Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Armut spaltet die Gesellschaft
Hannelore Sieling stellte in Bad Wurzach erschreckende Zahlen vor
BAD WURZACH - Das aktuelle Kirchenjahr der evangelischen Kirchengemeinde Bad Wurzach steht mit ökumenischer Beteiligung unter dem Thema „Armut, Reichtum – soziale Gerechtigkeit?!“. Dies war ein Anlass, um am Samstag gemeinsam mit Heinrich Stauß vom Stadtseniorenrat zu einem Vortrag einzuladen, in dem Hannelore Sieling, Kreisverbandsvorsitzende des Sozialverbandes VdK, Hintergründe, Ursachen sowie Zahlen und Daten zum Thema Armut in Deutschland vorstellte.
Materielle Armut ist in aller Regel multikausal und meistens unverschuldet, betroffen sind vorrangig Kranke, Rentner, Niedriglöhner, kinderreiche Familien sowie Alleinerziehende. Im reichen Deutschland leben heute 15,7 Prozent der Bevölkerung in Armut beziehungsweise nah an der Armutsgrenze; 2002 waren es im Vergleich nur 12,7 Prozent. Besonders erschreckend ist, dass 19,7 Prozent der Kinder, also jedes fünfte Kind, in Armut lebt.
Wie schnell es jeden treffen kann, schilderte Hannelore Sieling anhand von vielen Beispielen. Als ungerecht bezeichnete sie auch, dass bei jemandem, der von Hartz IV lebe und Kindergeld beziehe, letzteres mit dem Hartz IV-Satz verrechnet werde. Oft führe die Konstellation Geringverdiener plus alleinerziehend sogar zu Obdachlosigkeit, wobei der Nachwuchs ins Heim komme – ohne Wohnung kein Job, ohne Job keine Wohnung.
In Deutschland spricht man laut Sieling von einer relativen Armut, denn es sei nicht die gesamte Bevölkerung betroffen wie in Ländern, in denen absolute Armut herrscht. Nichtsdestotrotz erstaunte es die Besucher im gut gefüllten Saal, dass Deutschland diesbezüglich nur auf dem 48. Platz rangiere. Die Ursachen seien sehr vielfältig – von Arbeitslosigkeit über geringe Entlohnung, Schulden, Bildungsmangel bis hin zu Trennung und Scheidung. Die Folgen seien für die Betroffenen gravierend, und führten zur Isolation oder Stigmatisierung, gerade auch bei Kindern, die sich nur durch gute Leitfiguren weiterentwickeln könnten.
Ein großes Thema, so Sieling, sei auch die altersbedingte Armut, nicht nur durch das Absenken des Rentenniveaus auf 48 Prozent, sondern auch und gerade bei Frauen, die nach der Babypause nur noch Teilzeit arbeiten könnten. Oder das Schicksal einer „Trümmerfrau“, die den Zweiten Weltkrieg überlebt, Deutschland mit aufgebaut, vier Kinder groß gezogen und die Eltern gepflegt habe.
Andere würden arm durch Pflege zu Hause, die unterbezahlte Tätigkeit in der Altenpflege oder durch Krankheit. 14,7 Prozent aller, die eine Erwerbsunfähigkeitsrente beziehen, seien auf Grundsicherung angewiesen. Nach vielen weiteren erschreckenden Ausführungen mahnte Sieling am Ende: „Hüten wir uns vor Vorverurteilungen und Überheblichkeit und bedenken wir stets: Die Würde des Menschen ist unantastbar.“