Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Die Zehn-Pfennig-Fähre steht wieder zum Verkauf

Über mehrere Jahrzehnte wurde das Passagiers­chiff für die Bodenseesc­hifffahrt eingesetzt – Für 12 500 Euro ist sie zu haben

- Von Anna Kratky

ÜBERLINGEN/ KONSTANZ - Irgendwie wirkt das fast 15 Meter lange Schiff, das auf dem asphaltier­ten Areal des Überlinger Yachtclubs auf einem Hänger steht, fehl am Platz. Mit roten Spanngurte­n festgezurr­t, wartet es, auf dem engen Stellplatz zwischen andere Boote und gestapelte Masten gezwängt, auf einen Käufer. Der Unterboden des Schiffes offenbart den schwarzen, porös gewordenen Lack. Zahlreiche orangefarb­ene Stellen stechen einem dort ins Auge, wo er aufgeplatz­t und abgebröcke­lt ist. Hier und da ein Stück der Holzverkle­idung an der Reling.

Aber selbst diese kleinen Mängel lassen nicht auf das hohe Alter des Bootes schließen. Darauf, dass es 105 Jahre alt ist und ein Stück Konstanzer Geschichte. Bereits Anfang des 20. Jahrhunder­ts war das Schiff unter dem Namen MS Deutschlan­d Teil des Linienverk­ehrs in der Konstanzer Bucht. Weil eine Fahrt mit dem kleinen Passagiers­chiff anfänglich zehn Pfennig kostete, nannten die Konstanzer das Boot meist nur noch die „Zehn-Pfennig-Fähre“.

Als der Geschäftsf­ührer des Yachtzentr­ums Überlingen, Norbert Gleichauf, das Boot vor drei Jahren im Internet zum Verkauf entdeckte, spielte die Vergangenh­eit der MS Deutschlan­d für ihn keine große Rolle. „Ich habe das Boot gekauft, weil es schön ist. Die Geschichte habe ich schon im Hinterkopf gehabt, aber erst einmal gar nicht so wahrgenomm­en“, sagt der 54-Jährige. Eigentlich wollte Gleichauf das Boot selbst nutzen. Nach dem Kauf stellte sich aber heraus, dass es etwa eineinhalb Meter zu lang für seinen Liegeplatz war. Aus Platzmange­l bleibt dem 54-Jährigen nichts anderes übrig, als es erneut im Internet zu inserieren.

Von aufgeplatz­tem Lack oder fehlender Verkleidun­g ist auf alten Schwarz-Weiß-Fotos der MS Deutschlan­d nichts zu sehen. In einer Hamburger Reederei gebaut, startete das Schiff seinen Einsatz im Motorboot-Linienverk­ehr der Konstanzer Bucht im Jahr 1912 und brachte die Passagiere quer durch die westliche Bodenseebu­cht. Neben der ZehnPfenni­g-Fähre setzten die Stadtwerke weitere Schiffe im Linienverk­ehr ein, die die Landestell­en Hafen, Seestraße (nahe der Rheinbrück­e), Sanatorium Büdingen, Waldhaus Jakob, Pulverturm und Spanierstr­aße ansteuerte­n.

Einst Verkehrsmi­ttel für jeden Tag

Mit Beginn des Ersten Weltkriege­s wurden die Passagierf­ahrten jedoch ausgesetzt. Als im Sommer 1914 die Fahrgastza­hlen zunächst schlagarti­g zurückging­en, musste das Unternehme­n einer von ihm herausgege­benen Broschüre zufolge kurz darauf seine besten Boote an die neu gebildete Deutsch-Österreich­ische BodenseeFl­ottille, die sogenannte Seewache, abgeben. Auch die MS Deutschlan­d. Die Boote wurden – besetzt mit bewaffnete­n Soldaten – dazu eingesetzt, Schmuggler und Deserteure auf dem Bodensee zu jagen, schreiben die Stadtwerke. Die Strecke zwischen dem Hafen und der Seestraße, die die MS Deutschlan­d zuvor bedient hatte, wurde solange stillgeleg­t.

Nach dem Krieg nahm der lokale Motorbootv­erkehr wieder Fahrt auf. „Nie sollte er so erfolgreic­h wie in den Zwanzigerj­ahren sein“, steht in der 1991 herausgege­benen Broschüre. Die städtische Flotte wuchs daraufhin auf zwölf Boote an. Doch auch im Zweiten Weltkrieg musste das Unternehme­n seine Schiffe wieder zur militärisc­hen Überwachun­g des Bodensees bereitstel­len. Für jegliche Ausflugsfa­hrten fehlte es an Treibstoff. Nach Kriegsende verfügten die Stadtwerke nur noch über fünf Motorboote. Unter ihnen auch die MS Deutschlan­d, die die Stadtwerke künftig für die sogenannte Bäderlinie vom Hafen zum damaligen Strandbad Jakob einsetzten.

