Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Also, i bin au vom Roi“
Senioren erzählen ein buntes Geschichtenmosaik über die Isnyer Wohnsiedlung
ISNY - Im Rahmen des Projektes „Panorama-Partner“der Städtischen Museen ist diesmal im Erinnerungscafé das Thema „Was verbindet mich mit der Siedlung am Rain“an der Reihe gewesen. Rund 20 gesprächsbereite Senioren waren in die Untere Mühle gekommen, um Erinnerungen aus der Jugendzeit in ihrer Heimat „am Roi“auszutauschen.
Die Siedlung mit kleinen Einfamilienhäusern, grob zwischen dem General-Moser-Weg, dem Eisensbergweg und dem Rotmoos gelegen, entstand in den 1930er-Jahren. Längst habe sich das ursprüngliche Bild der Siedlung verändert, es sei angebaut, erweitert, renoviert, abgerissen und neu gebaut worden – aber die Geschichten der Anfänge seien noch präsent, erzählten die „Roiler“.
Gemeinsam trugen sie ein buntes Mosaik von Erinnerungen zusammen. Ute Seibold, die Leiterin der Isnyer Museen, hatte alle Hände voll zu tun, alles aufzuschreiben, damit dieser reiche Schatz an Lokalgeschichte des vergangenen Jahrhunderts nicht verloren geht.
Bauern für die Siedlung enteignet Die Wohnungsnot in den Jahren zwischen den Weltkriegen sei durch das „Reichsheimstättengesetz“des Jahres 1920 gemildert worden. Tausende Einfamilienhäuser wurden im Deutschen Reich nach dem immer gleichen Bauplan gebaut. Der einzige Unterschied war nur die Himmelsrichtung des Dachfirstes und der Haustür. In Isny waren es knapp 30 Häuser, wurde geschätzt, höchstens fünf stehen noch unverändert.
Der sogenannte „Heimstätter“konnte aus berechtigten sozialen Gründen eine bezahlbare „Heimstätte“erwerben, aus heutiger Sicht zu einem unvorstellbar günstigen Preis von 5000 Mark – einschließlich Bauplatz. Zu jedem Haus gehörte ein großer Gemüsegarten, ein Stadel für Hühner, Hasen und Gänse, Holz, Kohlen und Geräte. Mehrere Senioren wussten, dass die Voreigentümer des Geländes – Bauern mehrerer kleiner Höfe – von heute auf morgen enteignet und zu sehr schlechten Bedingungen entschädigt worden seien.
Die meisten Beiträge begannen mit den Worten: „Also, i bin au vom Roi“– und die unvergesslichsten Erinnerungen bezogen sich ausnahmslos auf das damals, im Vergleich zu heute, noch sehr bescheidene Kinderfest. Die Kinderfesttrommler hätten allerdings nie gefehlt.
Dort wo heute das große Festzelt steht, war der Isnyer Auffüllplatz, der Schuttplatz. „Da sollte man besser keine archäologischen Grabungen anstellen“, meinte jemand. Was heute auf dem Wertstoffhof landet, sei auf den Auffüllplatz gekarrt worden – und noch viel mehr. Drumherum war Wald. Erst Bürgermeister Wilhelm Heck habe ihn in den 1950er-Jahren roden lassen, wusste Walter Bühler.
„Der Alteisenplatz war separat, nämlich dort wo heute das Gymnasium steht.“Dort habe man beim Natterer Alteisen, Lumpen und Knochen abgeliefert, und für die Knochen habe es ein Stück Kernseife gegeben, erzählte Gerda Maier. Jedoch das Altpapier hätte man beim Bosch abgegeben und dafür im Gegenwert Bezugsscheine für Tapeten bekommen.
