Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Mit Blütenstaub auf Verbrecherjagd
Sogenannte Palynologen klären Verbrechen mithilfe von Pollen auf
WIEN (dpa) - Über die letzten Stunden von „Ötzi“vor etwa 5250 Jahren konnten sie Aufschluss geben. Blütenpollen im Verdauungstrakt der Gletschermumie halfen dabei, den letzten Weg des berühmten Steinzeitlers in den Alpen zu rekonstruieren - der Weg, den er ging, als ihn ein Pfeil aus dem Hinterhalt traf. Auch die Jahreszeit der Attacke konnte dank des Pollens bestimmt werden: das späte Frühjahr.
Nun hat die forensische Pollenanalyse erneut Aufsehen erregt, indem sie Bewegung in den Mordfall Peggy gebracht hat. An der Leiche der vor 17 Jahren verschwundenen Neunjährigen aus Bayern waren mit ihrer Hilfe Torfspuren gefunden worden. Der Verdächtige hatte am Tattag mit Torf gearbeitet. Der Mann hat inzwischen zwar nicht die Tat gestanden, aber seine Beteiligung am Verschwinden der Kinderleiche, die später in einem Wald in Thüringen entdeckt worden war.
„Die forensische Pollenanalyse ist eine exzellente, beweiskräftige Methode, wenn sie von Profis durchgeführt wird“, sagt der Kölner Kriminalbiologe Mark Benecke. „Sie ist ein wichtiger, aber arbeitsintensiver Beitrag zur Kriminalistik.“
Professorin Martina Weber von der Universität Wien ist eine der wenigen Expertinnen weltweit, die sich auf forensische Pollenanalyse spezialisiert haben. Kriminalisten, auch des Bundeskriminalamts, pilgern zu ihr nach Wien, um sich über die Methode zu erkundigen. Weber hat nicht nur die weltgrößte Pollen-Datenbank mit aufgebaut. Sie kann an der Uni Wien aus dem Vollen schöpfen, wenn es darum geht, einen seltenen Blütenpollen anhand eines Vergleichsstücks zu identifizieren.
Österreich gilt als Pionierland in Sachen forensische Pollenanalyse. Bereits 1959 wurde dort der erste Fall mithilfe der Palynologie aufgeklärt: Dank eines fossilen Pollens der Hickorynuss konnte das Versteck einer Leiche im Umland von Wien so eingegrenzt werden, dass er die Ermittler dorthin führte.
Erst konzentriert, dann gezählt
Um so weit zu kommen, werden die winzigen Pollenkörner erst einmal ausgewaschen, konzentriert und in einer Säuremischung gekocht. „Acetolyse heißt das Verfahren. Übrig bleibt die Pollenwand, die man mit einem Lichtmikroskop gut bestimmen kann“, sagt Weber. Dann wird gezählt. „Bei 300 Pollenkörnern hören wir in der Regel auf und bestimmen die Anteile der unterschiedlichen Pollentypen.“Das so errechnete Pollenspektrum zeigt, ob der Verdächtige vor Kurzem durch eine Blumenwiese oder eher durch einen Wald gelaufen ist. Je seltener der gefundene Pollen, desto besser: „Mit einer äußerst seltenen Mutation eines Graspollens wurde in Neuseeland ein Täter überführt.“Dass die Mutation an Leiche, Täter und Tatort haftete, konnte kein Zufall sein.
Textilien vergessen nicht
„Textilien sind hervorragende Pollenfänger. Auch mehrmaliges Waschen nützt nicht, um alle verräterischen Pollenkörner loszuwerden“, sagt Weber. Aber auch aus den Atemwegen einer Leiche, den Haaren oder ihrem Verdauungstrakt können Pollen unter das Lichtmikroskop befördert werden.
Von besonderem Interesse für die Kriminalisten sind Pollen, die von Tieren verbreitet werden und nicht vom Wind. Diese lassen Rückschlüsse auf einen direkten Kontakt zur Pflanze zu. Bei der Spurensicherung ist es deswegen enorm wichtig, die Kontamination mit Fremdpollen zu verhindern.
Forensiker hätten sogar ein historisches Verbrechen mithilfe der Pollenanalyse aufgeklärt. Anhand des Pollens aus einem 1994 in Magdeburg entdeckten Massengrab habe sich die Tötung der darin entdeckten Opfer auf die Monate Juni und Juli eingrenzen lassen. Damit seien sie beim Volksaufstand in der DDR 1953 von der sowjetischen Geheimpolizei GPU getötet worden – und nicht 1945 von der Gestapo.