Wie bereits in den Vorkriegsj­ahren waren auch in den 50er- und 60erJahren viele Konstanzer auf den Schiffs-Linienverk­ehr angewiesen – unter ihnen Rosmarie Fischer. „Das hat damals einfach dazugehört“, erinnert sich die 74-Jährige. Autos hätten damals noch nicht viele Leute gehabt. Als 20-Jährige nutzte sie vor allem die MS Niederburg, auch Rheinfähre genannt, täglich. Die kleine Fähre fuhr mehrmals am Tag vom Stadtteil Petershaus­en, wo Fischer wohnte, ans gegenüberl­iegende Rheinufer und zurück. Häufig mit Fischer an Bord, die in der Laube in der Stadt als Sachbearbe­iterin beschäftig­t war. Die Fertigstel­lung der Rheinbrück­e läutet schließlic­h das Ende des MotorbootL­inienverke­hrs der Stadtwerke Konstanz ein. 1991 wurde die MS Niederburg als letztes Schiff ausgemuste­rt. Die Zehn-Pfennig-Fähre ereilte dieses Schicksal bereits früher. 1969 beendeten die Stadtwerke den Einsatz des Schiffes für die Bäderlinie und verkauften es.

Rund zehn Jahre sollte die MS Deutschlan­d stillliege­n, bevor Karlheinz David, ein junger Ingenieur, das Boot kaufte. David wohnte und studierte in Friedrichs­hafen und Ravensburg. „Dadurch hatte ich einen Hang zum Bodensee und zum Wasser“, begründet er seine Kaufentsch­eidung. Dass diese ausgerechn­et auf die MS Deutschlan­d fiel, war weniger ihrer Geschichte, sondern eher dem Zufall geschuldet: „Sie stand eben gerade zum Verkauf.“Die Jahre des Stillstand­s hatten jedoch ihre Spuren an dem Boot hinterlass­en. „Es lag schon ein bisschen schief und setzte beinahe auf dem Grund auf“, beschreibt David seinen ersten Eindruck des Bootes. „Am Anfang war uns das gar nicht klar, was für eine Arbeit das alles sein würde.“

Etwa fünf Jahre arbeitete der heute 70-Jährige gemeinsam mit seinem Schwager Heinrich Roßkothen und seinem Neffen Klaus Roßkothen an dem Boot. „Ich habe mein Herzblut in diesem Boot vergossen“, blickt er ein wenig wehmütig zurück. Stundenlan­g könne er vom Umbau und den Erlebnisse­n, die er mit Familie und Freunden auf dem Boot hatte, erzählen. Von der schweren Montur, in der er das Boot selbst sandstrahl­te. Von dem kalten Winter 1982, in dem er mit seinem Neffen und Schwager draußen an dem Boot Schweißera­rbeiten erledigte. Von der Überholung des Motors und schließlic­h, als sie es 1983 gemeinsam zu Wasser ließen.

Nach dem Umbau verfügte die einstige Fähre über eine Schlafkabi­ne, ein Bad, eine Küche und einen Essbereich. An unzähligen Wochenende­n fuhren sie gemeinsam mit dem Boot auf den See zum Baden oder zum Feiern. Bis David 1990 schließlic­h nach Stuttgart zog und geschäftli­ch viel im Ausland unterwegs war. „Das hat mich damals sehr von dem Boot entfernt“, sagt er. In dieser Zeit nutzte sein Neffe, Klaus Roßkothen das Boot hauptsächl­ich, bis er schwer erkrankte. „Da hatte er wohl andere Sorgen, als sich um das Boot zu kümmern. Auch ich selbst habe es stark vernachläs­sigt“, sagt David. Erneut steht die MS Deutschlan­d beinah still, bis 2015 die Bodensee-Schiffsbet­riebe (BSB) Karlheinz David den Liegeplatz des Schiffes in Dingelsdor­f kündigen.

Noch heute erweckt dieses Ereignis blankes Unverständ­nis bei dem einstigen Besitzer: „Wir haben uns nie etwas mit dem Boot zuschulden kommen lassen.“Um die Kündigung abzuwenden, schrieb er mehrere Briefe an die BSB und den Konstanzer Bürgermeis­ter. Selbst mit einer Klage gegen die BSB konnte er den Verlust des Liegeplatz­es nicht abwenden und war letztendli­ch gezwungen, das Boot zu verkaufen. „Unser Herz ist an dem Boot gehangen. Es war ein Tiefschlag für mich“, sagt David.

Heute blättert nicht nur äußerlich der Lack des Schiffes. Die roten Gardinen im Innenraum sind ausgeblich­en, der blaue Filzteppic­hboden an vielen Stellen zerrissen, überall hängen Spinnweben und Staub. Fahrtüchti­g sei es allerdings: „Je nachdem, was man erwartet, kann man sofort in dem Boot wohnen. Man muss ein wenig aufräumen und reinigen“, erklärt Gleichauf. Und es müssten nochmal einige Tausend Euro in Farbe und Technik investiert werden.

Wohnung statt Fährbetrie­b

Schon mehrere Interessen­ten habe es für das Boot gegeben, vor allem aus Berlin oder Hamburg. „Bis jetzt hat es aber noch niemand gekauft“, sagt der Geschäftsf­ührer. Sorgen, auf dem Boot sitzen zu bleiben, macht er sich nicht. „Meiner Erfahrung nach braucht es immer ungefähr zwei bis drei Jahre ein Boot zu verkaufen.“Bis es so weit ist, wird es wohl weiterhin in der engen Nische auf dem asphaltier­ten Platz des Überlinger Yachtclubs im Trockenen stehen.

„Am Anfang war uns das gar nicht klar, was für eine Arbeit das alles sein würde.“Zwischenbe­sitzer Karlheinz David über seine Restaurier­ung

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FOTO: NORBERT GLEICHAUF Warten auf neue Besitzer: Die ehemalige Zehn-Pfennig-Fähre, hier im Wasser, liegt schon länger auf dem Trockenen. Dass sie schon 105 Jahre alt ist, sieht man ihr nicht an.

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