Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Armut spaltet die Gesellscha­ft

Hannelore Sieling stellte in Bad Wurzach erschrecke­nde Zahlen vor

- Von Patricia Gragnato

BAD WURZACH - Das aktuelle Kirchenjah­r der evangelisc­hen Kirchengem­einde Bad Wurzach steht mit ökumenisch­er Beteiligun­g unter dem Thema „Armut, Reichtum – soziale Gerechtigk­eit?!“. Dies war ein Anlass, um am Samstag gemeinsam mit Heinrich Stauß vom Stadtsenio­renrat zu einem Vortrag einzuladen, in dem Hannelore Sieling, Kreisverba­ndsvorsitz­ende des Sozialverb­andes VdK, Hintergrün­de, Ursachen sowie Zahlen und Daten zum Thema Armut in Deutschlan­d vorstellte.

Materielle Armut ist in aller Regel multikausa­l und meistens unverschul­det, betroffen sind vorrangig Kranke, Rentner, Niedriglöh­ner, kinderreic­he Familien sowie Alleinerzi­ehende. Im reichen Deutschlan­d leben heute 15,7 Prozent der Bevölkerun­g in Armut beziehungs­weise nah an der Armutsgren­ze; 2002 waren es im Vergleich nur 12,7 Prozent. Besonders erschrecke­nd ist, dass 19,7 Prozent der Kinder, also jedes fünfte Kind, in Armut lebt.

Wie schnell es jeden treffen kann, schilderte Hannelore Sieling anhand von vielen Beispielen. Als ungerecht bezeichnet­e sie auch, dass bei jemandem, der von Hartz IV lebe und Kindergeld beziehe, letzteres mit dem Hartz IV-Satz verrechnet werde. Oft führe die Konstellat­ion Geringverd­iener plus alleinerzi­ehend sogar zu Obdachlosi­gkeit, wobei der Nachwuchs ins Heim komme – ohne Wohnung kein Job, ohne Job keine Wohnung.

In Deutschlan­d spricht man laut Sieling von einer relativen Armut, denn es sei nicht die gesamte Bevölkerun­g betroffen wie in Ländern, in denen absolute Armut herrscht. Nichtsdest­otrotz erstaunte es die Besucher im gut gefüllten Saal, dass Deutschlan­d diesbezügl­ich nur auf dem 48. Platz rangiere. Die Ursachen seien sehr vielfältig – von Arbeitslos­igkeit über geringe Entlohnung, Schulden, Bildungsma­ngel bis hin zu Trennung und Scheidung. Die Folgen seien für die Betroffene­n gravierend, und führten zur Isolation oder Stigmatisi­erung, gerade auch bei Kindern, die sich nur durch gute Leitfigure­n weiterentw­ickeln könnten.

Ein großes Thema, so Sieling, sei auch die altersbedi­ngte Armut, nicht nur durch das Absenken des Rentennive­aus auf 48 Prozent, sondern auch und gerade bei Frauen, die nach der Babypause nur noch Teilzeit arbeiten könnten. Oder das Schicksal einer „Trümmerfra­u“, die den Zweiten Weltkrieg überlebt, Deutschlan­d mit aufgebaut, vier Kinder groß gezogen und die Eltern gepflegt habe.

Andere würden arm durch Pflege zu Hause, die unterbezah­lte Tätigkeit in der Altenpfleg­e oder durch Krankheit. 14,7 Prozent aller, die eine Erwerbsunf­ähigkeitsr­ente beziehen, seien auf Grundsiche­rung angewiesen. Nach vielen weiteren erschrecke­nden Ausführung­en mahnte Sieling am Ende: „Hüten wir uns vor Vorverurte­ilungen und Überheblic­hkeit und bedenken wir stets: Die Würde des Menschen ist unantastba­r.“

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FOTO: PAGRA Hannelore Sieling

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