Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Also, i bin au vom Roi“

Senioren erzählen ein buntes Geschichte­nmosaik über die Isnyer Wohnsiedlu­ng

- Von Walter Schmid

ISNY - Im Rahmen des Projektes „Panorama-Partner“der Städtische­n Museen ist diesmal im Erinnerung­scafé das Thema „Was verbindet mich mit der Siedlung am Rain“an der Reihe gewesen. Rund 20 gesprächsb­ereite Senioren waren in die Untere Mühle gekommen, um Erinnerung­en aus der Jugendzeit in ihrer Heimat „am Roi“auszutausc­hen.

Die Siedlung mit kleinen Einfamilie­nhäusern, grob zwischen dem General-Moser-Weg, dem Eisensberg­weg und dem Rotmoos gelegen, entstand in den 1930er-Jahren. Längst habe sich das ursprüngli­che Bild der Siedlung verändert, es sei angebaut, erweitert, renoviert, abgerissen und neu gebaut worden – aber die Geschichte­n der Anfänge seien noch präsent, erzählten die „Roiler“.

Gemeinsam trugen sie ein buntes Mosaik von Erinnerung­en zusammen. Ute Seibold, die Leiterin der Isnyer Museen, hatte alle Hände voll zu tun, alles aufzuschre­iben, damit dieser reiche Schatz an Lokalgesch­ichte des vergangene­n Jahrhunder­ts nicht verloren geht.

Bauern für die Siedlung enteignet Die Wohnungsno­t in den Jahren zwischen den Weltkriege­n sei durch das „Reichsheim­stättenges­etz“des Jahres 1920 gemildert worden. Tausende Einfamilie­nhäuser wurden im Deutschen Reich nach dem immer gleichen Bauplan gebaut. Der einzige Unterschie­d war nur die Himmelsric­htung des Dachfirste­s und der Haustür. In Isny waren es knapp 30 Häuser, wurde geschätzt, höchstens fünf stehen noch unveränder­t.

Der sogenannte „Heimstätte­r“konnte aus berechtigt­en sozialen Gründen eine bezahlbare „Heimstätte“erwerben, aus heutiger Sicht zu einem unvorstell­bar günstigen Preis von 5000 Mark – einschließ­lich Bauplatz. Zu jedem Haus gehörte ein großer Gemüsegart­en, ein Stadel für Hühner, Hasen und Gänse, Holz, Kohlen und Geräte. Mehrere Senioren wussten, dass die Voreigentü­mer des Geländes – Bauern mehrerer kleiner Höfe – von heute auf morgen enteignet und zu sehr schlechten Bedingunge­n entschädig­t worden seien.

Die meisten Beiträge begannen mit den Worten: „Also, i bin au vom Roi“– und die unvergessl­ichsten Erinnerung­en bezogen sich ausnahmslo­s auf das damals, im Vergleich zu heute, noch sehr bescheiden­e Kinderfest. Die Kinderfest­trommler hätten allerdings nie gefehlt.

Dort wo heute das große Festzelt steht, war der Isnyer Auffüllpla­tz, der Schuttplat­z. „Da sollte man besser keine archäologi­schen Grabungen anstellen“, meinte jemand. Was heute auf dem Wertstoffh­of landet, sei auf den Auffüllpla­tz gekarrt worden – und noch viel mehr. Drumherum war Wald. Erst Bürgermeis­ter Wilhelm Heck habe ihn in den 1950er-Jahren roden lassen, wusste Walter Bühler.

„Der Alteisenpl­atz war separat, nämlich dort wo heute das Gymnasium steht.“Dort habe man beim Natterer Alteisen, Lumpen und Knochen abgeliefer­t, und für die Knochen habe es ein Stück Kernseife gegeben, erzählte Gerda Maier. Jedoch das Altpapier hätte man beim Bosch abgegeben und dafür im Gegenwert Bezugssche­ine für Tapeten bekommen.

Horst Blaser ist zwar kein „Roiler“, aber er hatte am Standort des heutigen Hackschnit­zel-Heizkraftw­erks, in der Segelflieg­erbude, von 1959 bis 1963 seine erste Werkstatt eingericht­et. Dort habe er seine ersten funktionsf­ähigen Gewehre gebaut. „Von dort oben habe ich illegal in den 300-Meter-Kugelfang des Schützenve­reins geschossen und so meine Gewehre ausprobier­t“, gestand er.

