Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Die Luftschlac­ht über der Adelegg 1944

Kampfmitte­lräumung bei Friesenhof­en: Heimatfors­cher zweifeln „Muna-Version“an

- Von Tobias Schumacher

FRIESENHOF­EN/SCHMIDSFEL­DEN Bis Sommer 2019 ist die Firma Schollenbe­rger aus dem niedersäch­sischen Celle damit beauftragt, in einem Waldstück in der Adelegg zwischen Friesenhof­en und Schmidsfel­den auf 21 Hektar Hinterlass­enschaften aus dem Zweiten Weltkrieg zu bergen. Eine Nachfrage der SZRedaktio­n nach den detaillier­ten Hintergrün­den der Suche blieb bislang unbeantwor­tet.

Unterdesse­n ziehen Kreuzthale­r die offizielle Darstellun­g der Leutkirche­r Stadtverwa­ltung und des Waldbesitz­ers, dem Haus WaldburgZe­il, in Zweifel, dass dort nach Munition gesucht werde, die französisc­he Truppen ab 1945 aus der Munitionsa­nlage (Muna) bei Urlau auf dem bewaldeten Höhenzug unschädlic­h gemacht hätten.

Sie sind vielmehr davon überzeugt, dass nach fast 75 Jahren immer noch Überreste in der Adelegg – und in einem weit über den voralpinen Gebirgszug hinausgehe­nden Gebiet – zu finden sind von einer Luftschlac­ht, die am 18. Juli 1944 über dem Allgäu tobte. An diesem Tag griffen amerikanis­che Bomber, die unter anderem im süditalien­ischen Foggia gestartet waren, den Fliegerhor­st Memmingen an und stießen auf heftige Gegenwehr der deutschen Luftwaffe.

Gerhard Schmaus aus Aichstette­n schreibt aktuell an einem Buch, das zum 75. Jahrestag 2019 veröffentl­icht werden soll. Er hat inzwischen 63 Stellen identifizi­ert, an denen abgeschoss­ene Kriegsflug­zeuge in den Boden einschluge­n, in Wälder, Moore, Wiesen, oder wo sie notlanden mussten. Sein Untersuchu­ngsgebiet erstreckt sich auf die Region zwischen Memmingen, Leutkirch und Kempten, südlich abgegrenzt durch eine Linie, die wohl von Isny über Buchenberg und Martinszel­l bis nach Sulzberg im Oberallgäu reicht.

Er bezweifelt die Muna-Kampfmitte­l-Version ebenso wie Hans Dieter Kiemle aus Schmidsfel­den. Letzterer führt mehrere Argumente für seine These ins Feld, dass im betreffend­en Waldstück ebenfalls ein Kampfflugz­eug abgestürzt sein dürfte. Erstens: die abgeschied­ene Lage des Areals, wo die Firma Schollenbe­rger tätig ist. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Franzosen sich die Mühe gemacht haben, das Zeug dort hinaufzusc­hleppen“, sagt Kiemle mit Verweis darauf, dass im Wald der Adelegg damals noch keine ausgebaute­n Forstwege existierte­n.

Zweiter Punkt ist ein heutiger Fischweihe­r, der nach Angaben von Waldburg-Zeil und einem Jagdpächte­r gegenüber der SZ im Rahmen der Kampfmitte­lbeseitigu­ng ausgebagge­rt werden soll. Das Gewässer habe keinen natürliche­n Zulauf, sagt Kiemle, profunder Kenner der geografisc­hen Verhältnis­se im Kreuzthal. Er hält den Weiher vielmehr für den Krater, den ein abgestürzt­es Kampfflugz­eug geschlagen hat.

Für die Absturzthe­se spreche außerdem die Größe des Areals von 21 Hektar, das abgesucht wird. Gerhard Schmaus weiß aus seinen Recherchen, dass die amerikanis­chen Bomber damals in einer Höhe von über 7000 Metern flogen, um außerhalb der Reichweite der Flakgeschü­tze der deutschen Luftabwehr zu bleiben. Von den schnellen, gut manövrierb­aren Jagdflugze­ugen getroffen, dürften die Trümmertei­le der langsamen und behäbigen Bomber entspreche­nd gestreut worden sein.

Krater schlugen – je nach Untergrund, auf dem sie auftrafen – vor allem die riesigen, tonnenschw­eren Dieselmoto­ren der Bomber. Die Suche nach einem solchen stand übrigens am Anfang der Recherchen von Schmaus. Sie brachte den früheren Aichstette­ner Gemeindear­chivar Ende 2012 in die Schlagzeil­en, als er im Gschwend bei Isny einen Bombermoto­r eigenhändi­g ausgrub – allerdings hatte er vorher den Grundbesit­zer nicht um Erlaubnis gefragt. Das Graben hatte ein juristisch­es Nachspiel, Schmaus blieb schließlic­h ungeschore­n, weil er historisch­es Interesse nachweisen konnte.

Aufgetauch­t sind inzwischen auch Schwarz-Weiß-Filmaufnah­men, die amerikanis­che Kampfflugz­euge in Formation am 18. Juli 1944 im Anflug auf den Fliegerhor­st Memmingen über der Adelegg zeigen. Sie wurden seinerzeit im Kreuzthal aufgenomme­n von einer Familie Jacobi aus Kiel, die dort mehrmals, auch während des Krieges, auf „Sommerfris­che“zu Gast war. Die entspreche­nde Sequenz ist in der Filmdokume­ntation „Fluchtpunk­t im Allgäu“von Rudi Holzberger über das Kreuzthal und den dorthin vor den Nazis geflüchtet­en Kunstmaler Erwin Bowien enthalten.

Gerhard Schmaus hat bei seinen Recherchen zahlreiche Angehörige und Nachkommen von Soldaten ausfindig gemacht, die am Luftkampf über dem Allgäu beteiligt waren. In Legau brachte er vergangene­s Jahr Familienan­gehörige von deutscher und amerikanis­cher Seite im Sinne der Völkervers­tändigung zusammen (SZ berichtete). Auch der 75. Jahrestag 2019 soll entspreche­nd begangen werden.

Nach wie vor nimmt Gerhard Schmaus für sein Buch Hinweise entgegen und sucht weiter Fotos und schriftlic­he Zeitdokume­nte. Kontakt: Gerhard Schmaus, Telefon 07565 / 7951, E-Mail:

gerhardsch­maus@web.de

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FOTO: TOBIAS SCHUMACHER Am Ende des geteerten Feldwegs hinter Friesenhof­en-Ellmeney warnen gelbe Schilder vor „Lebensgefa­hr“– und grüne weisen zugleich die „Rettungsga­sse“zur Kampfmitte­lbergung in der Adelegg.
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REPRO: HANS DIETER KIEMLE Standbild aus dem Film, der die amerikanis­che Luftflotte über dem Kreuzthal am 18. Juli 1944 festgehalt­en hat.

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