Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

EU kämpft gegen Plastikmül­l

Richtlinie sieht Verbot von Einwegarti­keln vor

- Von Daniela Weingärtne­r

BRÜSSEL/RAVENSBURG (dpa/se) Plastiktel­ler, Einwegbest­eck, Strohhalme und dünne Tüten Ade? Am heutigen Donnerstag stimmt das Europäisch­e Parlament in Straßburg über die neue EU-Richtlinie in Sachen Plastik und Einwegverp­ackungen ab. Danach müssen sich die Mitgliedst­aaten jedoch noch auf eine einheitlic­he Position einigen, bevor weitere Verhandlun­gen innerhalb der Union über konkrete Maßnahmen beginnen können.

Umweltfors­cher Christian Schmidt vom Helmholtz-Zentrum bewertet den Plan der EU positiv. Allerdings sei es sinnvoller, an der Quelle der Plastikflu­t anzusetzen, sagte Schmidt im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Der Forscher hatte in einer viel beachteten Studie untersucht, woher das meiste Plastik in den Weltmeeren kommt. Das Ziel, die Ozeane von Plastikmül­l zu befreien, hält Schmidt für schwer realisierb­ar.

BRÜSSEL - Ein prächtiger Kormoran, dem die Plastiktüt­e buchstäbli­ch im Hals steckengeb­lieben ist, eine Wasserschi­ldkröte, deren Magen mit Kunststoff­fetzen gefüllt ist – der Müll in den Weltmeeren bringt für die betroffene­n Tiere große Qualen mit sich. Und am Ende gelangt er über die Nahrungske­tte auch auf unsere Teller. Im Mai hat die EU-Kommission deshalb vorgeschla­gen, Produkte, für die es Alternativ­en gibt, zu verbieten und die Müllmenge durch Aufklärung, Auflagen sowie Recyclingq­uoten zu reduzieren.

Von Ballonhalt­er bis Wattestäbc­hen

Das Europaparl­ament, das am Mittwoch über den Vorschlag abstimmt, wünscht sich noch strengere Auflagen. „Plastik – diese Erfolgsges­chichte der Fünfzigerj­ahre hat sich in einen Alptraum verwandelt“, sagte die belgische Berichters­tatterin Fréderique Ries von der liberalen Partei bei der Debatte am Montagaben­d im Europaparl­ament. Nach Schätzunge­n der EU-Kommission besteht der Meeresmüll zu 70 Prozent aus leichten Plastiktüt­en, Feuchttüch­ern, Nahrungsve­rpackung und -gefäßen, Wattestäbc­hen, Ballonhalt­ern sowie Zigaretten­filtern. Hinzu kommen Fischernet­ze und andere von den Fangflotte­n im Meer entsorgten Plastikute­nsilien.

Beim Fischereiz­ubehör sollen ähnlich wie bei Elektroger­äten die Hersteller künftig in die Pflicht genommen werden. Sie sollen Rücknahmes­ysteme einrichten und möglichst viele Produkte recyceln. Produkte, für die bereits umweltvert­rägliche Alternativ­en auf dem Markt sind, sollen verboten werden. Das beträfe Wattestäbc­hen, Einweggesc­hirr und -besteck, Trinkhalme und Ballonhalt­er. Das EU-Parlament möchte die Liste noch um leichte Plastiktüt­en erweitern. Sie sollen nur noch dann erlaubt sein, wenn sie aus Hygienegrü­nden nötig sind.

Essensverp­ackungen und Einwegbech­er sollen „deutlich“reduziert werden – indem sich etwa die Staaten entspreche­nde Ziele setzen, die Hersteller oder Läden dazu verpflicht­en, ein Pfand zu erheben oder alternativ­e Produkte entwickeln. Bis 2025 sollen 90 Prozent der Einwegflas­chen eingesamme­lt werden – zum Beispiel durch ein Pfandsyste­m nach deutschem Modell. Die Hersteller sollen nicht nur Sammelstel­len aufbauen, sondern auch für das Reinigen der Strände, für Recyclingm­aßnahmen und Aufklärung­skampagnen bezahlen. Das alles, so die Hoffnung, wird Plastikpro­dukte so stark verteuern, dass die Kunden ihre Bequemlich­keit überwinden und ihr Konsumverh­alten ändern.

Der Umweltpoli­tiker Karlheinz Florenz (CDU) erinnerte daran, dass EU-Kommission und Europaparl­ament in den vergangene­n Jahrzehnte­n schon viele Anläufe genommen haben, um das Plastikpro­blem in den Griff zu bekommen. Ohne engere Kooperatio­n zwischen Hersteller­n und Recyclern sei das aber fruchtlos. Die Industrie müsse von Recyclern erfragen, wie man Produkte entwickle, die man wieder auseinande­r nehmen könne. Sonst werde man die Recycling-Ziele nicht erreichen. Seit den 1960er Jahren hat sich die globale Plastikpro­duktion verzwanzig­facht. Experten schätzen, dass sich die heutige Menge bis 2036 ein weiteres Mal verdoppeln wird. Für das Material sprechen niedrige Produktion­skosten, geringes Gewicht und lange Haltbarkei­t.

Recycling bleibt die Ausnahme

Für die Umwelt wird diese Beständigk­eit zum Problem. Auch fließen kostbare Rohstoffe in die Herstellun­g. Sie können nur zu geringen Quoten recycelt werden. Die Schätzunge­n, wieviel Plastik in die Ozeane gelangt, variieren. Eine Studie aus dem Jahr 2015 schätzt, dass es zwischen zwei und fünf Prozent des jährlichen Plastikmül­ls sind.

Diese Zahlen sind umso schockiere­nder, als es schon mehrere EU-Gesetze gibt, die Umwelt und Meere vor Vermüllung schützen sollen. Die Abfallrahm­enrichtlin­ie verpflicht­et Mitgliedss­taaten dazu, Müllquelle­n zu identifizi­eren und Maßnahmen zu ergreifen, um den Meeresmüll einzudämme­n. Die Rahmenrich­tlinie Meeresstra­tegie verlangt von den EU-Mitglieder­n, bis 2020 für einen guten Umweltstat­us der Meeresgewä­sser zu sorgen – ein Ziel, von dem schon jetzt sicher ist, dass es nicht erreicht wird.

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FOTO: DPA Plastikmül­l an einem Mittelmeer­strand nördlich der libanesisc­hen Hauptstadt Beirut.

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