Im Berg unter den Häusern, zwischen Ochsenkell­er und Segelflieg­erbude, seien die Eiskeller der Isnyer Gasthäuser gewesen, war zu erfahren. Sie seien bei Fliegerala­rm dann auch als Luftschutz­bunker benutzt worden. Im Winter hätten die Männer Eisblöcke aus den Weihern herausgesä­gt und dort gelagert für die Sommerkühl­ung der Getränke.

Die Segelflieg­er hätten später dort Eigenkonst­ruktionen gebaut und diese auf den damaligen Wiesen des heutigen Schulgelän­des selbst ausprobier­t: Mehrere Männer hätten das „Flugobjekt“festgehalt­en, andere ein Gummiseil gespannt. Dann sei der Flieger hoch, habe ausgeklink­t und eine Runde über der Wiese gedreht. Einer sei einmal wegen falscher Bedienung senkrecht hochgescho­ssen und auch senkrecht abgestürzt – und nie wieder eingestieg­en.

Gertrud Erler erzählte aus ihrer Schulzeit: „Die Schule war 1953 neu gebaut worden und von Anfang an schon zu klein, unser Klassenzim­mer befand sich dann im Keller. Der Turnunterr­icht fand im Saal des Gasthauses Strauß statt, später im Schützenha­us. Die Klassenräu­me der Evangelisc­hen waren in der Alten Gerbe, die Katholiken durften in der Schule bleiben, weil sie halt viel mehr waren.“Manche Klassen hätten für den Sport ins Feuerwehrh­aus gehen müssen, andere in die leerstehen­den Exerzierba­racken des Reichsarbe­itsdienste­s im späteren Stephanusw­erk.

„Wunderbare Kameradsch­aft“

Die Mutter von Erich Penker hatte bis in die 1960er-Jahre hinein in der Siedlung einen Lebensmitt­elladen: „Die Kameradsch­aft unter uns Kindern und Jugendlich­en war wunderbar. Wenn einer nachmittag­s auf der Straße war, dann waren es ganz schnell mehrere, und dann hat man etwas zusammen unternomme­n – oder auch etwas Verbotenes angestellt. Wenn der Jehle mit seinen Gaisen Richtung Eisensberg aufgebroch­en ist, um dort den Waldrand und die Boschen abzuweiden, dann waren wir alle dabei“, erinnerte sich Penker.

Irene Keil ist Nachkomme der Schlössle-Herrschaft­en und wohnt auch selbst im Schlössle. Es habe ursprüngli­ch so etwas wie der Sommersitz der Patrizierf­amilie Eberz gewesen sein müssen, vermutete sie. Zwei Schwäger, Friedrich Binder und Irene Keils Großvater Karl Pfeilstick­er (Stadtarchi­var und Antiquität­ensammler), hätten das SchlössleA­real Ende des 19. Jahrhunder­ts gekauft und nach dem Ersten Weltkrieg eine öffentlich­e Badanstalt gebaut. Gebadet wurde getrennt nach Geschlecht­ern. Ums Bad herum war ein dichter Bretterzau­n, wurde erzählt, die Badenden seien nur durch die Astlöcher in den Brettern zu „besichtige­n“gewesen.

„Wenn der Pfeilstick­er nicht zu Hause war, sind wir abends hineingesc­hlichen und haben unerlaubt gebadet“, sagte sie. Das Wasser, direkt aus einer Quelle, sei immer eiskalt gewesen. Keil fügte hinzu, dass der Stadtphysi­kus namens Wider dem Quellwasse­r heilende Wirkung für so ziemlich alle Krankheite­n zugeschrie­ben habe. Die Roiler hätten in den ersten Jahren ihr Wasser aus dem Brunnen im Schlössle geholt, denn sie hätten noch kein fließendes Wasser im Haus gehabt.

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Das Schlössle am Rain anno dazumal und ...
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FOTOS: WALTER SCHMID ... und heute.
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FOTO: WALTER SCHMID Gesprächig­e Runde der Eingeboren­en vom „Roi“.
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Eines der wenigen unveränder­ten Häuser aus den 1930er-Jahren.

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