der erste Skate-Professor Europas. Vor allem aber ist er weltweit Skate-Botschafte­r mit seiner Stiftung „Skate Aid“. Sozusagen „Brett für die Welt“, wie auch seine witzige Autobiogra­fie heißt. Gerade kommt er aus Uganda zurück, dort baut er einen Skatepark auf. Der Erlös dieses Abends kommt diesem zugute. Auf vier Kontinente­n ist die Titus-Dittmann-Stiftung aktiv, zusammen mit Partnern, auch Basketball­spieler Dirk Nowitzki ist dabei. Es gibt Rückschläg­e, in Afghanista­n. „Nach Rupert Neudecks Tod wurde es schwierig, überhaupt dorthin zu kommen“. Aufgeben? Niemals. Das Projekt 2019 ist der Bau eines Skate-Parks im SOS-Kinderdorf Damaskus, dazu einen zweiten in einem Außenbezir­k.

„Wie sinnvoll ist das Skaten in Afrika, bei Hunger und Armut?“fragt Moderator Maucher. Wir würden Afrika nach wie vor wie eine Kolonialma­cht behandeln, sagt Dittmann und kommt richtig in Fahrt. Der Westen schütte Afrika mit Altkleider­n zu, vernichte die dortige Textilindu­strie. Titus Dittmann ist gegen die bisherige Politik der Entwicklun­gshilfe. Skaten dagegen stärke das Selbstbewu­sstsein. Beim Skateboard­en könne jeder ein Winner sein, anders als in konkurrenz­betonten Sportarten wie der Leichtathl­etik. Die Kids machen ihre Regeln selbst, gehen an ihre Grenzen, nichts wird übergestül­pt. Rassismus habe keinen Platz. Der Skateboard­er unterschei­de die Menschen nur in zwei Gruppen: Boarder und Nicht-Boarder. Man gehe respektvol­l miteinande­r um, übernehme Selbstvera­ntwortung. „Wir machen die Kinder stark.“Und diese eigene, selbst entwickelt­e Stärke komme der Gesellscha­ft zugute. Positiv.

Titus spricht weiter, erzählt von „jungen Rotzlöffel­n“wie Tony Hawks, heute der berühmtest­e Skater aller Zeiten. Redet von bösen Bankern, gierigen Heuschreck­en, ist kaum zu bremsen. Ein langer, dabei hochintere­ssanter Talk, mit fast philosophi­scher Botschaft.

Der von Bernd Dassel gegründete „Talk im Bock“steht vor einem Umbruch. Die Moderatori­n Jasmin Off zieht es beruflich in den hohen Norden. Moderator Andreas Müller, stellvertr­etender Chefredakt­eur der „Schwäbisch­en Zeitung“, ist beruflich voll ausgelaste­t. So soll es ab 2019 eine kleinere Form des Talks geben, fünfmal, dazu die Veranstalt­ung beim Altstadt-Sommerfest. Moderatore­n sind KarlAnton Maucher und Joachim Rogosch.

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FOTOS: BERND GUIDO WEBER Wie einer aus der Clique: Titus Dittmann während des Skate-Nachmittag­s beim Signieren inmitten der Kids.
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„Skaten macht die Kinder stark. Auf der ganzen Welt“so die Botschaft von Titus Dittmann beim Gespräch mit Karl-Anton Maucher.

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