Horst Blaser ist zwar kein „Roiler“, aber er hatte am Standort des heutigen Hackschnitzel-Heizkraftwerks, in der Segelfliegerbude, von 1959 bis 1963 seine erste Werkstatt eingerichtet. Dort habe er seine ersten funktionsfähigen Gewehre gebaut. „Von dort oben habe ich illegal in den 300-Meter-Kugelfang des Schützenvereins geschossen und so meine Gewehre ausprobiert“, gestand er.
Im Berg unter den Häusern, zwischen Ochsenkeller und Segelfliegerbude, seien die Eiskeller der Isnyer Gasthäuser gewesen, war zu erfahren. Sie seien bei Fliegeralarm dann auch als Luftschutzbunker benutzt worden. Im Winter hätten die Männer Eisblöcke aus den Weihern herausgesägt und dort gelagert für die Sommerkühlung der Getränke.
Die Segelflieger hätten später dort Eigenkonstruktionen gebaut und diese auf den damaligen Wiesen des heutigen Schulgeländes selbst ausprobiert: Mehrere Männer hätten das „Flugobjekt“festgehalten, andere ein Gummiseil gespannt. Dann sei der Flieger hoch, habe ausgeklinkt und eine Runde über der Wiese gedreht. Einer sei einmal wegen falscher Bedienung senkrecht hochgeschossen und auch senkrecht abgestürzt – und nie wieder eingestiegen.
Gertrud Erler erzählte aus ihrer Schulzeit: „Die Schule war 1953 neu gebaut worden und von Anfang an schon zu klein, unser Klassenzimmer befand sich dann im Keller. Der Turnunterricht fand im Saal des Gasthauses Strauß statt, später im Schützenhaus. Die Klassenräume der Evangelischen waren in der Alten Gerbe, die Katholiken durften in der Schule bleiben, weil sie halt viel mehr waren.“Manche Klassen hätten für den Sport ins Feuerwehrhaus gehen müssen, andere in die leerstehenden Exerzierbaracken des Reichsarbeitsdienstes im späteren Stephanuswerk.
„Wunderbare Kameradschaft“
Die Mutter von Erich Penker hatte bis in die 1960er-Jahre hinein in der Siedlung einen Lebensmittelladen: „Die Kameradschaft unter uns Kindern und Jugendlichen war wunderbar. Wenn einer nachmittags auf der Straße war, dann waren es ganz schnell mehrere, und dann hat man etwas zusammen unternommen – oder auch etwas Verbotenes angestellt. Wenn der Jehle mit seinen Gaisen Richtung Eisensberg aufgebrochen ist, um dort den Waldrand und die Boschen abzuweiden, dann waren wir alle dabei“, erinnerte sich Penker.
Irene Keil ist Nachkomme der Schlössle-Herrschaften und wohnt auch selbst im Schlössle. Es habe ursprünglich so etwas wie der Sommersitz der Patrizierfamilie Eberz gewesen sein müssen, vermutete sie. Zwei Schwäger, Friedrich Binder und Irene Keils Großvater Karl Pfeilsticker (Stadtarchivar und Antiquitätensammler), hätten das SchlössleAreal Ende des 19. Jahrhunderts gekauft und nach dem Ersten Weltkrieg eine öffentliche Badanstalt gebaut. Gebadet wurde getrennt nach Geschlechtern. Ums Bad herum war ein dichter Bretterzaun, wurde erzählt, die Badenden seien nur durch die Astlöcher in den Brettern zu „besichtigen“gewesen.
„Wenn der Pfeilsticker nicht zu Hause war, sind wir abends hineingeschlichen und haben unerlaubt gebadet“, sagte sie. Das Wasser, direkt aus einer Quelle, sei immer eiskalt gewesen. Keil fügte hinzu, dass der Stadtphysikus namens Wider dem Quellwasser heilende Wirkung für so ziemlich alle Krankheiten zugeschrieben habe. Die Roiler hätten in den ersten Jahren ihr Wasser aus dem Brunnen im Schlössle geholt, denn sie hätten noch kein fließendes Wasser im Haus gehabt.